1. Home
  2. News
  3. Karlheinz Böhm: Die Wut machte ihn zum Menschenfreund
Er gründete «Menschen für Menschen»

Karlheinz Böhm: Die Wut machte ihn zum Menschenfreund

Mit den «Sissi»–Filmen wurde er berühmt, in Erinnerung bleibt Karlheinz Böhm aber vor allem auch durch seine wohltätige Arbeit. Vor zehn Jahren starb der berühmte Schauspieler.

Artikel teilen

Karlheinz Böhm bei einem Auftritt in München.
Karlheinz Böhm bei einem Auftritt in München. imago/Lindenthaler

Wut. Dieser heftige Ausbruch, der in seiner aggressiven Form zur Raserei werden kann, ist eine Emotion, die andere Menschen unangenehm berührt, abstösst oder ängstigt. Wut wird nicht positiv wahrgenommen – und der Wüterich schon gar nicht. Wenn ein Mann von sich behauptet, blanke Wut sei bei ihm die entscheidende Triebfeder einer Lebenswende zum Besseren gewesen, so liegt der Verdacht nahe: Dieser Mensch ist wahnsinnig oder sehr mutig oder beides.

Karlheinz Böhm (1928–2014) war nicht wahnsinnig, er war mutig. Über Nacht ist er aus der üppigen Komfortzone seines Lebens als vermögender Künstler ausgebrochen und hat sich in den Dienst der Ärmsten der Armen gestellt. Diese radikale Wendung, zu der ihn eine ungeheure Wut über «die Ungerechtigkeit zwischen Arm und Reich» trieb, hat sein Leben überdauert. Böhm ist am 29. Mai 2014 im Alter von 86 Jahren gestorben.

Auch zehn Jahre später ist er noch bekannt für seine Stiftung «Menschen für Menschen», eine Hilfsorganisation, die in Äthiopien Millionen von Armen geholfen hat und immer noch hilft. Allein in den ersten 30 Jahren sammelte «Menschen für Menschen» unter der Leitung von Karlheinz Böhm rund 415 Millionen Euro an Spendengeldern ein.

Die «Sissi»–Filme machten Karlheinz Böhm berühmt

Natürlich ist da noch der andere Karlheinz Böhm, der attraktive Schauspieler, der regelmässig an der Seite der liebsten Filmfrau der Deutschen im Fernsehen zu sehen ist: In den drei «Sissi»–Filmen mit der jungen Romy Schneider (1938–1982) spielte er von 1955 bis 1957 den Ehemann Kaiser Franz Joseph I. So wurde er berühmt.

Eigentlich ist er bereits prominent zur Welt gekommen. Sein Vater Karl Böhm (1894–1981) war ein weltberühmter Dirigent aus Graz, die Mutter Thea Linhard (1903–1981), eine gefeierte Sopranistin, u.a. an der Staatsoper München. Die Familie lebte immer dort, wo der Vater gerade engagiert war. So kam es, dass der Österreicher Karlheinz Böhm am 16. März 1928 im hessischen Darmstadt, wo Karl Böhm als Generalmusikdirektor arbeitete, geboren wurde.

Weitere Stationen des jungen Böhm waren Hamburg und Dresden, wo Karl Böhm mit der Protektion Adolf Hitlers von 1934 bis 1943 die Semperoper leitete. 1943 ging es nach Wien, als Chef der Staatsoper. Karl Böhm galt als ein Schutzbefohlener Hitlers, nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er zunächst mit einem Auftrittsverbot belegt, gleichwohl schickte er seinen Sohn 1942 auf ein Schweizer Internat, angeblich um ihn dem Einfluss der Nationalsozialisten zu entziehen.

Karl Böhm war für den Sohn eine überlebensgrosse Vaterfigur, der auch nach dem Krieg seine Karriere fortsetzte und mit den Wiener Philharmonikern einer der besten Dirigenten der Welt wurde. Dieser schwierige Mann, der eigentlich Jurist mit Doktortitel war, bevor er sich ganz der Musik widmete, war für den Sohn gleichermassen Vorbild und Zuchtmeister. Obwohl er später eine grosse Laufbahn als Schauspieler hatte, konnte Karlheinz Böhm als Künstler nie die Höhenflüge seines Vaters erreichen.

Erfolg in den USA blieb ihm verwehrt

Zunächst wollte er nach dem Vorbild der Eltern auch Musiker werden, Pianist. Er spielte sogar als Jugendlicher dem Klaviervirtuosen Wilhelm Backhaus (1884–1969) vor, dessen Urteil ernüchternd war: «Von einem Sohn vom Böhm hätte ich ein bisschen mehr erwartet.» Nach dem Abitur studierte er Anglistik, Germanistik und Kunstgeschichte, brach ab, um in Wien Schauspielunterricht zu nehmen.

Und er machte Karriere. Im Theater und beim Film. Den Durchbruch schaffte Karlheinz Böhm ab 1955 in der «Sissi»–Trilogie als Kaiser Franz Joseph I. an der Seite der zauberhaften jungen Romy Schneider. Wie sie versuchte er anschliessend diesem bittersüssen Image zu entfliehen, auf das ihn seine Rolle festgelegt hatte. Romy ging nach Paris, Karlheinz Böhm wagte den Sprung nach USA und spielte 1960 unter der Regie von Michael Powell (1905–1990) in dem Thriller «Augen der Angst» (1960) einen Frauenmörder. Ein psychologisch grossartig inszenierter Film, der jedoch wegen seines beklemmenden Inhalts von den Kritikern wie vom Publikum abgelehnt wurde. Heute gilt «Augen der Angst» als Meisterwerk, doch damals wollte niemand Sissis Franzl als psychopathischen Killer sehen.

