«GNTM» war für Schauspielerin und Model Lucy Hellenbrecht (24) der Startpunkt ihrer Karriere. 2020 trat sie bei «Germany's next Topmodel» an und belegte den 16. Platz. «Ich arbeite seitdem in meinem Traumberuf», sagt sie und verrät auch, dass die geschlechtsangleichenden Operationen ihr Leben «so sorglos gemacht» haben. Bei Bildern von früher sei es, als würde «ich einen anderen Menschen anschauen».
Das Projekt «Saved Memories» hat ihre alten Erinnerungen mithilfe von künstlicher Intelligenz nun auf neue Weise wieder ans Licht geholt. Die KI wird dabei mit Originalaufnahmen gefüttert und anhand aktueller Fotos darauf trainiert, wie die Person heute aussieht. Dann interpretiert die KI die Bilder neu, indem sie geschlechtsspezifische Merkmale reduziert und anpasst, während sie die Details beibehält, die die Authentizität des Moments bewahren. Was die bearbeiteten Bilder in ihr auslösen, erklärt Lucy Hellenbrecht im Interview.
Was geht Ihnen heute durch den Kopf, wenn Sie Bilder von früher von sich sehen? Welche Gefühle lösen sie in Ihnen aus?
Lucy Hellenbrecht: Ich konnte meine Bilder immer schon recht differenziert und nüchtern anschauen. Es ist, als würde ich einen anderen Menschen anschauen, der nicht ich bin und zu dem ich eigentlich keinen Bezug habe. Oft bin ich sogar stolz, wenn ich mir vor Augen führe, wie ich damals aussah und wie ich jetzt aussehe.
Und wie wirken im Gegensatz dazu die von der KI überarbeiteten Bilder jetzt auf Sie?
Hellenbrecht: Die bearbeiteten Bilder haben mir das Gefühl gegeben, als würde meine Vergangenheit mehr Sinn ergeben. Ich schaue diese Bilder an und kann mir zum ersten Mal richtig vorstellen, dass aus diesem kleinen Mädchen wirklich die Frau wurde, die ich heute bin, wenn ich als biologische Frau auf die Welt gekommen wäre.
Sie waren 2020 als eine der ersten Transfrauen bei «GNTM» dabei. Was hat sich seither in Ihrem Leben verändert?
Hellenbrecht: «GNTM» war der Startpunkt meiner Karriere. Mein ganzes Leben wurde quasi verändert, weil ich über Nacht in der Öffentlichkeit stand. Ich arbeite seitdem in meinem Traumberuf und geniesse mein Leben durch und durch. Mein Leben ist so vielseitig und kreativ und ich erlebe jeden Tag Dinge, von denen andere träumen und dafür bin ich sehr dankbar.
War die Teilnahme an der Castingshow damals eine Herausforderung für Sie?
Hellenbrecht: Natürlich war das eine Herausforderung. «GNTM» ist eine riesige Herausforderung. Es ist echt ein harter Wettbewerb, den man glaube ich nur schafft, wenn man das wirklich möchte. Das war bei mir Gott sei Dank der Fall und ich habe die Zeit dort genossen.
Wie hat Sie die geschlechtsangleichende Operation verändert?
Hellenbrecht: Die Operationen waren wirklich das, was ich brauchte, um richtig glücklich zu werden. Das ist nicht bei jeder Transperson so, aber mir war schon direkt am Anfang meiner Transition klar, dass ich die Geschlechtsangleichung machen werde. Ich habe mich in meinem alten Körper einfach absolut nicht wohlgefühlt und die Operationen haben mein Leben so sorglos gemacht. Ich denke gar nicht mehr täglich darüber nach, dass ich Trans bin, weil ich einfach als Frau lebe.
Ist Ihre Transition abgeschlossen oder stehen Ihnen noch weitere OPs bevor?
Hellenbrecht: Es sind keine weiteren Operationen geplant.
Seither sieht man Sie häufiger im Fernsehen. Fühlen Sie sich wohl vor der TV-Kamera?
