Die Entstehungsgeschichte des 25. «Bond»–Teils «Keine Zeit zu sterben» war selbst hollywoodreif. Zuerst der gewollte Wechsel des Regisseurs. Dann eine ungewollte Explosion und weitere Rückschläge am Set. Und schliesslich die grösste Herausforderung, der sich 007 je stellen musste: Corona. Im September 2021 und gut zwei Jahre später als ursprünglich geplant, feierte Daniel Craig (56) nach 15 Jahren im Dienste Ihrer Majestät schliesslich seinen Abschied als James Bond. Nicht ganz drei weitere Jahre danach, am 7. April um 20:15 Uhr bei RTL, tut er dies nun endlich auch in seiner Free–TV–Premiere.
Der Thanos unter den Bond–Widersachern – darum geht es
James Bond hat den Dienst als MI6–Agent 007 endgültig quittiert. Im Wissen, dass Spectre–Chef Ernst Stavro Blofeld (Christoph Waltz, 67) weggesperrt ist, geniesst er sein Leben an der Seite von Madeleine Swann (Léa Seydoux, 38) im italienischen Küstenparadies. So ganz will der Doppelnull–Agent a.D. dem Frieden aber nicht trauen. «Du schaust schon wieder über deine Schulter», fällt auch seiner Liebsten auf. Doch Bonds Instinkt täuscht ihn nicht, Spectre–Schergen sind dem Paar bereits auf den Fersen. Ehe sich die beiden versehen, müssen sie im Kugelhagel schweren Herzens getrennte Wege gehen.
Es ziehen fünf Jahre ins Land. Bond hat sich nach Jamaika zurückgezogen, als er unerwarteten Besuch von seinem ehemaligen CIA–Kollegen Felix Leiter (Jeffrey Wright, 58) bekommt. Der bittet ihn um einen letzten Rücktritt vom Rücktritt, um einen entführten Wissenschaftler zu befreien. Doch was wie eine gewöhnliche Rettungsmission anmutet, entpuppt sich als Bonds schwerster Auftrag. Samt des Wissenschaftlers ist dem Schurken Lyutsifer Safin (Rami Malek, 42) eine toxische Superwaffe in die Hände gefallen, mit der gezielt einzelne Menschen, ganze ethnische Gruppen und bei Bedarf die gesamte Menschheit ausgelöscht werden können. Um dies zu verhindern, findet sich Bond widerwillig im wohlbekannten Büro von M (Ralph Fiennes, 61) ein, wenn auch nicht mehr als 007 – seine Kennzahl wurde inzwischen neu vergeben...
Ein Schurke alter Schule
Im erfrischend bodenständigen «Casino Royale» (2006) bekam es der damalige Neu–Bond Craig noch mit einem geldgeilen Poker–Betrüger (Mads Mikkelsen, 58) zu tun. Bei «Skyfall» war es ein ehemaliger MI6–Agent (Javier Bardem, 55) mit Mutterkomplex. In «Keine Zeit zu sterben» liefert US–Regisseur Cary Fukunaga (46) zahlreiche Reminiszenzen an die kultigen Schurken, mit denen sich schon Sean Connery (1939–2020) herumschlagen musste. Zwar treibt auch Safin ein persönlicher Rachefeldzug zu seinen Taten an. Letztendlich ist er aber ein klassisches Bond–Scheusal mit hauseigener Geheimbasis auf einer abgelegenen Insel, von wo aus er die Menschheit bedroht. Und auch einem viel zu knapp eingestellten Countdown muss Bond im Finale des Films davonrennen.
Mit Oscarpreisträger Rami Malek wurde ein ausdrucksstarker Schauspieler gefunden, um Bond herauszufordern. Doch auch hier bleibt der Film einer alten Tradition der Reihe treu: Viel bekommt der Zuschauer trotz einer Laufzeit von knapp drei Stunden nicht vom Bösewicht zu sehen. Stattdessen müssen der ausgediente sowie die neue 007 (gespielt von Lashana Lynch, 36) zumeist mit Safins Handlangern vorliebnehmen. Die rar gesäten Aufeinandertreffen von Bond und Bond–Bösewicht sind dafür aber umso intensiver.
