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SBB-Chef Vincent Ducrot

«Die Pfadi ist die beste Lebensschule, die man sich vorstellen kann»

Ab dem 23. Juli bevölkern über 30 000 Pfadis das Bundeslager im Goms VS. SBB-CEO Vincent Ducrot war jahrelang begeisterter Pfadfinder. Noch heute beherzigt er die acht Pfadi-Gesetze, beruflich – und als siebenfacher Vater.

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Vincent Ducrot CEO SBB Erinnerung als Pfadfinder

Vincent Ducrot am SBB-Hauptsitz in Bern. Sein Motto: «Nach vorne schauen, nicht in den Rückspiegel.»

Geri Born

Wer Vincent Ducrot (59) gegenübersitzt, merkt schnell: Hier hat man es in keiner Art und Weise mit einem staubtrockenen Manager zu tun. Der CEO der Schweizerischen Bundesbahnen besticht durch entwaffnende Offenheit und immense Begeisterungsfähigkeit. Zum Beispiel für seinen Job. Aber auch für die Pfadi, die gut 15 Jahre lang sein Leben prägte.

Als Vincent Ducrot allerdings mit zehn Jahren erstmals zu den Pfadfindern stiess, konnte er sich nicht mit ihnen anfreunden. Der erneute Versuch fünf Jahre später ist ein voller Erfolg. Ein Jahr nach Eintritt ist er bereits Abteilungsleiter, danach führt er die Pfadi seiner Heimatgemeinde Châtel-St-Denis FR. Später ist er auf Kantonsebene aktiv, organisiert und betreut Lager von lokal bis international. Auch als das Bundeslager «Bula» 1980 im Greyerzerland stattfindet, ist er dabei. Einen Pfadi-Namen hat man in der Westschweiz übrigens nicht. Man bekommt ein Totem zugeteilt. Seines ist der Fuchs. «Die Pfadi ist die beste Lebensschule, die man sich vorstellen kann», sagt Vincent Ducrot. Die acht Pfadi-Gesetze hat er auch fast 30 Jahre nach dem Ausstieg noch verinnerlicht.

Vincent Ducrot CEO SBB Erinnerung als Pfadfinder

Der Knoten sitzt! Vincent Ducrots liebstes Foulard ist das grüne. Es stammt aus einem Lager in Oslo 1989.

Geri Born
OFFEN UND EHRLICH SEIN

«Ich hasse es, wenn ich angelogen werde», sagt Ducrot. Jeder mache Fehler, und sie zuzugeben, sei keine Schande, auch nicht als Chef eines Grossunternehmens. «Ich sage lieber, wie es ist, statt die Dinge schönzureden.» Das habe er zum Beispiel vergangenes Jahr in Bezug auf den Lokführermangel getan. Transparenz ist für ihn ein Muss, sowohl im Beruf als auch im Privatleben.

ANDERE VERSTEHEN UND ACHTEN

Muss man als CEO eines Unternehmens mit 34 000 Mitarbeitenden ein Teamplayer sein? Unbedingt, findet Vincent Ducrot. «Ich arbeite eng mit der Konzernleitung zusammen. Bei Abstimmungen werde ich da auch mal überstimmt.» Das geschah kürzlich, als es um eine Beteiligung ging. «Ich war dafür, die Mehrheit dagegen.» Ein Vetorecht hat er keines, will er auch nicht. «Ich halte es für gefährlich, wenn nur eine Stimme zählt.» Es brauche die konstruktive Auseinandersetzung mit einer Idee.

FREUDE SUCHEN UND WEITERGEBEN

Als Ducrot zum SBB-Chef gewählt wird, ist das Unternehmen in einem Rekordjahr. Als er den Posten antritt, ist das Land im Lockdown, die SBB fahren Milliardenverluste ein. «Die erste Zeit in meinem neuen Büro war ich allein im Gebäude. Keine idealen Bedingungen für einen neuen Chef.» Die Freude am Job lässt er sich nicht nehmen. «Mich faszinieren die Technik, die Infrastruktur, aber vor allem die vielen verschiedenen Menschen.» Positivität ist für ihn eine Lebensphilosophie. «Man schaut im Leben nicht in den Rückspiegel. Das sage ich all meinen Mitarbeitenden und auch meinen Kindern», sagt der siebenfache Vater. Die beiden jüngsten Söhne im Teenageralter leben bei ihm. Der Tod von Ducrots erster Frau vor fünf Jahren infolge einer Krankheit hat die Familie geprägt, aber auch gestärkt. «Es gibt immer wieder Rückschläge und schwere Zeiten. Die einzige Möglichkeit, sie zu überwinden, ist, nach vorn zu schauen.»

