Isaak Guderian (29) wird Deutschland beim Eurovision Song Contest 2024 in Malmö vertreten. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news verrät der Musiker, wie er die Zeit nach dem Vorentscheid erlebt hat, warum seine Frau eine seiner grössten Unterstützerinnen ist, was noch bis zum ESC auf ihn wartet und wie sein Heimatort Espelkamp auf seine ESC–Teilnahme reagiert hat.
Wie waren die Wochen nach dem Vorentscheid?
Isaak: Ich war tatsächlich viel zu Hause und hatte nicht viele Auswärtstermine. Das war die Ruhe vor dem Sturm. Jetzt geht es los und ab jetzt ist der Terminkalender auch sehr voll und mit vielen Reisen verbunden. Ich habe die entspannte Zeit davor sehr gebraucht. So die ersten drei Tage nach dem Vorentscheid war ich komplett matschig im Kopf, ich war nicht zu gebrauchen. Meine Social Battery war komplett leer. Und der Zustand hätte länger angehalten, wenn es direkt losgegangen wäre mit 1.000 Terminen. Die Zeit zu Hause hat schnell geholfen, wieder auf die Beine zu kommen.
Sie haben beim Vorentscheid gegen namhafte Künstler wie Max Mutzke gewonnen. Wie haben Sie den Abend erlebt?
Isaak: Ich habe es bis zuletzt nicht gecheckt, was hier passiert. Nach den zwölf Jurypunkten war ich überhaupt noch nicht siegessicher und dachte mir nicht: «Die habe ich jetzt alle in der Tasche.» Man muss sich ja nur Lord of the Lost im letzten Jahr ansehen. Die waren nach dem Juryvoting ziemlich weit unten und haben dann durch das Publikum mit absolutem Abstand noch den Sieg geholt. Nach den Punkten vom Publikum war ich wirklich sehr überrascht, das hat man mir glaub ich auch angesehen.
Welche Personen sind auf dem Weg nach Malmö Ihre grössten Unterstützer?
Isaak: Mit grossem Abstand vor allen anderen sind das meine Frau und meine Managerin. Die beiden sind total am Start. Als nächstes würde ich sagen meine Familie, vor allem in Bezug auf meine Kinder, auf die aufgepasst werden muss. Wir können sie leider nicht überall hin mitnehmen und meine Frau ist eben auch festes Teammitglied. Das ist eine sehr aussergewöhnliche Zeit für uns alle.
Welche Aufgaben übernimmt Ihre Frau?
Isaak: Sie ist sehr viel bei kreativen Entscheidungen mit dabei, die nicht zwangsläufig mit Musik zu tun haben. Insbesondere was die Bühneninszenierung und das Styling anbelangt. Sie macht zum Beispiel auch meine Nägel und meine Haare.
Es wurde bekannt, dass Sie nicht erst im ESC–Finale, sondern schon im Halbfinale auftreten dürfen. Wie finden Sie das?
Isaak: Das finde ich stark. Ich kann einfach mitmachen und ich muss nichts befürchten (lacht). Ein Millionenpublikum on top – nehme ich mit. Ich weiss es tatsächlich auch schon länger. Mir wurde es gleich am nächsten Tag nach dem deutschen Finale gesagt. Auch das mit der Zensur [Songzeile vom deutschen Beitrag musste wegen eines in den ESC–Regeln verbotenen Kraftausdrucks geändert werden, Anm. d. Red.] wusste ich schon viel länger, bevor die Medien davon berichteten. Ich konnte das also gelassen verfolgen (lacht). Der Plan ist jetzt auf jeden Fall, dass ich ab dem 1. Mai in Malmö sein werde.
Haben Sie irgendeinen Bezug zu Malmö oder Schweden?
Isaak: Ich habe Familienmitglieder, die in Schweden wohnen. Aber ich habe dort noch nie richtig Zeit verbracht und bin nur mal durchgefahren. Woran ich auf jeden Fall immer denke, wenn ich Schweden höre, ist, dass ich bei einem Festival an einem schwedischen Stand unfassbar leckere Kartoffelknödel mit Preiselbeersauce gegessen habe. Die haben mich gekriegt (lacht). Ich hoffe, ich kann sie in Malmö wieder essen.
