Das Licht geht aus, der Vorhang öffnet sich, erwartungsvoll richtet das Publikum seinen Blick auf die Leinwand: Bei diesem magischen Moment im Kino geht jedem Cineasten ein ums andere Mal das Herz auf. Umso schlimmer ist es, wenn sich die folgenden zwei Stunden als grosse Enttäuschung entpuppen und man ob der Filmauswahl gefrustet die Heimreise antreten muss. Bei den folgenden Filmen der vergangenen zwölf Monate dürfte das einigen Menschen so ergangen sein. Was auffällt: Gerade das Superhelden–Genre scheint sich in der Existenzkrise zu befinden.
«Babylon – Rausch der Ekstase»
Auf dem Papier startete das Kino–Jahr grandios mit dem 190–Minuten–Klopper «Babylon – Rausch der Ekstase»: Ein grossartiger Cast um die Superstars Brad Pitt (60), Margot Robbie (33) und Tobey Maguire (48), dazu Oscar–Wunderkind Damien Chazelle (38) auf dem Regiestuhl. Doch an seinem Leitmotiv «Hollywood–Exzesse während der Roaring Twenties» arbeitete sich der «La La Land»–Macher nicht nur ab, sondern überhob sich. So mag das überbordende Chaos in «Babylon» zwar von Chazelle gewollt sein, nicht aber vom Publikum: Weltweit spielte der kostspielige Streifen nur etwa die Hälfte seiner Produktionskosten ein.
«Ant–Man and The Wasp: Quantumania»
Der Charme von «Ant–Man» trat bislang besonders dann zutage, wenn sich der Held plötzlich klitzeklein mit Alltagsgegenständen wie Spielzeugeisenbahnen herumschlagen musste. In «Ant–Man and The Wasp: Quantumania» hingegen fanden sich Scott Lang (Paul Rudd, 54) und seine Familie in der titelgebenden Fantasywelt wieder, in der sein Alleinstellungsmerkmal überhaupt nicht zum Tragen kam. Der dritte Solo–Ausflug von Ant–Man mutete folglich wie eine zweistündige Zwischensequenz eines Videospiels an, in der – ausser den Schauspielern – wohl fast nichts physisch am Set vorhanden war – und das merkt man ihren Leistungen auch an. Vom Beginn der fünften Marvel–Phase haben sich viele wohl deutlich mehr erwartet.
«Scream VI»
Schon am Vorgänger schieden sich die Ghostfaces. Teil sechs der jahrzehntelangen «Scream»–Reihe überspannte aber selbst für eingefleischte Fans endgültig den Bogen. Mit der Franchise–typischen Selbstreferenz will «Scream VI» ungemein clever sein, tappt dabei aber selbst in die grössten Genre–Fettnäpfchen und –Klischees. Nach dem Film wurde einem klar: Die Geschichte von Ghostface ist auserzählt und schaufelt sich mit jeder weiteren Ausgabe nur noch ein tieferes Grab. Dass beide neuen Hauptdarstellerinnen – «Wednesday»–Star Jenna Ortega (21) und Newcomerin Melissa Barrera (33) – nicht für den bereits geplanten siebten Streich zurückkehren werden, sagt eigentlich alles.
«Manta Manta – Zwoter Teil»
Wäre «Manta, Manta – Zwoter Teil» ein Auto, dann käme es sicher nicht durch den TÜV. Natürlich glänzte auch das Original von 1991 nicht unbedingt mit Anspruch und geschliffenen Dialogen. Es hatte jedoch das Herz am rechten Fleck und funktionierte als ruppige Liebeserklärung an ein Auto. Die Ansammlung von peinlichen Gags, problematischen Rollenbildern und unsympathischen Figuren der Fortsetzung von und mit Til Schweiger (59) ist derweil vieles, aber keine würdige Fortsetzung des Kultfilms.
«Transformers 7: Aufstieg der Bestien»
Ja, auch 2023 erschien ein neuer Teil der «Transformers»–Reihe. Bislang gab der Erfolg dem Action–Bombast stets recht. «Aufstieg der Bestien» dürfte bei den meisten Kinogängern allerdings schon wieder in Vergessenheit geraten sein, trotz oder gerade wegen gewohnter Roboter–Haue. Denn: So ganz ohne menschliches (und berühmtes) Zugpferd will der Funke dann doch nicht überspringen. Shia LaBeouf (37) und Megan Fox (37) sind bekanntlich schon länger raus, auch Mark Wahlberg (52) findet in dem als Prequel angelegten Streifen nicht statt.
