Als die damals 17-jährige Sängerin Nicole (60) am 24. April 1982 beim Grand Prix Eurovision de la Chanson (heute Eurovision Song Contest) mit ihrem Lied «Ein bisschen Frieden» den Sieg errang, war dies nicht nur eine musikalische, sondern auch eine politische Sensation. Mit ihrer blütenweissen Gitarre in den Händen brachte sie dort in den frostigen Zeiten des kalten Krieges eine schnörkellose Friedenshymne auf die Bühne, deren klare Botschaft weltweit verstanden wurde.
Pazifistischer Superhit: «Ein bisschen Frieden»
Zum ersten Mal in der Geschichte des Liederwettbewerbs errang eine deutsche Interpretin den Sieg und dass sie bei der Abstimmung auch von Israel 12 Punkte erhielt, wurde seinerzeit auch als Versöhnungsgeste und Zeitenwende wahrgenommen. Nach ihrem Grand-Prix-Sieg bekam die junge Sängerin sogar eine offizielle Einladung der israelischen Regierung und trug bei ihrem Besuch in dem Land die Friedenshymne vor zu Tränen gerührten Soldaten vor.
Zur Völkerverständigung – und auch zu internationalen Chart-Erfolgen – trug zudem bei, dass Nicole ihren pazifistischen Superhit in Zusammenarbeit mit ihrem damaligen Produzenten Ralph Siegel (79) auch in sechs weiteren Sprachen wie Englisch («A little Peace»), Niederländisch («Een beetje vrede»), Dänisch («En smule fred») oder Spanisch («Un poco di paz») veröffentlichte. Im weiteren Verlauf der Geschichte wurde die Single weltweit über fünf Millionen Mal verkauft und mehrfach mit Gold und Platin ausgezeichnet.
Sängerin mit sozialkritischen Botschaften
Dass «Ein bisschen Frieden» ihr grösster Hit bleiben sollte und sie mit ihren seit 1982 rund 30 weiteren veröffentlichten Alben nie wieder die Spitze der Charts eroberte und Edelmetal abräumte, hielt die Sängerin jedoch nicht davon ab, einfach weiterzumachen – und sich dabei stets treu zu bleiben. Bis heute veröffentlichte sie unbeirrbar in regelmässigen Abständen weitere Lieder, in denen sie konsequent Stellung zu gesellschaftspolitischen Themen Stellung nimmt. Wie etwa in dem Song «Nie Nie mehr» aus dem Jahr 2001, in dem sie Neonazis ins Visier nimmt oder in «Das Schweigen der Machos», der sich aus der Zeit gefallene maskuline Verhaltensweisen vorknöpft: «'Nen echten Macho kennst du dran / Dass er nur dreissig Wörter kann / Und damit labert er dich an».
Nicole will keine Schlagersängerin sein
Als Schlagersängerin hat sich die am 25. Oktober 1964 in Saarbrücken geborene Künstlerin nie gesehen. In einem Gespräch mit «Planet Interview» sagte sie dazu vor einigen Jahren Folgendes: «Man wird in Deutschland sofort kategorisiert. Gegen dieses Schubladendenken kämpfe ich seit 30 Jahren. Ich will experimentieren, auch Themen behandeln, die, wie manche sagen, im klassischen Schlager nichts zu suchen haben. Wenn man sich meine Alben anhört, muss man sehr differenzieren, und dann gibt es eben keine Kategorie für mich».
Sie sei zwar eine Entertainerin, habe sich jedoch stets geweigert, ihren Fans etwas vorzuspielen, was sie nicht wirklich ist, nur um kommerziell erfolgreicher zu sein. «Nein, ich kann mich nicht verbiegen», so Nicole. «Ich kann nur machen, was ich 100% vertreten kann. Ich kann mir nicht plötzlich eine Lederkluft anziehen, mit der Harley rumfahren und Rocklieder singen. Das will ich nicht, dafür sind andere zuständig.»
ESC als beängstigendes Mega-Spektakel
Wie sie kürzlich in einem Interview mit «Schlager.de» verriet, kann sie auch mit der Entwicklung des «Eurovision Song Contest» zu einem bombastischen Mega-Spektakel nicht viel anfangen. Was sie dort in den letzten Jahren zu sehen bekam, rufe bei ihr «einige Bedenken auf», was dazu geführt habe, dass sie «da irgendwie raus aus der Nummer» sei. «Es ist mittlerweile schrill, es ist laut, es ist für mich manchmal beängstigend», so die einstige Grand-Prix-Königin. «Es gewinnen Titel, wo ich weder ein Liedgut noch grossartigen Gesang feststelle. Da werden mittlerweile einfach die technischen Möglichkeiten so ausgenutzt, dass man eigentlich vergisst, was das für ein Wettbewerb ist. Es ist doch ein Lieder-Wettbewerb! Da geht es doch um das beste Lied, die beste Komposition, den besten Text und die beste Interpretation. Das Ganze muss eine Einheit sein.»
Familie immer auf Platz eins
Ihr kritischer Blick auf die Unterhaltungsbranche hat Nicole trotz ihres bis heute andauernden Erfolges nie abheben lassen, von allzu grossem Medienrummel hielt die Mutter zweier Töchter stets Abstand. Der «Augsburger Allgemeinen» beteuerte sie, dass bei ihr die Familie immer an erster Stelle stand: «Ich habe es glücklicherweise im Leben ganz gut geschafft, Beruf und Familie dank meiner Eltern und Schwiegereltern unter einen Hut zu bringen. Ich hatte aber auch eine eiserne Regel, nach der ich gelebt habe: Zehn Tage Beruf, 20 Tage Familie. Davon bin ich nie abgewichen.»
Auf ihr familiäres Umfeld und die Gemeinschaft des saarländischen Dorfes Neunkirchen, in dem sie mit ihrem Ehemann seit vielen Jahren lebt, konnte sich die Sängerin auch in der wohl bisher schwersten Zeit ihres Lebens verlassen. Nachdem Ende 2020 bei ihr Brustkrebs diagnostiziert wurde, drang dazu keinerlei Information an die Öffentlichkeit. Erst im Juli 2022 lüftete sie das Geheimnis und gab zugleich bekannt, die bösartige Krankheit überstanden zu haben.
Nicole gratuliert sich selber zum Geburtstag
Danach machte Nicole mit dem weiter, was sie am besten kann: Höchstpersönliche Lieder singen, die ihren immer noch zahlreichen Fans unter die Haut gehen. In ihrem im Oktober 2022 veröffentlichten Album «Ich bin zurück» spiegelte sich die überstandene Krankheit wider. Und auch der Titel ihres für den 15. November angekündigten neuesten Werkes «Carpe Diem» (deutsch «Nutze den Tag») nimmt klaren Bezug auf die grundlegende Weisheit, die sie aus der schwierigen Zeit mitgenommen hat. Pünktlich zu ihrem 60. Geburtstag erscheint als Vorgeschmack eine Single, in der es ausschliesslich um sie selbst geht. Der wohlverdiente Titel: «Ich gratuliere mir».