«Dieses Lied gehört nicht mehr mir»: Zunächst frustriert und später mit Stolz erfüllt soll Nine–Inch–Nails–Sänger Trent Reznor (58) auf Johnny Cashs (1932–2003) Cover seines Songs «Hurt» aus dem Jahr 2002 reagiert haben. Schlichtweg zu gut fassten Reznors Lyrics Cashs nahenden Abschied zusammen. Zu berührend fiel das dazugehörige Musikvideo aus, das das Leben der Country–Legende Revue passieren liess – und einem noch heute, genau 20 Jahre nach Johnny Cashs Tod, mit Anlauf die Tränen in die Augen schiesst.
Höchste Zeit für einen Blick auf den Werdegang des mit unverkennbarer Bassbariton–Stimme gesegneten «Man in Black», der sich gerne mit schwarzer Klamotte als Outlaw inszenierte und kurz vor dem Tod seine musikalische Wiederauferstehung feierte.
Prägende Tragödien
Wie viele Musiker verarbeitete Cash in seinen Liedern häufig Dinge, die er am eigenen Leib erfahren hat. Etwa einer seiner ersten Hits, «Five Feet High And Rising», handelt von den Überschwemmungen der heimischen Farm, die er als kleiner Junge miterlebte. Die generelle Tonalität vieler seiner Werke – von Spiritualität bis hin zu tiefer Trauer – wurde aus einer Tragödie heraus geboren: Als Cash zwölf Jahre alt war, kam sein zwei Jahre älterer Bruder Jack bei einem schrecklichen Unfall mit einer Kreissäge ums Leben. Auch über 50 Jahre später konnte der sonst so stoisch wirkende Cash in einem TV–Interview nur mit bebender Stimme über diesen Vorfall reden.
Glücklicherweise erschoss Cash aber nie selbst einen «Mann in Reno, nur um ihn Sterben zu sehen». Den kaltblütigen Gangster, den Outlaw mimte Cash in Liedern wie «Folsom Prison Blues» stets nur aus Showzwecken. Zwar hatte er – vornehmlich wegen Drogendelikten – zur rechten Zeit seine Querelen mit dem Gesetz. In den Knast ging es für ihn Ende der 1960er Jahre aber als freier Mann – in seinen legendären Gefängniskonzerten.
Johnny Cash – einer von uns
Das Jahr 1968 stellte für Johnny Cash in mehrfacher Hinsicht ein wegweisendes dar. So gab er zwei der denkwürdigsten Konzerte seiner langen Karriere binnen weniger Monate: Im Januar schlug er gemeinsam mit seiner Band und unter grossen Sicherheitsbedenken im Folsom State Prison auf und performte unter frenetischem Jubel der Insassen seine Hits. Kurze Zeit später liess er einen Auftritt in der Strafanstalt San Quentin folgen und sorgte auch dort, wo unter anderem Mörder einsassen, für ein zweifelhaftes Gefühl der Solidarität unter den Häftlingen: Dieser Johnny Cash, das ist im Herzen einer von uns!
Zwischen den beiden Knast–Konzerten gelang Cash noch ein weiterer Drahtseilakt. Die Liebe seines Lebens, June Carter (1929–2003), sagte bei seinem Hochzeitsantrag während eines Live–Konzerts endlich Ja. Zuvor hatte diese ihm, trotz starker Gefühle für den Musiker, ein ums andere Mal einen Korb vergeben – Cashs anhaltende Drogeneskapaden, über die sie Jahre zuvor bereits den Welthit «Ring of Fire» verfasst hatte, waren ihr ein zu grosser Dorn im Auge. Dennoch läuteten am 1. März 1968 die Hochzeitsglocken und tatsächlich nur der Tod konnte sie wieder scheiden.
Die schwere Synthie–Ära
Während sich die 1970er Jahre noch ausgesprochen erfolgreich gestalteten, fand sich Cash – wie quasi die gesamte Country–Szene – in den 1980er Jahren in einem kreativen Limbo gefangen. Synthie und Country wollten nicht so recht zusammenpassen, ohne schien in den Charts in dieser Epoche allerdings nichts zu gehen.
Sein langjähriges Plattenlabel Columbia Records trennte sich schliesslich von ihm und Cash drohte, als Relikt des Wild–West–Kults in Vergessenheit zu geraten. In der Tat dauerte es bis ins Jahr 1994, ehe es zu einer Zusammenarbeit kam, die noch weit nach Cashs Tod kreative Früchte trug.
Der Musik–Nekromant Rick Rubin
Rick Rubin (60) lautet der Name des Produzenten, der an Cashs mausetot wirkenden Karriere den Defibrillator ansetzte. Das gemeinsame Album «American Recordings» sollte später zu einer gesamten Reihe ausgeweitet werden. Auf diesen Platten finden sich neben vereinzelten neuen Songs des Country–Stars vornehmlich Cover–Versionen, die Cash in seiner unnachahmlichen Weise neu interpretierte. Etwa «Bird On A Wire» von Leonard Cohen (1934–2016), später auch Soundgardens «Rusty Cage», «One» von U2 oder «Solitary Man» von Neil Diamond (82).
Oder eben das eingangs erwähnte «Hurt» der Industrial–Rockband Nine Inch Nails. Der Song erschien auf dem letzten der «American Recordings»–Alben, das noch zu Lebzeiten von Cash veröffentlicht wurde. Darauf fanden sich zwar auch gelungene Cover wie «Personal Jesus» von Depeche Mode oder «Bridge Over Troubled Water» von Simon & Garfunkel. Doch keines davon kam mit der Gravitas von «Hurt» daher, wurde das Lied doch rückwirkend als Cashs emotionales Lebewohl angesehen.
Ein erster Abschied, zunächst von seiner geliebten June, die kurz nach dem gemeinsamen «Hurt»–Videodreh mit 73 Jahren an den Folgen einer Herzklappen–OP verstarb. Und kurz darauf von der Welt selbst, als Johnny Cash ihr keine vier Monate später mit 71 Jahren folgte.
Millionen Menschen endeckten Cash dank Musikproduzent Rubin erst, als es zu spät schien – doch die Country–Grösse hatte vorgesorgt. Die Phase kurz nach dem Tod seiner Frau hatte Cash, inzwischen selbst schon an einen Rollstuhl gebunden und stark sehbehindert, 2003 als die vielleicht produktivste seiner Karriere bezeichnet. Und so schenkte er seinen Fans noch aus dem Jenseits zwei weitere Ausgaben der «American Recordings»: 2006 erschien «A Hundred Highways» und 2010 die Platte mit dem passenden Namen «Ain't No Grave» – denn tatsächlich konnte auch das Grab Cash nicht davon abhalten, noch einmal die Charts zu stürmen.