Nach diesem Fehlschlag und fünf eher enttäuschenden Filmprojekten kehrte Böhm Mitte der 60er–Jahre nach Europa zurück – und wurde vom Regisseur Rainer Werner Fassbinder (1945–1982) neu entdeckt. Bei ihm glänzte Böhm in vier Filmen, brillant war sein Comeback im Psychothriller «Martha» (1974), in dem er einen sadistischen Ehemann spielte. Insgesamt hat er über 45 Kinofilme gedreht.

Kampf gegen die Armut Afrikas

Die Zusammenarbeit mit Fassbinder hat auch Böhms sozialpolitisches Weltbild geschärft. Bei einem Erholungsurlaub in Kenia nahm ihn ein einheimischer Hotelangestellter mit nach Hause, der Schauspieler sah eine Armut, die er sich vorher auch nur ansatzweise nicht vorstellen konnte. Er verspürte eine «ungeheure Wut über die gigantische Diskrepanz zwischen Arm und Reich auf unserem gemeinsamen Planeten Erde». Aus dieser Konfrontation ist ein völlig neuer Lebensinhalt geworden: Böhm beschloss seinen persönlichen Kampf gegen die Armut Afrikas.

Als Gast der ZDF–Show «Wetten, dass..?» wettete er am 16. Mai 1981, dass nicht einmal jeder dritte Zuschauer eine Mark bzw. einen Schweizer Franken oder sieben österreichische Schilling für notleidende Menschen in der Sahelzone spenden würde. Er selbst versprach, sein künftiges Leben den armen Menschen in Afrika zu widmen, falls er die Wette verlöre. Böhm gewann seine Wette, es wurden «nur» umgerechnet 600.000 Euro gespendet, doch diese Summe war für ihn so ermutigend, dass er trotzdem seinen Wetteinsatz einlöste. Er hängte die Schauspielerei an den Nagel und gründete die Stiftung «Menschen für Menschen», um die Not in Äthiopien zu lindern.

Der «Wiener Zeitung» schilderte er sein neues Berufsleben so: «Ich bin Schauspieler gewesen und geblieben. Ich habe nur das Kostüm und die Maske abgelegt und spiele mich jetzt selbst – mit den Ausdrucksmitteln, die ich erlernt habe. Ich erzähle den Menschen in Europa, was ich in Äthiopien gesehen habe und was mich berührt hat. Und ich versuche sie zu berühren, damit sie mir Vertrauen schenken und Geld geben, damit ich meine Aufgabe erfüllen kann.»

Mit seiner Stiftung baute Böhm über 300 Schulen, förderte nachhaltige landwirtschaftliche Projekte, kämpfte für die Gleichberechtigung der Frauen. Fast 30 Jahre verbrachte er mehrere Monate im Jahr in Äthiopien, in der Hauptstadt Addis Abeba wurde ein Platz (Karlsplatz) nach ihm benannt, 2003 erhielt er die äthiopische Ehrenstaatsbürgerschaft.

Karlheinz Böhm war viermal verheiratet

In Äthiopien hat er auch seine spätere vierte Ehefrau kennengelernt, die Agrarexpertin Almaz Teshome (59), die er 1991 heiratete und mit der er zwei Kinder hat. Zuvor war er in erster Ehe ab 1954 mit Elisabeth Zonewa drei Jahre verheiratet, das Paar hatte Tochter Sissy. Aus der zweiten Ehe (1958–1962) mit der Sängerin und Schauspielerin Gudula Blau (84) gingen drei Kinder hervor, darunter die Darstellerin Kristina Böhm (65). Die dritte Ehe schloss er mit dem polnischen Star Barbara Lass (1940–1995), die zuvor mit Roman Polanski (90) verheiratet war. Ihre gemeinsame Tochter machte ebenfalls vor der Kamera Karriere: Katharina Böhm (59).

Seine letzten Jahre, die von einer Alzheimer–Erkrankung verdüstert waren, verbrachte er in Grödig bei Salzburg. Dort ist er auch gestorben. Sein Lebenswerk, der Verein «Menschen für Menschen», hat seinen Tod überdauert und stellt es sich nach wie vor zur Aufgabe, «die Lebensbedingungen der Menschen im ländlichen Äthiopien nachhaltig zu verbessern» – gemäss dem Motto von Karlheinz Böhm: «Es gib keine erste, zweite oder dritte Welt. Wir alle leben auf ein und demselben Planeten, für den wir gemeinsam die Verantwortung tragen.»

Äthiopien hat er als seine wahre Heimat bezeichnet. Dort wollte er «eines Tages in die Natur zurückkehren, aus der ich gekommen bin». Er hat seine letzte Ruhestätte in einem Ehrengrab in Salzburg gefunden – eingebettet in äthiopischer Erde.

Von SpotOn am 29. Mai 2024 - 12:33 Uhr