Noch ist Schimmerling «mehr ein Start-up-Office als eine Rockband», sagt Sänger Simon Klemp im Interview mit spot on news. Doch das soll sich ändern: Schimmerling will nach der langen Corona-Zeit endlich durchstarten. Der politisch engagierte Musiker aus Bonn beschäftigt sich in seinen Songs mit den grossen Problemen unserer Zeit, unter anderem Krieg, Rechtsruck und fehlender Gleichberechtigung. «Als Damoklesschwert über allem schwebt die Klimakrise», betont Klemp.
Wer sich politisch äussert, eckt oft an - das weiss auch der Sänger. «Der grosse Hass ist mir bisher noch nicht wirklich entgegengeschlagen», stellt er jedoch fest. Bisher sind seine Songs auf grossen Anklang gestossen. In seiner neuen Single «Zukunft», die am 30. September erscheint, will er Hoffnung und Kraft spenden.
Die neue Single heisst «Zukunft» - ein grosses Wort, gerade in den heutigen Zeiten. Was hat es damit auf sich?
Simon Klemp: Es ist ein Song, der aus den vergangenen zweieinhalb Jahren Pandemie geboren wurde. Ich glaube, viele Menschen haben ein ähnliches Problem wie wir Künstlerinnen und Künstler gerade, dass bei der Planung alles ein bisschen schleierhaft ist und man sich nie grosse Fragen an die Zukunft gestellt hat. Man hat die grosse Vorstellung von «Häusle bauen, Baum pflanzen und ein Kind in die Welt setzen» und jetzt ist überall ein grosses Fragezeichen dahinter. Der Inhalt des Liedes ist ein Selbstgespräch. Darin wird gesagt: Was du gerade durchmachst, ist völlig in Ordnung. Der Song will die Probleme nicht kleinreden, denn sie sind real. Aber sie gehen vorbei.
Es gibt aktuell ja sehr viele Probleme, über die man sich Sorgen machen kann.
Klemp: Als Damoklesschwert über allem schwebt die Klimakrise. Das ist etwas, worüber ich mich, wenn ich zwei Bier getrunken habe, innerhalb von vier Sätzen in Grund und Boden reden kann. Das ist dann eine Abwärtsspirale. Ich sehe dieses grosse Bewusstsein in der Bevölkerung, aber gleichzeitig diesen Mangel an Umsetzung. Das liegt nicht nur an unserer Regierung, sondern an der ganzen Welt. Es ist ein Fass ohne Boden, aber man braucht manchmal einen Strohhalm, an dem man sich hochziehen kann. Und falls das die Kunst gewährleisten kann, dann bin ich glücklich.
Wie ist Ihr eigener Umgang mit der Zukunft? Denken Sie eher lang- oder kurzfristig?
Klemp: Ein langfristiger Denker war ich noch nie. Deswegen habe ich mich auch für die Kunst entschieden. Wir hatten als Band einen sehr vielversprechenden Start und dann, als es richtig losging und wir den ersten Song veröffentlicht haben, waren plötzlich alle Schotten dicht. Nichts ging mehr. Der Simon von damals lebte sehr häufig in der Zukunft und sagte: «Wir müssen nur dieses Quartal noch warten. Auf gar keinen Fall müssen wir die Tour noch mal absagen oder verschieben.» Das hat in einen Simon gemündet, der auf das Jetzt bezogen ist und wirklich wertschätzt, was er gerade für ein Glück hat. Auch im Freundeskreis oder in der Familie: Man kann eben nicht alles planen.
Dafür geht es nach der Pandemie jetzt sehr schnell: Neue Songs, zwei EPs, eine Tour. Wie viel bringt es denn überhaupt noch, Songs oder Alben im heutigen Musikgeschäft zu veröffentlichen?
Klemp: Da habe ich keinen gesunden Vergleichswert. Die Geschichte von Schimmerling bis jetzt ist, dass wir ein digitaler Konzern und vielmehr ein Start-up-Office als eine Rockband sind. Wir haben unsere Songs bisher nur in den digitalen Äther geworfen und hatten nicht viele Möglichkeiten, mit den Personen vor der Bühne in Kontakt zu treten. Wir machen keinen Mainstream-Pop, in dem sehr gängige Themen behandelt werden, sondern wir polarisieren. Da sehen wir uns der Schwierigkeit gegenüber, dass der erste - bis dato nur digitale - Eindruck nicht von einer Bühnen-Performance entkräftet oder gestärkt werden kann.