Welche Bedenken oder Ängste haben Sie, wenn sie an Ihren ESC–Auftritt denken?
Isaak: Gar keine. Den Druck habe ich eher vor dem deutschen Finale gespürt. Es ist ein langes Prozedere, um da überhaupt reinzukommen und es war eine Menge vorzubereiten. Es mussten viele Fragen geklärt werden, wir hatten Meetings und ich bin nach Hamburg, Wien und Berlin gereist. Das ganze Team hat da wirklich viel Arbeit reingesteckt und da dachte ich mir schon: «Wenn das hier nichts wird, war das alles umsonst.» Aber jetzt haben wir es ja in der Tasche (lacht). Selbst wenn es der letzte Platz werden würde, wird mir das auch keiner übelnehmen. Alle werden wieder sagen: «Das ist der deutsche ESC–Fluch, es ist egal, wen wir hinschicken, wir werden sowieso Letzter.» Von daher mache ich mir da gar keinen Kopf. Und: Da gucken einfach 250 Millionen Menschen zu. Angenommen mich mögen 90 Prozent davon nicht, dann bleiben immer noch 25 Millionen Menschen übrig. Das ist absurd viel. Ich bin sicher, es wird zwangsläufig Menschen geben, die den Song so fühlen, wie ich ihn fühle.
Sie wollen sich mit der Musik also international aufstellen?
Isaak: Wir werden auf jeden Fall alles dafür geben. Man weiss nie, wo einen so eine Karriere hinführt. Aber meine Türen sind offen und ich nehme mit Kusshand alles entgegen, was auf mich zukommt.
Wie läuft die Vorbereitung für den ESC–Auftritt ab, arbeiten Sie noch an Ihrem Song?
Isaak: Ich hatte schon vor dem deutschen Finale den Wunsch, den Song noch einmal zu ändern. Im Original war er drei Minuten 20 Sekunden lang, für den ESC mussten wir ihn auf drei Minuten bringen, was wir vor dem Vorentscheid gemacht haben. Doch dann hat der Song ohne Intro sofort angefangen, das war mir ein bisschen zu hektisch. Deshalb sassen wir noch mal dran. Bis zuletzt war ich mir nicht sicher, ob man einen Song vor dem ESC noch ändern darf, aber wir haben das OK bekommen und haben es in der kurzen Zeit jetzt noch umsetzen können. Das ruhigere Intro mit Streichern hat den Track noch mal deutlich aufgewertet und er hat jetzt mehr ESC–Charakter, weil er ein bisschen pathetischer klingt.
Haben Sie sich schon mit Ihrer Konkurrenz beschäftigt?
Isaak: Ich habe mir andere Songs angehört. Und wenn ich jemanden nennen müsste, gehören zu meinen Favoriten auf jeden Fall Ungarn und Frankreich. Aber ich würde nicht sagen, dass ich mich mit Konkurrenz beschäftigt habe. Ich habe nicht diesen Kampfgeist und male mir bessere Chancen aus oder denke: «Diesen Act stecke ich auf jeden Fall in der Tasche.» Der ESC hat mir in den letzten Jahren immer wieder gezeigt, dass meine persönliche Einschätzung bezüglich Musik dort nicht stattfindet. Es waren immer komplett andere Ergebnisse im Vergleich zu den Favoriten, die auf meinem Zettelchen standen. Deshalb fokussiere mich schon sehr auf mich, meine Stärken und meinen eigenen Auftritt. Ich glaube, man überzeugt durch Überzeugung und nicht dadurch, dass man sich den Leuten anbiedert und ihren Erwartungen entsprechen will, um eine möglichst hohe Punktzahl zu bekommen.
In Amsterdam und Madrid sind Sie bei Pre–ESC–Shows dabei. Was wird da auf Sie zukommen?
