Über 70 Jahre war Elizabeth II. «von Gottes Gnaden Königin des Vereinigten Königreiches Grossbritannien und Nordirland und ihrer anderen Königreiche und Territorien, Oberhaupt des Commonwealth, Verteidigerin des Glaubens», wie ihr vollständiger Titel lautete. Die 96-Jährige war die Monarchin, die am längsten auf dem Thron sass, die grösste Königin aller Zeiten.
«Lilibeth», wie ihr verstorbener Mann Prinz Philip (1921-2021) sie zärtlich nannte, sah sich als Königin, die nicht herrscht, sondern ihrem Land und Volk dient und deren vornehmste Aufgabe eine eiserne Pflichterfüllung war. Neun Fragen erklären die Frau, die als überlebensgrosse Figur in Englands Geschichte eingehen wird. Als bedeutendste Engländerin der Neuzeit.
Wie mächtig war die Queen?
Die Königin stand einer konstitutionellen Monarchie vor, das heisst politisch hatte sie keine Macht, sondern lediglich repräsentative Befugnisse. Dennoch war die Queen, die ihr Amt über die Jahrzehnte hinweg mit grosser Würde ausgefüllt hat, unbestritten eine der wichtigsten Faktoren im britischen Innenleben. Der «Tagesspiegel» schrieb zu ihrem 90. Geburtstag: «Es spielt keine so grosse Rolle, dass ihr die Verfassung des Landes wenig formalen Spielraum einräumt. Ihr Herrschaftsbereich erstreckt sich längst auf die innere Verfassung der Engländer. Sie beherrscht das Bild, das sich die Engländer von ihrem Land machen. Und die ganze Welt von England.»
Wer war Chef: die Queen oder der Premierminister?
Die Machtverteilung war stets klar: Der Premierminister ist Regierungschef und regiert das Land, die Königin ist Staatsoberhaupt und repräsentiert das Land. Einmal in der Woche hatte der Premierminister eine Audienz im Buckingham Palast. War sie in Urlaub auf Schloss Balmoral, musste der Premier schon mal nach Schottland reisen, wo er übernachten durfte und königlichen Familienanschluss hatte.
Diese Gespräche verliefen meist zwanglos, der Premier erläuterte die politische Lage und seine Vorhaben, die Queen stellte Fragen. Dazu trank man Tee und ass Mürbeteig-Gebäck. John Major (Regierungschef 1990-1997) hat diese Treffen mit der Queen laut «Bild» regelrecht genossen: «Es war der einzige Moment in der Woche, in dem ich mit jemandem sprechen konnte, der nichts von mir wollte. Es war wie Therapiestunden für mich», erzählte er nach seiner Amtszeit. «Ich konnte unter vier Augen meine Sorgen loswerden». Es sei doch schön, «eine Art Schwamm zu sein», soll die Königin über ihre Premierminister gesagt haben, «sie können ihre Last bei mir abladen. Sie wissen, dass man unparteiisch ist.»
Wer war ihr Lieblings-Premierminister?
Mit 15 britischen Premierministern - drei Frauen, zwölf Männer - hatte Elizabeth II. seit ihrer Krönung 1952 zu tun. Manche mochte sie, andere wiederum nicht so sehr. Zu Harold Macmillan (1957-1963) hatte sie ein gutes, zu Harold Wilson (1964-1970 und 1974-1976) ein sehr entspanntes Verhältnis. Wilson durfte sogar nach der Audienz oft noch auf einen Drink bleiben.
Margaret Thatcher (1979-1990) war dagegen ihre schwierigste Ansprechpartnerin. Die Queen war nicht nur irritiert vom Faible Thatchers für seltsame Handtaschen. Sie beklagte auch oft die soziale Gefühlskälte der Premierministerin und ihre Besserwisserei. Angeblich brauchte die Königin nach jedem Treffen mit der eisernen Maggie, wie Thatcher genannt wurde, erst mal einen Whisky. Auch Tony Blair (1997-2007) nervte und beunruhigte sie zusehends mit seinem überzogenen Selbstbewusstsein. Und an Boris Johnson (2019-2022) irritierte sie seine unberechenbare Sprunghaftigkeit. Liz Truss (47) ernannte die Queen vor wenigen Tagen auf Schloss Balmoral zur neuen Regierungschefin.
Winston Churchill (1951-1955) war unbestritten der Lieblings-Premier der Queen. Der legendäre Politiker hatte zunächst grosse Zweifel an der Fähigkeit und dem politischen Verstand der Queen, die bei ihrer Thronbesteigung erst 27 Jahre alt war. Das hat sich schnell gelegt. Er brachte ihr, die keinerlei Universitätsbildung hatte, sondern nur von Privatlehrern unterrichtet worden war, bei, dass die Grösse einer Leistung auch an der Grösse der persönlichen Opfer gemessen werden könne. Churchill erklärte der Königin die Welt, vermutlich waren diese Treffen eine gründlichere und nützlichere Ausbildung für die junge Elizabeth, als es ein formales Hochstudium jemals hätte sein können. Es heisst, dass sich der 51 Jahre ältere Churchill sogar ein wenig in seine Königin verliebt habe.