Hellenbrecht: Ich liebe es, vor der Kamera zu stehen. Schon damals hatte ich nie Probleme, Vorträge vor der Klasse zu halten oder Ähnliches. Ich liebe es aufzufallen, mich zu präsentieren und ja auch im Mittelpunkt zu stehen. Ich habe wirklich meinen Traumberuf gefunden.
Sie sind inzwischen als Expertin bzw. Botschafterin für LGBTQIA+-Themen gefragt. Was bedeutet Ihnen diese Rolle?
Hellenbrecht: Erst mal vielen Dank, dass man das anscheinend so sieht. Ich habe von meinem Vater den Satz gelernt «Wenn du willst, dass etwas richtig gemacht wird, dann mach' es selber» und vielleicht klingt das arrogant, aber ich traue mir diese Rolle auch zu, weil ich weiss, dass ich meine Message richtig und vernünftig nach aussen tragen kann. Es gibt mir so wahnsinnig viel Lebensfreude zu wissen, dass ich anderen Menschen helfe und das kriege ich auch tagtäglich mit, weil es mir die Leute sogar schreiben.
Welche Pläne und Ziele verfolgen Sie derzeit als Mitglied der LGBTQIA+-Community?
Hellenbrecht: Ich plane zurzeit ein deutschlandweites Projekt, bei dem ich in Schulen gehen möchte und Vorträge halten werde. Über Social Media, Cybermobbing, Ausgrenzung, Diskriminierung und weitere Themen. Ich hatte bereits einen Probelauf in meiner damaligen Schule und das Feedback war überwältigend positiv und es haben sich auch unglaublich viele Leute für meine Transition und eben für meinen Umgang mit Hass, der damit einhergeht, interessiert.
Haben Sie derzeit jemanden an Ihrer Seite, der Sie in Ihrem Vorhaben besonders unterstützt?
Hellenbrecht: Ich habe immer meinen Vater, meine Schwester und meine Freunde hinter mir, die mich pausenlos unterstützen. Einen Partner habe ich zurzeit nicht.
Mit Ihrer Transidentität gehen Sie völlig offen um, auch in den sozialen Medien. Fällt Ihnen das heute leichter als früher?
Hellenbrecht: Ich würde sagen, es fällt mir leichter, weil ich einfach über die Jahre mehr Erfahrung und Übung in dem Beruf habe und ich jetzt besser weiss, wie man mit bestimmten Themen umgeht. Ja, das lernt man auch durch Fehler, die man gemacht hat, aber über die kann ich heute auch lachen.
Am 17. Mai ist der Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie. Wie wichtig sind Ihnen solche Aktionen?
Hellenbrecht: Ich hoffe, man versteht, was ich meine, wenn ich sage, dass ich diesen Tag wahnsinnig, wahnsinnig wichtig finde und es gleichzeitig traurig ist, dass so ein Tag noch gebraucht wird. Ich werde es nie nachempfinden können, wie man Hass gegen andere Menschen schüren kann und ich wünschte, so ein Tag wäre nicht nötig, aber das ist er.
Wo sehen Sie in diesem Bereich noch grosse Probleme?
Hellenbrecht: Ein No-Go ist auf jeden Fall das veraltete Denken, dass man Transmenschen immer ansehen würde, dass sie Trans sind. Viele Menschen haben immer noch das Bild, dass wenn sie über die Strasse gehen, sie Männer, Frauen und Transpersonen sehen und das ist einfach nicht so. Es sind immer so wahnsinnig viele Menschen überrascht, wenn ich mich oute, weil man es einfach nicht sieht. Ein anderes No-Go ist, dass die Leute denken, dass wir alle den gleichen Weg haben, über Dinge gleich denken und grundsätzlich wir alle nicht individuell sind.
Wer ist Ihr grösstes Vorbild in diesen Bereichen?
Hellenbrecht: Ich kann auf jeden Fall sagen, dass ich mein Outing vermutlich nicht so geschafft hätte, hätte ich damals nicht die Videos von Jolina Mennen geschaut und das weiss sie sogar, weil wir mal für ein Event zusammengearbeitet haben.