Die 1943 in Heidelberg geborene Silvia Sommerlath (79) lernte den damaligen Kronprinz Carl Gustaf (77) bei den Olympischen Spielen 1972 in München kennen. 1973 wurde er König von Schweden. Im März 1976 gaben sie die Verlobung bekannt, am 19. Juni 1976 wurde Hochzeit gefeiert. Im TV–Porträt «Silvia. Schwedens deutsche Königin» (17.12., 23:45 Uhr oder bereits in der Mediathek) erzählt die schwedische Königin höchstpersönlich im Interview mit Royal–Expertin Julia Melchior ihre witzige Kennenlerngeschichte. In diesem Film, den das ZDF anlässlich des bevorstehenden 80. Geburtstags (23.12.) dieser ganz besonderen Königin zeigt, wird auch mit einige Mythen aufgeräumt. So war die heutige Königin nicht etwa nur eine einfache Hostess... Wie das Gespräch im Stockholmer Palast war, erzählt Dokumentarfilmerin und Königshausexpertin Julia Melchior unter anderem im Interview mit spot on news.
In Ihrem neuen Film zeigen Sie viele faszinierende Archivaufnahmen. Haben Sie lange gestöbert oder findet man solche Perlen schnell?
Julia Melchior: Es sind wirklich ein paar Archivschätze dabei, die auch mir als Filmemacherin viel Freude machen. Familienfilme aus Privatbesitz und Zufallsfunde aus Schweden und anderen europäischen Archiven. Nach manchen Sequenzen haben wir aber auch gezielt gesucht, nachdem ich mit der Königin gesprochen hatte. Durch das Gespräch bin ich auf neue Aspekte gebracht worden, die wir dann in den Archiven recherchiert haben. Da ich seit 2006 Filme über das schwedische Königshaus mache, liegt uns auch ein riesiger Fundus an Archivaufnahmen aus Schweden vor, so dass wir fast jede Anekdote bebildern konnten.
Was war die grösste Überraschung für Sie?
Melchior: Als sich alles fügte. Ich war bei der Archivrecherche auf Aufnahmen von Königin Silvia und Anne–Aymone Giscard d'Estaing – Frankreichs Première Dame von 1974 bis 1981 – gestossen. Schliesslich besuchte ich Madame Giscard d'Estaing [90] und sie erzählte mir von einer Ruckrede, die Königin Silvia 1995 zum Thema Kindesmissbrauch bei der UNESCO in Paris gehalten hatte. Das Material dazu fanden wir in einem Archiv. Und bei meinem Besuch in Stockholm berichtete die Königin dann wiederum über diese Rede in Paris, die für sie den Startschuss gab, im Kinderschutz aktiv zu werden. Und das hat Königin Silvia und Anne–Aymone Giscard d'Estaing, beide Pionierinnen im Kampf gegen Kindesmissbrauch, über Jahrzehnte verbunden. Von 1976 bis in die 2000er hinein haben die beiden Damen sich regelmässig getroffen.
Das Thema der Wohltätigkeit ist ja etwas, was man von einer Königin erwartet. Was ist das Besondere bei Königin Silvia?
Melchior: Ihr Einsatz ist sehr professionell und effektiv. Ich möchte Königin Silvia fast als Aktivistin bezeichnen. Sie hat auf Themen wie Kindesmissbrauch oder Demenz aufmerksam gemacht, die in den 1990er Jahren keiner hören wollte, und begab sich da zum Teil auch auf politisches Terrain. Sie wollte etwas ändern und hat das sehr hartnäckig verfolgt. Zusätzlich zu ihren Reden hat sie eigene Stiftungen gegründet, in die sie sich bis heute sehr einbringt. Die Königin verfügt über ein grosses Wissen und gilt bei den Themen Kindesmissbrauch und Demenz international als Expertin. Königin Silvia bricht Tabus, das aber auf eine sehr diplomatische Weise.
Neben der Recherche im Archiv haben Sie für den Film auch ein Interview mit Königin Silvia im Palast in Stockholm geführt. Wie war die Atmosphäre?
Melchior: Das war natürlich ein besonderes Erlebnis. Aber es herrschte dennoch eine sehr heimelige und gemütliche Atmosphäre. Wir sassen vor dem flackernden Kaminfeuer in den offiziellen Empfangsräumen. Das war im Übrigen auch der Raum, in dem Kronprinzessin Victoria ihre Verlobung bekannt gegeben hat.
Und wie war die Königin?
Melchior: Am meisten überrascht hat mich, wie lustig, spontan und auch schlagfertig die Königin ist. Damit hatte ich so nicht gerechnet. Ich habe sie in den letzten Jahren meist zu offiziellen Terminen begleitet. Im direkten Gespräch strahlt die Königin viel Wärme aus und gibt einem das Gefühl, über alles sprechen zu können. Und doch vergisst man nicht, dass da jetzt die Königin vor einem sitzt. Wie sie sich bewegt, wie sie schaut und gestikuliert. Es umgibt sie stets eine majestätische Aura. Man hört ein bisschen, dass sie schon sehr lange in Schweden lebt. Umgekehrt hört man auch bei ihrem Schwedisch, dass sie aus Deutschland kommt. In beiden Sprachen hat sie einen kleinen Akzent. Sie hat eine sehr sanfte Stimme, spricht aber doch sehr eindrücklich. Es wird gleich klar, sie hat etwas zu sagen.
