Konstantin Wecker steht auch mit 75 Jahren noch auf der Bühne. Nach fünf Jahrzehnten Karriere blickt der Musiker im Interview mit spot on news auf eine grosse Wandlung seines Lebens zurück: Wie er vom «wirklich doofen Macho», wie er selbst sagt, zum Feministen wurde. Bei seinen Söhnen erlebe er «mit grosser Freude», dass sie keiner «Macho-Generation» mehr entstammen so wie er selbst. Man müsse «das Glück haben, grossartigen Frauen begegnen zu dürfen», sagt Wecker.
Sie machen sich stark für Feminismus. Woran fehlt es, was muss aus Ihrer Sicht getan werden für eine gleichberechtigte Gesellschaft?
Konstantin Wecker: Ich habe immer schon geträumt und in all meinen Liedern und Gedichten immer wieder von einer herrschaftsfreien und gleichberechtigten Welt mit gleichberechtigten Menschen gesprochen. Und was jetzt getan werden muss, ist, sich endlich vor Augen zu führen, dass diejenigen, die uns seit Jahrtausenden beherrscht haben, vorrangig nur Männer waren. Wie sähe wohl eine Welt aus, in der es wie früher bei den indigenen Völkern - denn da gab es das! - eine wirkliche Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau gibt? Die gleichberechtigte Welt herrscht nicht. Überlegen Sie doch mal - von Caligula bis Trump und Putin! Sie und ich könnten noch ein paar hundert Herrscher aufzählen. Das ist alles das gleiche Prinzip. Wir müssen doch mal beginnen, uns gegen so etwas zu wehren.
Was macht denn aus Ihrer Sicht einen männlichen Feministen in einer Gesellschaft aus, wie sie wünschenswert wäre?
Wecker: Vielleicht sollte ich da mal mit meiner eigenen Geschichte beginnen. Ich entstamme einer Macho-Generation, das ist überhaupt keine Frage. Das merke ich umso deutlicher, je mehr ich meine Söhne aufwachsen sehe und mit grosser Freude erlebe, dass das eben keine Macho-Generation ist. Auch die Jugendlichen von Fridays for Future sind einfach anders drauf. Ich habe das grosse Glück gehabt, dass ich in meinen Liedern und in meinen Gedichten immer klüger war als in meinem Sein und meinem Ego. Sogar als junger Mann, als wirklich doofer Macho, habe ich Lieder geschrieben, die anders waren, weil ich aus einer anderen, tiefen Quelle meine Poesie schöpfen durfte.
Da gab es so lustige Geschichten wie die, dass junge Frauen, die meine Lieder sehr mochten und mich dann nach dem Konzert ein bisschen erlebt haben, mich fragten: «Hast wirklich du diese Lieder geschrieben?» Die waren völlig erstaunt darüber, dass so ein Typ, der auch so aussah wie ein Minizuhälter, solche Lieder geschrieben hat. Dieser Widerspruch ist mir lange geblieben. Ich habe mir meinen Feminismus über Jahrzehnte erarbeitet, auch aufgrund meiner Poesie, die mich anleiten konnte, und dann natürlich durch die Begegnung mit wunderbaren, grossartigen Frauen. Ich hoffe, für die junge Generation ist es anders. Bei meinem Söhnen merke ich es deutlich. Aber für uns Männer ist es schon auch Arbeit, dass wir uns endlich, nach Jahrtausenden Nicht-gleichberechtigt-Sein, diese Gleichberechtigung wirklich aneignen. Das geht intellektuell und emotional und man muss schon das Glück haben, grossartigen Frauen begegnen zu dürfen.
Sie haben gesagt, Sie entstammen einer Macho-Generation. Wie erinnern Sie sich in diesem Zusammenhang an Ihre Kindheit und Jugend?
Wecker: Durch meine Eltern war ich nicht unbedingt dieser Macho. Mein Vater war ein ganz erstaunlicher Mensch, der war Antifaschist. Er hat mich eigentlich zum Ungehorsam erzogen. Das war einfach toll. Er hat mich nicht erzogen, er hat mich geliebt und geleitet. Meine Mutter war sehr viel strenger. Die war natürlich typisch, auch in ihrer Generation. Aber sie war auch eine Antifaschistin. Von meinen Eltern her hatte ich ein grosses Glück, muss ich sagen.
Aber natürlich war es mit den Freundschaften unter den jungen Menschen anders. Damals kannte man eigentlich nur Jungs als Freunde. Mit Mädchen hat man geschlafen oder versucht zu schlafen. Aber dass es platonische Freundschaften zwischen Jungs und Mädchen gab wie heute, das hatten wir eigentlich nicht. Das waren meistens potenzielle Sex-Partnerinnen. Gott sei Dank kam das nie in meinen Gedichten raus. Und das muss ich immer wieder sagen: Je älter ich werde, desto glücklicher bin ich wegen dieses grossen Geschenks, das ich durch meine Poesie haben darf. Meine Poesie ist weiser gewesen als ich und ist immer noch weiser als ich.
