Der Makler spricht bei der Hausbesichtigung vor allem mit dem Mann. Die Runde lacht über einen sexistischen Kommentar, den keiner hinterfragt. Ein Bewerbungsgespräch endet mit der Frage nach der Familienplanung. Kleine Alltagssituationen, die kaum der Rede wert sind – oder?
Doch genau solche unscheinbaren Momente stützen ein System, in dem Männer immer noch bevorzugt werden. Ein System, in dem Frauen, obwohl sie im Durchschnitt besser ausgebildet sind, weniger verdienen und seltener in Führungspositionen sitzen. In dem fast jeden dritten Tag eine Frau von ihrem (Ex–)Partner getötet wird. In dem von Gleichberechtigung oft nur dann gesprochen wird, wenn es um Spitzenjobs geht – während Frauen mit Themen wie Care–Arbeit, Mental Load und körperlicher Sicherheit immer noch alleine gelassen werden.
Subtile Rebellion gegen eingefahrene Denkmuster
Feminismus ist so dringend nötig wie eh und je. Doch Veränderung beginnt nicht bei grossen Kämpfen, politischen Entscheidungen oder gesellschaftlichen Umbrüchen, sondern viel früher, im Kleinen und Alltäglichen. Genau hier setzt Mikrofeminismus an: als subtile Rebellion gegen die Dinge, die «schon immer so waren».
Eine der ersten, die den Begriff Mikrofeminismus bekannt gemacht hat, war die Influencerin Ashley Chaney. In einem TikTok–Video erklärte sie im März 2024, dass sie in ihren E–Mails immer zuerst die Adresse der (meist weiblichen) Assistentin eingibt und erst danach die des (häufig männlichen) CEOs. Chaney: «Wahrscheinlich fällt es nicht mal jemandem auf, aber es ist meine Art zu sagen: 'Ich sehe dich.» Wahrscheinlich fällt die ungewöhnliche Reihenfolge der Email–Adressen und Ansprachen aber doch auf – und genau um diesen kurzen Moment der Irritation im eingespielten Alltag geht es beim Mikrofeminismus.
Ideen für Mikrofeminismus
Chaney fragte ihre Follower in ihrem Beitrag auch, was ihre liebste Form des Mikrofeminismus sei. Die Antworten waren kreativ und aufschlussreich: Eine Grundschullehrerin schrieb, dass sie bei kranken Kindern immer erst die Väter anrufe – und bei finanziellen Angelegenheiten die Mütter. Eine andere Frau erzählte, dass sie auf ihren Hochzeitseinladungen Mrs. & Mr. anstatt der üblichen Reihenfolge geschrieben habe. Wieder eine andere schrieb, dass sie immer konsequent nachfrage, sobald es in einem Gespräch um grosse Sport–Events geht: «Wer hat gespielt – Männer oder Frauen?»
Mikrofeminismus bedeutet auch, andere für die Ungleichheiten zu sensibilisieren, die als normal gelten. Es kann heissen, der Kollegin im Meeting bewusst das Wort zu erteilen, wenn sie ständig unterbrochen wird. Einen sexistischen Spruch nicht einfach zu übergehen, sondern nachzuhaken: «Was meinst du damit?» Mädchen nicht für ihr süsses Aussehen oder ihre Kleidchen zu loben, sondern für ihren Mut, ihre Kreativität oder ihre klugen Gedanken. Einfach davon auszugehen, dass ein Arzt eine Frau ist, und nach dem Termin eines Freundes zu fragen: «Und, was hat sie gesagt?» Oder öfter mal bewusst das generische Femininum zu nutzen. Für viele Frauen bedeutet Mikrofeminismus auch, sich im Alltag nicht mehr unnötig oft zu entschuldigen. Manche Frauen versuchen bewusst, Männern auf der Strasse nicht mehr automatisch auszuweichen, auch wenn das eine kleine Kollision verursacht. Dafür hat Instagram sogar einen eigenen Hashtag entwickelt: «Man–Bumping».
Mikrofeminismus versüsst den Alltag
Bei all diesen kleinen Gesten im Alltag geht es darum, festgefahrene Denkmuster und stereotype Verhaltensweisen aufzuzeigen – und im besten Fall aufzubrechen. Viele Frauen beschreiben, dass diese stillen Akte der Rebellion ihnen den eigenen Tag versüssen. Eine kleine Irritation beim Gegenüber auszulösen muss nicht passiv–aggressiv sein, es kann für beide Parteien belustigend sein, Gespräche anstossen und neue Perspektiven aufzeigen.
Natürlich kann man dem Mikrofeminismus vorwerfen, kein wirklicher Aktionismus zu sein, ein bisschen bequem zu sein und keine grossen Veränderungen nach sich zu ziehen. Klar ist: Mikrofeminismus alleine reicht nicht. Aber es macht es in kleinen Alltagssituationen sichtbar und gibt Denkanstösse. Und mit Sichtbarkeit und Reflexion beginnen grosse Veränderungen eben doch.