Silvia Sommerlath und Prinz Carl Gustaf haben sich bei den Olympischen Spielen 1972 in München kennengelernt. Sie war damals nicht einfach nur eine Hostess, wie es manchmal heisst, sondern eine der Chefhostessen...
Melchior: Ich finde auch, dass es in der Darstellung immer so ein bisschen missverständlich rüberkommt. Es war nicht etwa ein netter Ferienjob, bei dem die hübsche Silvia Sommerlath bei den Olympischen Spielen Promis von A nach B führte. Silvia hat 1970 angefangen, beim Nationalen Olympischen Komitee zu arbeiten. Sie war die persönliche Assistentin des Präsidenten des NOK, Willi Daume [1913–1996]. Und aus dieser Position heraus wurde sie zu einer der Chefhostessen ernannt, die im Vorfeld der Spiele vor allem mit der Planung und Vorbereitung von Personal und dann während der Spiele mit der Einsatzplanung beauftragt waren.
Spielte Silvias Arbeit bei den Hochzeitsplanungen mit Carl Gustaf eine Rolle?
Melchior: Offenbar ja. Der Königin war es wichtig, ihren Job zu Ende zu bringen. Sie hatte sich verpflichtet, bei der Planung und Durchführung der Innsbrucker Winterspiele 1976 mitzuarbeiten. Sie wollte es und Carl Gustaf hat es akzeptiert. Erst nach den Winterspielen wurde die Verlobung bekanntgegeben. Natürlich hat sie dadurch auch Zeit gewonnen, sich genau anzuschauen, was sie in Schweden erwartet. Aber das sagt auch etwas über sie aus: Sie nimmt ihre Aufgabe sehr ernst und sie zieht durch, was sie sich vorgenommen hat.
Bevor Silvia kam, war der Hof sehr männlich dominiert. Sie hat die Rolle der Königin an der Seite des Königs neu interpretiert. Was waren ihre ersten wesentlichen Schritte?
Melchior: Silvias erste Schritte waren ein eigenes Büro, eine Schreibmaschine und Neueinstellungen vor allem junger Frauen. Eine von ihnen wurde 1976 kurz nach der Hochzeit als Mitarbeiterin in der Pressestelle engagiert und machte dann eine steile Hofkarriere. Zunächst als Pressesprecherin des Königshauses, dann als Hofmarschallin. Frauen gab es in diesen Funktionen vorher nicht. Aber die Königin musste bei all dem immer sehr vorsichtig agieren, weil sie den altgedienten Mitarbeitern des Königshauses nicht zu nahetreten wollte. Alles entwickelte sich sehr langsam.
Hat Silvia in diesen Anfangszeiten Gegenwind bekommen oder wurde sie eher belächelt?
Melchior: Wegen der Schreibmaschine, die sie für sich angefordert hat, wurde sie in der Tat belächelt. Die älteren Herren fragten sich, wofür die Königin denn eine Schreibmaschine braucht. Aber sie war es halt gewohnt, die Dinge selbst anzupacken. Die Königin schreibt auch heute noch viele E–Mails selbst, was König Charles beispielsweise nicht tut. Charles zieht immer noch Füller und Papier vor – was ja auch sehr schön ist, aber schneller und professioneller kommuniziert man auch bei Hofe digital. Königin Silvia hat auch ihre Erfahrung aus vielen Berufsjahren ins Königshaus mit eingebracht. Sie ist stets involviert in die Planung und Organisation von grossen Ereignissen am Hof wie den Hochzeiten ihrer Kinder oder Banketten und Staatbesuchen. Als ehemalige Eventmanagerin, wenn man es so nennen will, versteht sie was davon und macht das auch gerne.
Eine besonders rührende Szene im Film ist die Premiere des ABBA–Songs «Dancing Queen» in der Oper. Silvia und Carl Gustaf konnten ihre Begeisterung kaum verbergen. Ist der Song wirklich für sie geschrieben worden?
Melchior: Ich hatte für einen früheren Film schon mal mit Anni–Frid [78] von ABBA darüber gesprochen und sie hat mir erzählt, dass ihr damaliger Verlobter Benny nach Hause kam und ihr das Lied vorgespielt hat. Sie musste weinen, weil sie es so schön fand. Als ABBA dann eingeladen wurden, am Vorabend der königlichen Hochzeit in der Oper aufzutreten, haben sie sich dafür entschieden, diesen Song uraufzuführen. Er wurde nicht für Silvia geschrieben, wie tatsächlich oft behauptet wird, aber sie haben ihn am Abend vor der Hochzeit zu Ehren von Silvia uraufgeführt und ihn ihr gewidmet. «Dancing Queen» ist einer der erfolgreichsten Hits aller Zeiten.