MITEINANDER TEILEN

Mit zwei Geschwistern aufgewachsen – Vincent Ducrot hat einen Bruder und eine Schwester –, da ist Teilen von klein auf unumgänglich. «In einer Chefposition ist man hingegen oft allein. Das ist schwierig, aber man gewöhnt sich daran.» Seine Freuden und Sorgen teilt er mit der Familie und mit Freunden. «Viele davon kenne ich tatsächlich aus der Pfadi, andere aus der Schul- oder der Uni-Zeit.»

Vincent Ducrot in der Pfadi ©HO

Vincent Ducrot (hintere Reihe, 3. v. l.) 1980 mit allen Leiterinnen und Leitern seiner Pfadi-Abteilung Veveyse Châtel-St-Denis.

ZVG
HILFE ANBIETEN

Der SBB-Chef hat eine Samariter-Ausbildung und ein Diplom als Ski-Patrouilleur. «Wenn es die Zeit erlaubt, helfe ich in einem Skigebiet bei Freiburg immer noch bei der Bergung von Verletzten auf der Piste.» Die Ausbildung habe ihm schon oft geholfen, Ruhe zu bewahren und überlegt zu handeln. «Vor Jahren, als ich noch in der IT arbeitete, renkte sich nach einem Business-Dinner ein Geschäftspartner die Schulter aus. Ich renkte sie wieder ein, fixierte sie mit seiner und meiner Krawatte und fuhr ihn ins Spital.» Er hält auch immer an, wenn er an einen Unfall heranfährt. Im Gegenzug falle es ihm nicht schwer, selbst um Hilfe zu bitten. «Wenn ich unsicher bin, frage ich unsere VR-Präsidentin Monika Ribar um Rat. Das stärkt mich in meiner Rolle.»

SORGE TRAGEN ZUR NATUR UND ZU ALLEM LEBEN

Das Klimaziel der SBB ist Klimaneutralität mit Kompensation bis zum Jahr 2030, bis 2040 möchte das Unternehmen komplett klimaneutral sein. Alle Gebäude sollen mit alternativer Heizkraft ausgestattet werden. Für die Züge werden bereits drei Viertel des Stroms selbst produziert. «Dazu kommt, dass wir überall, wo es möglich ist, recyceln, zum Beispiel Schotter, Beton oder Masten.» Ein Nachhaltigkeitsteam entwickelt entsprechende Business-Ideen. Nachhaltigkeit liege ihm auch persönlich am Herzen, sagt Vincent Ducrot. «Kleine Dinge wie Licht oder Elektrogeräte ausschalten oder nicht so lange duschen können alle umsetzen.»

WIR ENTSCHEIDEN UNS UND TRAGEN VERANTWORTUNG

«Bei den SBB ist es wie beim Fussball: Alle glauben, sie könnens besser.» Für Entscheidungen einzustehen, bedeute auch, mit Kritik umzugehen. «Manchmal ist sie ja gerechtfertigt.» Wichtig sei, aus Fehlern zu lernen und besser zu werden, so Vincent Ducrot.

SCHWIERIGKEITEN MIT ZUVERSICHT BEGEGNEN

Als CEO sei es wichtig, eine gewisse Distanz zu wahren, so Ducrot. «Bei den SBB läuft täglich etwas schief. Das liegt in der Komplexität des Unternehmens.» Schlimm ist, wenn jemand bei einem Arbeitsunfall ums Leben kommt. «Das ist heftig für mich. In so einem Moment frage ich mich, was wir falsch gemacht haben.» Alles andere seien Probleme, die gelöst wer- den können. «Vielleicht nicht auf Anhieb, aber irgendwann.» Und auch das hat er in der Pfadi gelernt: «Wir sind alle mit Höhen und Tiefen konfrontiert. Damit müssen wir umgehen können.»

Vincent Ducrot CEO SBB Erinnerung als Pfadfinder

Vincent Ducrot findet es wichtig, als CEO Distanz zu wahren. Und: «Jedes Problem kann gelöst werden. Vielleicht nicht auf Anhieb, aber irgendwann.»

Geri Born
Familienbloggerin Sandra C.
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Von Sandra Casalini am 23. Juli 2022 - 10:59 Uhr