Isaak: Ich bin der Typ: Erstmal hin da und dann gucken wir (lacht). Mir geht es auf der ESC–Reise einfach darum, eine unfassbar schöne Zeit zu haben und so viel wie möglich davon aufzusaugen für die Zukunft. Ich glaube, es wird ein gutes Training sein, mit diesem Adrenalinlevel klarzukommen. In Amsterdam werden mehrere Tausend Menschen sein, in Malmö sind es dann rund 11.000 Leute im Publikum. Ich hatte bisher in meinem Leben nur einen Auftritt auf diesem Level, das war auf dem Parookaville–Festival. Dabei muss jeder seine eigenen Techniken herausfinden, wie man mit einem besonders niedrigen Puls auf die Bühne geht. Du neigst oft dazu, wenn so viele Leute dich anfeuern, mit 100 Prozent zu starten und dann kannst du dich nicht mehr steigern.
Wie gehen Sie mit Feedback um?
Isaak: Ich bekomme sehr viel Input von Leuten. «Mach‹ doch deine Performance so, guck› doch hier mal in die Kamera» und so weiter. Ich höre zu und nehme das auf, aber ich lasse das mehr wie ein Gefühl durch mich durchströmen und sehe, was es mit mir macht. Ich glaube, das Schlimmste, was man machen kann, ist, dass du auf der Bühne stehst und dann nachdenkst: «Sollte ich jetzt den Fuss hier hinstellen oder dort?» Ich will mit meinem Körper und mit meinen Gedanken ganz bei dem Song und bei dieser Story sein, von der ich singe. Je mehr ich bei dem Song bin, desto besser wird der Auftritt.
Inwiefern helfen Ihnen heute noch die Erfahrungen als Strassenmusiker?
Isaak: Egal, was für Auftritte ich gespielt habe, die Strassenmusik war schon immer ein Teil von mir. Und sie hat mich vieles gelehrt. Vor allem, dass es sich lohnt, mutig zu sein und für sich selber einzustehen. Am meisten habe ich gelernt, wenn irgendwas schiefgelaufen ist. Ich kann mich noch an meinen ersten Clinch mit einem Herrn in Minden erinnern, der sein Fenster geöffnet und mich beleidigt hat. Es war der erste Moment in meinem Leben, wo ich das Gefühl hatte, ich muss mich wehren. Ich meinte zu ihm: «Das kann man aber auch netter sagen.» Ich dachte, der kommt jetzt runter und greift mich an. Was stattdessen passiert ist, ist diese Gruppendynamik und die Leute um mich herum sind mir zur Seite gesprungen und haben mich unterstützt.
Sie durften sich in Espelkamp ins Goldene Buch eintragen. Welche Reaktionen kamen noch aus Ihrem Heimatort?
Isaak: Alle sind stolz wie Bolle. Ich bekomme ganz viele Nachrichten, generell aus dem Kreis Minden–Lübbecke. Viele sehen sich wirklich als Teammitglied und sagen: «Hey, das ist cool, dass einer von uns da dabei ist.» Public Viewing für den ESC ist bereits geplant. Ein paar hatten auch kurzzeitig überlegt, mit einem Reisebus nach Malmö zu fahren, haben dann aber die Ticketpreise für die Show gegoogelt und haben es sich wieder anders überlegt (lacht).
Trotzdem können Sie dort noch normal auf der Strasse herumlaufen?
Isaak: Ja, ich kann in Ruhe einkaufen gehe, das hat sich alles wieder gelegt. Ich merke zwar die Blicke und zwischendurch kommt mal ein ganz trockenes, westfälisches «Glückwunsch» oder «Toi, toi, toi», aber das ist ja angenehm und respektvoll. Wir hatten auch mal ein Meeting in einem Restaurant und erst am Ende, als wir aufgestanden sind, ist der ganze Laden aufgestanden und alle haben nach Fotos gefragt. Das fand ich so schön, dass sie uns extra nicht gestört haben, sitzengeblieben sind und gewartet haben, bis wir fertig sind.