Sie haben in den 1970er Jahren schon patriarchale Beziehungskonzepte kritisiert. Inwieweit hat sich in Ihren Augen seitdem etwas verbessert?
Wecker: Ja, da hat sich natürlich schon viel verbessert. Doch ich fürchte, dass es da zurzeit wieder einen Rückschritt gibt, wenn ich mir zum Beispiel einige Politikerinnen ansehe. Die könnten durchaus woanders stehen, denke ich mal! Ich war mit Petra Kelly befreundet, die ich sehr verehrt habe und immer noch sehr verehre. Sie war eine wirklich herrschaftsfreie Frau, deren grosses Anliegen es war, auch als Politikerin nicht Herrscherin zu sein oder sich in dieses herrschaftliche Amt hineinzusteigern, sondern es anders zu beschreiben. Ich glaube, dass sich viel geändert hat. Vor allem, wenn ich mir heute die Fridays-for-Future-Bewegung anschaue. Aber es gehören natürlich auch andersdenkende Männer dazu. Das ist keine Frage.
Sie stehen für ein Weltbild, in dem Menschen friedvoll miteinander leben. Wie gross sind Ihre Sorgen wegen des Krieges in Europa?
Wecker: Unglaublich gross, weil in der aktuellen Diskussion leider die Friedensbewegung kein Thema mehr ist - das, was jahrzehntelang auch von der Presse sehr gut und gern angesehen wurde. Was mich unfassbar wütend macht, ist, dass wir nicht endlich Desertierenden eine bessere Heimstatt bieten. Wir könnten russische Desertierende doch aufnehmen, aber eben auch ukrainische. Man vergisst ja immer wieder, dass in der Ukraine keine Kriegsdienstverweigerung erlaubt ist. Ich meine, das ist ein Thema, das weiterhin besprochen werden müsste. Es gibt Menschen, die wollen pazifistisch sein, Menschen, die für sich entschieden haben, dass sie sich lieber an die Wand stellen lassen, als selbst zu töten. Das muss man respektieren und das hat man jahrzehntelang respektiert. Von diesem Respekt spüre ich nicht mehr viel. Das ist meine grosse Sorge.
Aktuell gibt es viele Themen, die die Zukunft ungewiss erscheinen lassen - Klimakrise, Gaskrise, Krieg etc. Wie schaffen Sie es, den Mut nicht zu verlieren?
Wecker: Was mich immer wieder gerettet hat in meinem Leben, ist die Poesie. Ich habe vor einigen Jahren einen Gedichtband veröffentlicht, «Auf der Suche nach dem Wunderbaren». Poesie ist Widerstand. Poesie war immer schon Widerstand. Denn die Poesie kommt aus einer tiefen Spiritualität. Und diese tiefe Spiritualität will die Menschen umarmen, sie will sie nicht töten. Ich habe als Jugendlicher schon unglaublich viel gelesen. Ich habe Rilke gelesen und natürlich meine geliebten Expressionisten. Ich war begeistert von den Autorinnen, Dichterinnen und Dichtern der Räterepublik.
Ich war und bin ein bekennender Anarcho, also herrschaftsfrei. Die Herrschaft - sehr schön im deutschen Wort zu sehen - hat mit «Herr» zu tun. Es ist eine männliche Angelegenheit. Und da müssen wir Männer unglaublich daran arbeiten. Bevor das nicht abgeschafft wird, werden wir diese Welt, die wir brauchen, um als Menschheit nicht unterzugehen und zugrunde zu gehen, nicht erschaffen können. Es geht darum, seinen Idealen treu zu sein, den Idealen, die auf einer Idee und einer Utopie beruhen. Das ist es, was mir Mut macht. Ja, mir macht die Poesie Mut.
Haben Sie in diesem Zusammenhang einen Appell an die jüngere Generation?
Wecker: Da zitiere ich gerne meine Strophe aus meinem Lied «An meine Kinder»: «Ich wollte euch nie erziehen. Erziehen? Zu was? Zum Ehrgeiz? Zur Gier? Zum Chef im richtigen Lager? Ihr wisst es, ich habe ein grosses Herz für Träumer und Versager.» Eigentlich ist das eher ein Aufruf an jetzt kommende Eltern. Nehmt eure Kinder in den Arm. Macht sie bitte nicht zu Christian Lindners. Gebt ihnen nicht das Gefühl, dass sie immer funktionieren, schöner, besser sein müssen, mehr Likes haben als andere. Sondern gebt ihnen das Gefühl, dass ihr ein Herz habt für Träumer und eben auch für Versager. Denn was heisst denn Versager? Wenn ich nicht zufällig ein Publikum hätte, das mich durchs Leben getragen hat, auch finanziell, was wäre ich dann mit meinen Gedichten? Ein Versager in dieser Gesellschaft. Ich wäre bestimmt nicht so etwas «Tolles» wie der Chef der Deutschen Bank. Und ich sage dazu: Ich bin gerne ein Versager in diesem Sinn.
