Die Indie-Rock-Band Madsen, bestehend aus den Brüdern Sebastian (42), Sascha (39) und Johannes Madsen (44) sowie Jugendfreund Niko Maurer (41), veröffentlicht am 18. August ihr neuntes Studioalbum «Hollywood». Warum sie mit dem Begriff des Albumtitels Ambivalenz verbinden und warum sie nun unter eigenem Label veröffentlichen, erklären Sebastian und Sascha Madsen im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news. Zudem sprechen sie über die Pläne zum 20. Bandjubiläum im kommenden Jahr, über ihre Wünsche für die Konzert- und Musikbranche und das veraltete Konzept «Rockstar».
«Hollywood» erscheint erstmals unter eurem eigenen Label. Wie kam es zu der Entscheidung, ein eigenes Label zu gründen?
Sebastian Madsen: Bei unserem letzten Punk-Album «Na gut dann nicht» haben wir schon ziemlich viel selbst gemacht und entschieden. Der Schritt war jetzt irgendwie logisch. Wir haben ein richtig gutes Team hinter uns, das wir mit unserem Freund und Manager Diak zusammen gestellt haben. Bei uns liegt jetzt mehr Arbeit, Verantwortung, aber auch Kreativität. Das fühlt sich im Grossen und Ganzen richtig und gut an.
Was war dadurch in der Entstehung/der Planung des Albums anders und was erwartet die Fans bei dem neuen Werk?
Sascha Madsen: Wir hatten wesentlich mehr Zeit, um das Album entstehen zu lassen. Ursprünglich wollten wir es ja schon 2020 aufnehmen. Dann kam die Pandemie, ein spontanes Punk-Album und Sebastians Soloplatte. Durch diese lange Pause haben wir zu manchen Liedern einen ganz neuen Zugang bekommen. Andere Lieder sind wieder in der Schublade verschwunden und ganz neue sind geschrieben worden. Auch haben wir das Album live eingespielt - ohne Klick oder Metronom zu viert auf analoges Band.
Was verbindet ihr mit dem Begriff «Hollywood», nur Glanz und Glamour?
Sebastian: Nein, wir verbinden damit viel Ambivalenz. Spielberg, Illusion, grosse weite Welt, Eskapismus. Aber auch Machtmissbrauch, miese Arbeitsbedingungen, falsche Versprechen, Burn-out. Genau diese Ambivalenz zeigen wir auf unserem Albumcover. Die Platte heisst «Hollywood» und zu sehen ist die Sternbrücke in Hamburg, die bald abgerissen werden soll. Und mit ihr auch einige altehrwürdige Clubs und Kneipen. Trotzdem strahlt das Cover vor Schönheit.
Passend zur Single «Heirate mich» habt ihr bei Instagram einen Auftritt bei einer Hochzeit von Fans angekündigt. Wie kam es zu der Idee und was macht für euch eine gute Hochzeitsband aus?
Sascha: Wir werden fast täglich über die sozialen Medien gefragt, ob wir nicht auf dieser oder jener Hochzeit spielen können. Durch den Videodreh sind wir dann auf die Idee gekommen, das einfach wirklich mal zu machen. Ich war noch nicht auf einer Hochzeit mit Band - aber es soll den Gästen und vor allem natürlich dem Hochzeitspaar gefallen und eine richtig schöne Erinnerung sein.
Im Herbst geht es auf Tour. Inwiefern ist die Planung von Tourneen über die letzten Jahre (Corona, Inflation) schwieriger geworden? Welche Schlüsse habt ihr für euch daraus gezogen?
Sebastian: Wir sind nicht Beyoncé oder Harry Styles. Deswegen müssen wir uns, wie viele andere auch, immer noch herantasten. Wir haben erstmal nicht die ganz grossen Hallen gebucht. Das Vertrauen muss sich wieder bei den Leuten aufbauen. Zu viele Konzertkarten sind am Kühlschrank hängen geblieben. Jetzt liegt es auch an uns, die Menschen wieder für Konzerte zu begeistern und von der Couch zu holen. Aber ich bin da zuversichtlich!
Wie hat sich euer Tourleben verändert in den Jahren? Ist es weniger Rock ‹n› Roll als früher?
Sascha: Es kommt darauf an, wie man den Begriff Rock ‹n› Roll definiert. Wenn es heisst, weniger saufen und weniger ausufernde Backstage-Partys - dann ja. Wir werden älter und merken, dass unsere Körper weniger verzeihen und wir auf uns achten müssen, wenn wir Konzerte in der Qualität spielen möchten, dass sie unseren Ansprüchen an uns selbst gerecht werden. Und der Begriff ist sowieso mit Vorsicht zu geniessen, weil sich dahinter die Romantisierung abscheulichem Verhaltens versteckt. Drogen- oder Machtmissbrauch wird da schon gerne mal verherrlicht und das war noch nie unser Ding.