Woke, James Woke
Gänzlich andere Vorzeichen beim Titelhelden. War es 007–Traditionalisten schon ein Dorn im Auge, dass ausgerechnet der bulligste Bond aller Zeiten in «Casino Royale» Gefühle zeigte, dürfte sich ihr Unmut mit «Keine Zeit zu sterben» potenziert haben. Endgültig vorbei scheint die Zeit, in der Bond einfach nehmen kann, was er will – sei es ein Leben oder eine Frau. Nicht der plakative Bösewicht ist Craigs finaler Widersacher. Es sind die durch Safin symbolisierten, überholten Gesetzmässigkeiten der gesamten Filmreihe, gegen die er mit Inbrunst ankämpft. Und so wacht er jetzt nicht mehr alle halbe Stunde neben einer neuen, im Grunde zum Tode verurteilten Schönheit auf. Sondern bereitet einem kleinen Mädchen Frühstück zu und freut sich über deren Reaktion auf seine beschränkten Kochkünste: «Nicht schlecht».
Dem Mangel einer emotionalen Ebene war es bislang sowohl geschuldet als auch zu verdanken, dass ein «Bond»–Film kurzweilige Unterhaltung darstellte. Versucht, diese Formel aufzubrechen, hat zwar schon «Im Geheimdienst Ihrer Majestät» von 1969 mit 007–Eintagsfliege George Lazenby (84), der für wenige Augenblicke den Bund der Ehe eingehen durfte. Gut kam die Vorstellung einer Mrs. Bond und eines monogamen Superspions aber nicht an. Und so kam es nicht mehr vor.
Die emotionale Fallhöhe ist in «Keine Zeit zu sterben» folglich so hoch wie nie zuvor. Während das Ende eines klassischen «Bonds» schon fast vergessen war, bevor man es aus dem Kino geschafft hat, hängt einem dessen Finale lange nach. Das liegt ohne Wenn und Aber an einem Daniel Craig, der zum Abschluss seiner 007–Laufbahn noch einmal alles gibt. Bond ist charmant bis brachial, tough bis erstaunlich nah am Wasser gebaut. Kurzum: ungewöhnlich vielschichtig und noch einmal eine ganze Schippe menschlicher.
Und er bekommt mehr weibliche Hilfe denn je zur Seite gestellt. Die Bond–Women (nicht mehr Bond–Girls) sind immer noch Blick–, aber bei weitem kein Kugelfang mehr. Im Gegenteil, ein ums andere Mal sind es Nomi, Madeleine oder die mit einem eindrucksvollen Kurzauftritt versehene Ana de Armas (35) als CIA–Neuling Paloma, die Bond den Doppelnull–Hintern retten. Der Einfluss von «Fleabag»–Star Phoebe Waller–Bridge (38), die hinzugeholt wurde, um den weiblichen Figuren Tiefgang zu verleihen, ist nicht zu übersehen.
Abschied in fünf Akten
Eine andere Tradition der «Bond»–Reihe brachen bereits Craigs vorangegangenen Filme. Waren die Streifen davor weitestgehend abgeschlossene Geschichten, bauten sie ab «Casino Royale» aufeinander auf. «Keine Zeit zu sterben» ist da keine Ausnahme. Wer keine Idee mehr hat, welchen Gefahren sich Bond in den vier Filmen zuvor stellen musste und welche Figuren er traf, der sollte sich zumindest noch einmal besagten «Casino Royale» und «Spectre» von 2015 ansehen. Das erleichtert den Einstieg ungemein und macht eine Szene zwischen Craig und Waltz umso imposanter.
Noch eine weitere Besonderheit weist der neue Film auf: Bond hat darin ganz schön lange «Keine Zeit zu sterben», genauer gesagt ist es mit über 160 Minuten Laufzeit der bis dato längste Teil der Reihe. Und genau damit ist sie endgültig und wortwörtlich passé, die Kurzweil. Eine gute halbe Stunde weniger wäre bei Craigs fulminantem Lebwohl mehr gewesen.
Fazit
Lohnt sich Craigs Abschied als James Bond? Ja, wenn einem die Weiterentwicklung des Titelhelden weg von überholten Klischees zusagt und man überrascht werden will. Nein, wenn einem die klassische Darstellung von Bond am Herzen liegt. Denn seinen Wodka Martini mag Bond weiterhin geschüttelt trinken. Er selbst rührt nun aber.