Inwiefern hilft Ihnen die Musik, Sorgen, Ängste und Wut zu verarbeiten?
Wecker: Für mich ist ein Konzert wie eine Meditation. Darum habe ich auch vor, im Alter, so lange mein Körper es zulässt, noch Konzerte zu geben - im Sinne meines Gedichtes, das vielleicht das weiseste Gedicht ist, das ich jemals geschrieben habe: «Jeder Augenblick ist ewig». Denn in den Momenten auf der Bühne habe ich kein Ego. Nicht durchgehend drei Stunden lang, aber immer wieder passiert es mir, dass ich so in der Musik und der Poesie bin, dass der Augenblick ewig ist. Es gibt keine Gedanken, die einen jagen.
Das Problem kennen Sie sicher auch von sich selbst. Wenn wir bewusst denken, ist es ja schön, aber meistens denkt es uns. Meistens werden wir von Gedanken gejagt, an die Zukunft, an die Vergangenheit. Darum sagen die Buddhisten so recht und richtig, man soll sich immer wieder bewusst machen, dass alles vergänglich ist. Die einzige Chance ist wirklich, den Augenblick zu finden und im Augenblick zu sein. Das gelingt mir auf der Bühne immer wieder. Deswegen liebe ich es so sehr auf der Bühne zu sein. Buddha sagte ja so schön: «Es gibt so viele Möglichkeiten der Meditation, wie es Menschen gibt.» Und meine Meditation ist, auf der Bühne zu stehen und für mein Publikum da zu sein.
Mit 75 Jahren stehen Sie noch immer auf der Bühne. Wie halten Sie sich so fit?
Wecker: Ich glaube, ich habe einfach grosses Glück gehabt. Dadurch, dass mein Vater Opernsänger war, habe ich von Kindheit an richtig geatmet. Ich glaube, dass der Grossteil unserer Gesellschaft falsch atmet. Richtig atmen heisst beim Einatmen Bauch raus, beim Ausatmen rein. Und Singen ist ja auch eine dauernde Atembeschäftigung, eine sehr schöne und sehr wichtige. Ich weiss nicht, ob Sie wissen, wie gross das Zwerchfell ist. Es ist ein unfassbar grosser Muskel im Körper. Natürlich wird das Zwerchfell durch das Singen unglaublich gut trainiert und ich glaube, das hat mich vor vielem und auch organischem Unglück bewahrt.
Ab Oktober sind Sie wieder auf grosser Tour. Was erwartet das Publikum?
Wecker: «Ich singe, weil ich ein Lied hab´» habe ich ganz bewusst als Programmtitel gewählt. Das ist interessanterweise eines meiner allerersten Lieder gewesen. «Ich singe, weil ich ein Lied hab´, nicht weil es euch gefällt». Das ist das Motto meines Lebens geblieben. Im Alter würde ich vielleicht sogar eher noch sagen: «Ich singe, weil mich ein Lied hat.» Ich werde natürlich einen Querschnitt bieten. Zum Beispiel einige Lieder aus meiner damals so sehr verschmähten Platte «Liebesflug». Damals hat jeder erwartet, ich sei jetzt der Sänger des «Willy», ich solle nur noch «Willy» singen oder ähnliche Lieder. Dann kam ich plötzlich mit Liedern über Liebe. Die Leute haben mir geschrieben, dass sie meine Platten zerstampfen damals in den 80er Jahren. Die Zeitungen haben mich verrissen und ich muss ehrlich sagen, es war mir egal. Ich wusste, was ich tun muss. Ein paar Jahre später gab es einige Zeitungen, die geschrieben haben: «... der hatte damals den Mut zu dieser Schallplatte ‹Liebesflug›.» Ich habe es aber gar nicht als Mut gesehen. Ich hatte eben dieses Lied und musste es singen. Und so ist es mir bis heute gegangen.
Sie blicken auf fünf Jahrzehnte auf der Bühne zurück. Wann wäre der Punkt erreicht, an dem Sie sich zur Ruhe setzen würden?
Wecker: Wenn mein Körper nicht mehr mitspielt. Hoffen wir mal, dass er noch eine Zeit lang mitmacht.
Konstantin Wecker ist in diesem Jahr 75 Jahre alt geworden und feiert diesen Anlass mit einer grossen Jubiläumstour. Mit seinem Programm «Ich singe, weil ich ein Lied hab'» ist er ab dem 17. Oktober bis Ende Dezember in zahlreichen deutschen Städten unterwegs.