Madsen gilt als Live- und Festivalband. Wie hat euch Corona zugesetzt und sind Auswirkungen noch heute spürbar?
Sebastian: Bei den Festivals ist dieses Jahr endlich gefühlt alles wieder so, wie es vor der Pandemie war. Auch die ganz grossen Stars haben eher wenige Probleme, was Ticketverkäufe angeht. Die Leute gönnen sich wieder die «Massen-Events», lassen dafür aber immer noch oft die kleineren Club-Konzerte weg. Wir sind irgendwo dazwischen und hoffen, dass die Leute bald wieder die kleineren Konzerte zu schätzen lernen. Denn die machen mehr Spass als die grossen Dinger: besserer Sound, näher an der Bühne und mehr Intimität.
«Hollywood» ist das neunte Studioalbum. Wird das zehnte besonders gefeiert, zum Beispiel mit einem Greatest-Hits-Werk?
Sascha: Wir haben schon mal einen Witz darüber gemacht, ein Greatest-Hits-Album zu machen, das wird aber so schnell nicht passieren. Ausserdem wäre es dann ja nicht das zehnte Album, sondern nur ein Best Of. Das zehnte Album wird einfach das nächste Madsen-Album, in das wir genauso viel reinstecken werden wie in die neun davor.
Im kommenden Jahr steht zudem das Jubiläum «20 Jahre Madsen» an. Wird das Bandjubiläum besonders gewürdigt?
Sebastian: Wir haben ein paar Sachen geplant, eine ziemlich spektakuläre Sache tatsächlich auch. Seid gespannt!
Gab es auch mal Zweifel oder habt ihr immer an die Band geglaubt?
Sascha: Wir haben immer an die Band geglaubt, was aber nicht heisst, dass man auch mal an sich zweifeln kann, darf oder muss. Wir hinterfragen uns und unser Handeln ständig, das gehört für uns sowohl als Menschen als auch als Musiker dazu. Und ich finde es auch wichtig, das zu tun!
Wie entscheidend für die Langlebigkeit der Band ist es, dass sie überwiegend Brüder- und Familiensache ist? Rauft man sich in schwierigen Zeiten dann eher mal zusammen?
Sebastian: Neulich im Traum habe ich mich mit meinen Brüdern gestritten. Und das so sehr wie nie zuvor. Es war unerträglich, denn wir sind zu keiner Lösung gekommen und ich bin dann einfach abgehauen. Dann bin ich aufgewacht und war heilfroh darüber. Im echten Leben gibt es Konflikte zwischen uns Brüdern, und die sind manchmal intensiver als mit anderen Menschen. Aber wir finden immer Lösungen, weil wir es gelernt haben zu reden. Probleme werden nicht mit auf die Bühne genommen. Denn dort stehen wir für Lebensfreude, Energie, Familie und Miteinander. Wir sind da authentisch, deswegen gibt es uns noch.
Ihr habt euch nach dem Rammstein-Fall öffentlich zu dem Thema Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe geäussert. Hattet ihr Bedenken, euch dazu zu äussern? Welche Reaktionen darauf habt ihr erhalten?
Sascha: Wir hatten keine Bedenken uns zu äussern - wir hatten das dringende Bedürfnis, haben es sehr wohlüberlegt gemacht und formuliert und es war uns bewusst, dass es nicht nur positive Reaktionen hervorrufen wird. Dass unser Statement zum Thema Machtmissbrauch so einen kurzzeitigen Shitstorm entrüsteter Fans auslöste, damit konnten wir nicht rechnen. Es hat sich aber gezeigt, dass sich die Gemüter sehr schnell wieder beruhigt haben, wenn wir darauf hingewiesen haben, doch bitte unser Statement aufmerksam zu lesen, bevor drauflos kommentiert und «gehatet» wird. Machtmissbrauch und alles, was damit zusammen hängt, ist leider nicht nur ein Problem im Musikbusiness und wir können nur hoffen, dass aus solchen Fällen eine Lehre gezogen wird.
Was muss sich in dem Musik- und Konzertuniversum hinsichtlich dieses Themas ändern?
Sebastian: Das Konzept «Rockstar» muss grundsätzlich überdacht werden. Als junger Teenie fand ich zum Beispiel Guns‹n›Roses cool. Die hatten, auf den Bildern in der «Bravo», Whisky-Pullen in der Hand und Groupies im Arm. Ich dachte, Rockstars müssen so sein. Müssen sie nicht. Das Problem ist, dass einige Menschen, die auf grossen, perfekt ausgeleuchteten Bühnen stehen und angehimmelt werden, sich offenbar ihrer Verantwortung nicht bewusst sind. Das zeigen aktuelle Berichterstattungen zu dem Thema leider sehr deutlich. Die nächste Generation macht mir Hoffnung: Sie ist diverser und feministischer. Sie wird die weissen Rockstar-Opas, mit ihren veralteten Klischees, in ihre Schranken weisen!