Zwei Jahre Corona-Pandemie haben die Arbeitswelt auf den Kopf gestellt. Vor allem was die zukünftige Handhabung von Heimarbeit anbelangt, herrscht nach der fast vollständigen Aufhebung der Corona-Massnahmen Unsicherheit in vielen Firmen. Wie viele Tage Homeoffice sind ideal? Können Arbeitgeber ihre Mitarbeitenden allesamt ins Büro zurück zitieren? Was wünschen sich die meisten Arbeitnehmer? Teresa Hertwig, Gründerin der Agentur GetRemote und Autorin von «Produktivität braucht kein Büro», hat im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news wichtige Tipps für Arbeitgeber parat und verrät, welche Rolle Homeoffice in der Zukunft spielen könnte.
Mit der fast vollständigen Aufhebung der Corona-Massnahmen ist die Debatte Homeoffice vs. Büro wieder neu entfacht. Was sind hier die grössten Diskussionspunkte?
Teresa Hertwig: Der grösste Diskussionspunkt ist definitiv die Anzahl der erlaubten mobilen Arbeitstage. Denn hier scheiden sich die Geister - sowohl im Management als auch bei den Mitarbeitenden. Sind es nun zwei Homeoffice Tage pro Woche oder doch drei oder sollten die Teams das womöglich ganz selbst entscheiden dürfen? Leider erreichen uns noch genügend Nachrichten von verzweifelten Mitarbeitern oder sogar Personalabteilungen, deren Unternehmensleitung sie wieder komplett ins Büro zitiert. Das ist natürlich ein absoluter Kardinalfehler und macht jegliche Zukunftsfähigkeit dieser Firmen zunichte.
Welche Personen zieht es gerade jetzt wieder ins Büro zurück?
Hertwig: Nach dieser langen Zeit ohne Kollegen, Kaffeekuchenplausch und gemeinsamen Mittagessen zieht es beinahe alle Personen wieder «mal» ins Büro zurück, um einfach den sozialen Austausch zu haben. Betonung hier wirklich auf «mal» - denn dauerhaft zurück wollen die wenigsten. Wenn jemand doch wieder komplett ins Büro möchte, dann liegt das oft an der Wohnsituation, die zu Hause einfach keinen angemessenen Arbeitsplatz zulässt. Oder der Wunsch nach einer klaren Trennung von Berufs- und Privatleben ist sehr gross. Das ist immer eine Frage der persönlichen Präferenz.
Welche Personen bleiben dagegen nach wie vor gerne im Homeoffice?
Hertwig: Hierfür gibt es die verschiedensten Gründe - allen voran natürlich Personen, die das Einsparen des Arbeitswegs schätzen gelernt haben: Je weiter ich vom Büro entfernt lebe, desto mehr Zeit und Lebensqualität gewinne ich durch das Arbeiten aus dem Homeoffice.
Ausserdem Personen, die die Ruhe und den Fokus im Homeoffice gegenüber dem möglichen Lärm zurück im Grossraumbüro bevorzugen. So unterschiedlich wir Menschen sind, so unterschiedlich sind auch unsere Gründe für oder gegen das Homeoffice. Wichtig ist nun für Arbeitgeber, einen Arbeitsplatz zu schaffen, der beide Menschentypen berücksichtigt.
Herrscht bezüglich der zukünftigen Homeoffice-Regelung bei vielen Arbeitgebern Unsicherheit?
Hertwig: Die meisten Arbeitgeber sind gerade dabei, ein dauerhaftes Modell festzulegen für die Zukunft. Hier treten durchaus Unsicherheiten auf, denn: Fragt man fünf Personen, erhält man fünf unterschiedliche Antworten.
Viele Firmen, die mit uns arbeiten, wünschen sich deshalb durch unsere Beratung einen übergeordneten Konsens zu finden. Dazu ist es wichtig, von Anfang an alle Beteiligten in den Entscheidungsprozess mit einzubinden - die Unternehmensinhaber, das Management, wenn vorhanden den Betriebsrat bitte nicht vergessen und natürlich auch Vertreter der Mitarbeitenden. In dieser Festlegungsphase geht es durchaus oft hitzig zu, aber bisher konnten wir immer einen guten Kompromiss als Startpunkt finden.
Auch das hilft bei Unsicherheiten: Sich klar zu machen, dass jegliche Festlegung nicht für immer in Stein gemeisselt ist, sondern als Startpunkt zu verstehen ist, der auch wieder angepasst werden kann. Die hybride Arbeitskultur weiter auf den Prüfstand zu stellen und damit die Organisation stetig weiterzuentwickeln, wird uns sowieso die nächsten Jahre begleiten.
Was raten Sie Arbeitgebern jetzt bezüglich des Umgangs mit Homeoffice?
Hertwig: Top Down Entscheidungen sind in diesem Zusammenhang etwas verpönt, aber ganz ehrlich: Freiheit und Flexibilität ja, Anarchie nein. Damit hybrides Arbeiten dauerhaft funktionieren kann, braucht es klare Strukturen und Regelungen. Denn sonst gibt es immer Pappenheimer, die den grössten Vorteil für sich, aber vielleicht nicht für das Team oder das Unternehmen herausschlagen.
Was Arbeitgeber nun also tun sollten:
Können Arbeitgeber überhaupt noch vollständig auf Homeoffice verzichten?
Hertwig: Ich bin der Meinung: Unternehmen, die sich dem Thema Homeoffice gegenüber versperren, haben keine Zukunft auf dem Arbeitsmarkt. Ein Kunde von uns aus einem traditionsreichen Familienunternehmen berichtet regelmässig, dass in allen Vorstellungsgesprächen mittlerweile das Homeoffice Thema von den Bewerbern vehement eingefordert wird. Die besten Talente zu halten und Top Bewerber für sich zu gewinnen, wird ohne die Möglichkeit auf Homeoffice also bald nicht mehr möglich sein.
Inwieweit hat die Pandemie hier für eine Veränderung gesorgt - auch mit Hinblick auf die Zukunft?
Hertwig: Durch die Pandemiezeit wurde eine Art Schnellwaschgang eingelegt. Was für Jahrzehnte unmöglich schien, musste von heute auf morgen funktionieren. Jede Veränderung in dieser Geschwindigkeit bringt natürlich seine Kinderkrankheiten mit sich. Deshalb sind alle Firmen gut beraten, jetzt nochmal zurück auf Los zu gehen und zu analysieren, was in den letzten zwei Jahren gut funktioniert hat und was eben auch nicht. Und zwar gemeinsam mit den Mitarbeitenden - denn sie sind die Experten für interne Abläufe, funktionierende Prozesse und Anforderungen an die Kommunikation. Was wir auf jeden Fall für die Zukunft beibehalten dürfen ist das Mindset: Weg von «Das geht bei uns nicht!» hin zu «Wie können wir es möglich machen?». Genau diese Einstellung versetzt Berge und macht unsere Wirtschaft zukunftsfähig.
Teresa Hertwig ist die Gründerin der Agentur «GetRemote», mit der sie Unternehmen bei der Professionalisierung von Homeoffice berät, führt ihre Teams selbst seit zehn Jahren hybrid und im April ist ihr zweites Buch «Produktivität braucht kein Büro» im GABAL Verlag erscheinen.