«The Flash»
Zu sagen, dass «The Flash» früh unter keinem guten Stern stand, wäre die Untertreibung des Jahres. Die Eskapaden von Hauptdarsteller Ezra Miller (31), die Sinnkrise und die damit einhergehende personelle Neuausrichtung beim Filmstudio – und am Ende der Film selbst... Der pfeilschnelle Superheld scheint sein Franchise mit ebenso beeindruckender Geschwindigkeit gegen die Wand gefahren zu haben. Statt Lobeshymnen über die Rückkehr von Michael Keaton (72) als Batman fanden sich nach Kinostart vornehmlich Unkenrufe über die Spezialeffekte von «The Flash», die manch Zuschauer an Playstation–2–Grafik erinnerte. Regelrecht erschreckend: Wenn das der Film ist, in dem die gesamte DC–Hoffnung gesteckt wurde, was sagt das über «Batgirl» aus, der als zu schlecht für eine Veröffentlichung erachtet wurde?
«Indiana Jones und das Rad des Schicksals»
Ein würdiger Abschied für Harrison Ford als Indiana Jones – das haben sich Fans des kultigen Archäologen mit Peitsche und Hut gewünscht. Doch was «Indiana Jones und das Rad des Schicksals» vor allem bewiesen hat, ist, dass sich Nostalgie schwer künstlich erzeugen lässt. Mit einem über 80–Jährigen, der sich von Action–Szene zu Action–Szene malocht, holt man kein neues Publikum hinter dem Ofen hervor und auch nicht ins Kino. Die alteingesessenen Indy–Fans wurden derweil in dem bestätigt, was sie sich nach dem «Königreich des Kristallschädels» gedacht haben: Am besten wäre es gewesen, man hätte Indiana Jones nebst Sean Connery einfach nach Teil drei in den Sonnenuntergang reiten lassen – The End.
«The Marvels»
Mit «The Marvels» setzte sich unlängst ein Trend fort, der schon eine Weile zu beobachten war: Langsam aber sicher und nach über einem Jahrzehnt gewaltiger Erfolge scheint sich so etwas wie eine Comicfilm–Übersättigung einzustellen. Der Vorwurf, dass der Film deswegen keinen Erfolg an den Kinokassen hatte, weil darin drei Frauen die tragenden Rollen innehaben, hat etwas Trügerisches. Klar, manch ein misanthropischer Knallkopf mag sich daran tatsächlich gestört haben. Sämtliche Kritik darf damit aber nicht unter den Tisch gekehrt werden, etwa: Die Handlung von «The Marvels» ist so verworren, dass selbst Marvel–Experten nicht ganz mitgekommen sein dürften. Zudem ist Brie Larsons (34) Figur Captain Marvel alias Carol Denvers im Vergleich zu ihrem ersten Solo–Film charakterlich nicht wiederzuerkennen.
«Saw X»
Wenn die Zahl im Filmtitel zweistellig wird, ist das selten ein Qualitätsmerkmal. «Saw X», also der zehnte Ausflug in die Torture–Porn–Reihe, die 2004 das Licht der Welt erblickte, mag um Längen besser sein als der Vorgänger «Saw: Spiral» mit Chris Rock (58). Das allein sagt jedoch nichts aus. Zwar kehrte Urgestein Tobin Bell (81) aka Jigsaw im zehnten Teil der Reihe zurück, nicht aber die Raffinesse, die zumindest die ersten beiden «Saw»–Filme auszeichnete.
«Die Tribute von Panem – The Ballad of Songbirds & Snakes»
Mussten wir wirklich wissen, wie aus Coriolanus Snow das Scheusal wurde, das in den «Tribute von Panem»–Filmen über die Hungerspiele wacht? Das Prequel «Die Tribute von Panem – The Ballad of Songbirds & Snakes» widmet sich der Jugend des später von Donald Sutherland verkörperten Antagonisten und beantwortet dabei Fragen, die sich niemand gestellt hat. Die Vorgeschichte bietet im Vergleich zur Heldinnenreise von Katniss Aberdeen (Jennifer Lawrence, 33) quasi dieselbe Dramaturgie, nur mit neuen Figuren. Und das macht «The Ballad of Songbirds & Snakes» vor allem eines: unnötig.