Übrigens hat die Queen während ihrer Regentschaft 13 amtierende US-Präsidenten persönlich getroffen. Mit Dwight D. Eisenhower (Einladung nach Schloss Balmoral), Gerald Ford (guter Tänzer), Ronald Reagan (guter Reiter) und Bill Clinton (Gast auf der königlichen Jacht «Britannia») ergaben sich fast freundschaftliche Beziehungen. Mit John F. Kennedy und seiner Frau Jackie dinierte die Queen mit Prinz Philip im Buckingham Palast. Mit Richard Nixon (versuchte seine Tochter Trixia mit Prinz Charles zu verkuppeln), Jimmy Carter (küsste ihre Mutter, die Queen Mum, auf den Mund) und Donald Trump (zeigte ihr beim Anlaufen der Paradegarde den Rücken) waren die Begegnungen eher unglücklich. Und auch den amtierenden US-Präsident Joe Biden empfing sie im Juni 2021 auf Schloss Windsor.
Was waren ihre schönsten Highlights und grössten Erfolge?
Wie jede andere Mutter sah auch die Queen die Geburten ihrer vier Kinder Charles (1948), Anne (1950), Andrew (1960) und Edward (1964) als Höhepunkte ihres Lebens. Zu den weiteren Highlights zählen fraglos ihre Hochzeit mit dem geliebten Prinz Philip im Jahr 1947, ihre Krönung (1952), die Eröffnung der Olympischen Sommerspiele 1976 in Montreal und 2012 in London sowie die Hochzeit ihres Enkels Prinz William (2011).
Weniger bekannt sind die politischen Erfolge der Königin, der eine unstillbare Vorliebe für Schokolade und Schoko-Mousse nachgesagt wurde: So vertrat der kanadische Premierminister Brian Mulroney (1983-1993) die Ansicht, dass Elizabeth II. eine «treibende Kraft hinter den Kulissen» bei der Beendigung der Apartheid in Südafrika gewesen sei. Auch die Anstrengungen des britischen Premiers Tony Blair, in Nordirland Frieden zu schaffen, wurden von der Königin tatkräftig unterstützt. 2011 besuchte sie als erste britische Monarchin offiziell die Republik Irland. Der Staatsbesuch wurde zum Symbol für die Normalisierung der britisch-irischen Beziehungen.
Was waren die schlimmsten Krisen der Queen?
Der Tod von Familienmitgliedern wie der ihres Vaters König Georg VI. (1952), von Lord Louis Mountbatten (1979, Bombenanschlag der IRA), dem Onkel ihres Mannes Prinz Philip, ihrer Schwiegertochter Prinzessin Diana (1997), ihrer Schwester Margaret (2002), ihrer Mutter Queen Mum Elizabeth Bowes-Lyon (2002) und ihres Ehemannes Prinz Philip (2021) hat die Königin schwer getroffen.
Darüber hinaus bezeichnete sie 1992 als «Annus horribilis» (Schreckensjahr): Im März hatte sich ihr Sohn Andrew von seiner Frau Sarah Ferguson getrennt, im April liess sich ihre Tochter Anne von ihrem Ehemann Mark Philips scheiden. In diesem Jahr trennten sich auch Prinz Charles und Diana offiziell, nachdem Charles' Dauer-Affäre mit Camilla Parker-Bowles sowie Dianas Verhältnis mit dem Rittmeister James Hewitt bekannt geworden waren. Ausserdem brannte Schloss Windsor.
Die Queen hat dem traurigen Schauspiel von Charles' Ehe ein Ende gesetzt: In einem Brief, den sie zuvor mit ihrem Mann und Premierminister John Major abgesprochen hatte, teilte sie 1995 Charles und Diana mit, dass eine Scheidung «wünschenswert» sei. Die Ehe wurde 1996 geschieden.
Auch die jüngsten Wirbel um den Rücktritt und Abschied ihres Enkels Prinz Harry und seiner Frau Meghan sowie die Eskapaden ihres Sohnes Prinz Andrew, der in den Sex-Skandal des amerikanischen Investmentbankers Jeffrey Epstein verwickelt war, haben die Königin sehr belastet.
Hat die Queen auch Fehler gemacht?
Am 21. Oktober 1966 verschüttete eine Halde im walisischen Bergarbeiterdorf Aberfan Häuser und eine Grundschule. 144 Menschen waren tot, 116 davon Kinder. Die Queen besuchte den Unglücksort erst acht Tage später. Es soll eines der wenigen Male gewesen sein, dass Elizabeth in der Öffentlichkeit geweint hat. Sie hatte zunächst gegen den Rat ihrer Berater beschlossen, nicht nach Aberfan zu fahren, aus Angst, dass ihr die Leute mehr Aufmerksamkeit schenken könnten als nach Überlebenden zu suchen. Diesen Entschluss hat die Queen ihr Leben langt bereut.
Auch nach dem Unfalltod von Prinzessin Diana wurde Kritik am Verhalten der Queen laut: Sie sei gefühlskalt gewesen, habe viel zu spät Reaktionen gezeigt und sich mit der Königsfamilie inklusive den Söhnen Dianas, William und Harry, auf Schloss Balmoral in Schottland «versteckt». Diese Kritik fand der königliche Haushälter Sir Malcolm Ross ungerecht: «In Anbetracht der Tatsache, dass sie die Grossmutter eines Zwölfjährigen und eines 15-Jährigen war, deren Mutter soeben bei einem Autounfall getötet wurde, hat sie alles richtig gemacht», sagte er dem TV-Sender «BBC». «Warum hätte man die Jungs nach London bringen sollen? Warum sie nicht den ersten Schock im Schosse der Familie überwinden lassen?» Die Queen habe der Vorwurf der Gefühlskälte «tief verletzt», in Wahrheit habe sie Dianas Tod sehr betrauert.
Welche Privilegien hatte die Queen?
Ihr Gesicht ziert jede britische Münze und Banknote. Sie durfte ohne Pass - sie besass überhaupt keinen - in alle Länder der Welt einreisen. Sie hatte strafrechtliche Immunität und durfte auch nicht als Zeugin einer Straftat vor Gericht geladen werden. Sie konnte Autos fahren ohne Führerschein, für sie galt keine Geschwindigkeitsbegrenzung. Und sie war von Steuern befreit, doch seit 1993 entrichtete die Königin freiwillig Einkommens- und Kapitalertragssteuer zum üblichen Steuersatz.
Wie reich war die Queen?
Über das Privatvermögen der englischen Königin wird seit vielen Jahren gerätselt. Manche schätzen es auf umgerechnet über eine Milliarde Euro, was andere für masslos übertrieben halten. Eine Taxierung des US-Wirtschaftsmagazin «Forbes» belief sich auf umgerechnet 410 Millionen Euro. Allerdings haben die meisten Schätzungen auch Vermögenswerte einkalkuliert, die überhaupt nicht der Königin gehörten, wie etwa die Schlösser Buckingham Palast, Kensington Palast und Schloss Windsor, die königliche Kunstsammlung sowie die Kronjuwelen, die allesamt von der Krone nur treuhänderisch verwaltet werden.
Das Gleiche gilt für die Crown Estates, zu den Grundstücke, Gebäude, Ländereien, Wälder, Küstenabschnitte, Windräder, Meeresböden und Landwirtschaftsbetriebe im Vereinigten Königreich gehören und von der Queen verwaltet wurden. Die Einnahmen - 2020 waren es umgerechnet etwa 400 Millionen Euro - führte sie komplett an das britische Finanzministerium ab. Von dem Gewinn bekam die Queen jährlich 15 Prozent ausbezahlt: Mit dem Sovereign Grant aus der Staatskasse wurden die dienstlichen Ausgaben der Queen und ihrer Familie, des Hofstaats (ca. 1000 Personen) sowie der Unterhalt der Schlösser bestritten.
War die Queen eigentlich gerne Königin?
Ihre Aufgabe als Königin sah Elizabeth in ihren ersten Jahren als Monarchin als sehr schwere Bürde, der sie sich zu beugen hatte. Es war nie ihr Wunsch gewesen, einmal auf dem Thron zu sitzen. Als junges Mädchen wäre Elizabeth am liebsten Tierärztin geworden. Oder Bäuerin, die mit ihren geliebten Pferden und Hunden auf dem Land lebt und dort glücklich ist, wie ihr Butler Paul Burrell verraten hat. «Wir haben eines Tages die Hunde gefüttert, und sie sagte zu mir: 'Ich habe einen Eid vor Gott geschworen, Paul, in der Westminster Abbey an dem Tag, als ich zur Königin gekrönt wurde, meinem Land zu dienen, solange mein Körper atmet und das ist es, was ich vorhabe, zu tun.»
An dieser absoluten Pflichterfüllung hat sie aber zunehmend Freude gefunden. In einem Video-Gruss an den Klimagipfel in Glasgow sagte sie im November 2021: «Es ist für mich eine Quelle grossen Stolzes, dass die Führungsrolle, die mein Mann dabei gespielt hat, Menschen dazu zu ermutigen, unseren zerbrechlichen Planeten zu beschützen, in der Arbeit unseres ältesten Sohnes Charles und seines ältesten Sohnes William weiterlebt.»
Eines der schönsten Zitate über Elizabeth II. stammt aber wohl von Catherine, der Herzogin von Cambridge und Ehefrau des Queen-Enkels William: «Die Königin ist die Konstante für dieses Land und für den Rest von uns.»