Eine politische Haltung ist Ihnen persönlich sehr wichtig - auch generell im Musikgeschäft?
Klemp: Ich bemängele sehr, dass die Musik so stark kommerzialisiert ist. Was in der deutschen Radiolandschaft verloren gegangen ist, ist die Kraft und Möglichkeit in der Kunst, Gedanken und Fragen bei den Hörerinnen und Hörern aufzuwerfen. Natürlich können Songs nicht die Fragen der Zeit beantworten. Ich würde mich auch niemals als derjenige bezeichnen, der die grossen Antworten hat. Aber man kann im Kleinen anfangen. Ich gehe aktuell zum Beispiel mit einer Besetzung nur aus Cis-Männern auf die Bühne. Immerhin ändert sich das aber schon. Ich habe mir etwa aus einer Überzeugung heraus eine Managerin gesucht. Meine Stagehands und Rowdies werden bei mir auch nur FLINTA* (Abkürzung für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans und agender Personen, Anm. d. Red.) sein. Denn ich finde, dass es genau da anfängt, dass man aus Überzeugung oder aus Prinzip eine neue Realität erschafft.
In Bezug auf Gleichberechtigung können wir noch lange warten. Bis zur Gleichstellung der Frau vergehen wahrscheinlich noch 100 Jahre. Ich denke mir: Wir haben so grosse Probleme, da brauchen wir mehr als nur die Hälfte der Menschheit. Wenn man sich das Bankett der Weltpolitik anschaut, sind die vielen Aggressoren und Persönlichkeiten, die für sehr ernste Probleme und viel Leid auf der Welt sorgen, leider in der Regel alle Männer. Ob das jetzt Putin oder Erdogan oder Trump ist. Es mangelt an sich nicht an Persönlichkeiten, die vernünftige Politik heutzutage machen, vor allem nicht an Frauen. Aber bis diese in eine machtvolle Position kommen, ist es ein absoluter Kampf gegen Windmühlen.
Auf der Bühne können Sie dahingehend ja zumindest Denkanstösse geben.
Klemp: Genau. Ich habe zum Beispiel ein grosses Maul, Schnauzbart und treibe gerne Sport. Aber ich möchte diese Machismo-Erscheinung komplett umdrehen. Mir geht es nicht darum, mit dem Finger auf Machos zu zeigen. Ich habe mein Leben lang behauptet, antirassistisch und feministisch zu sein. Aber auch ich hatte diese gängigen rassistischen und sexistischen Denkstrukturen, die man mit auf den Weg bekommt. Das Problem ist: Wer sich heutzutage kritisch äussert, ist gleich ein Sexist oder Rassist und man geht automatisch in die Defensive. Aber diese Defensive bringt uns nur immer wieder auseinander.
Die Verirrungen sind gerade nach diesen zweieinhalb Jahren Pandemie so gross wie noch nie. Man umgibt sich nur mit den Personen, die der gleichen Meinung sind, egal wie reflektiert diese ist. Aber wenn wir in 40 Jahren nicht erst in 100 Meter Grundwasser haben und keinen ewig heissen Sommer erleben wollen, dann braucht es einfach das grosse Miteinander. Die Menschen auf der Welt haben nun mal verschiedene Ansichten, weil sie ganz verschieden aufgewachsen sind und sozialisiert wurden. Wichtig ist, dass sich jetzt Persönlichkeiten in der Öffentlichkeit etablieren, die danach streben, zusammenzuarbeiten.
Wenn man sich politisch äussert, eckt man automatisch an. Wie gehen Sie mit Kritik um?
Klemp: Wir haben uns zum Beispiel verboten, YouTube-Kommentare zu beantworten. Bisher kamen aus dem rechten Lager aber auch nur lustige Kommentare. Da lache ich drüber. Was mich wundert: Der grosse Hass ist mir bisher noch nicht wirklich entgegengeschlagen. Das hatte ich eigentlich erwartet bei Songs wie «Ein und Alles» oder «Philosophia». Wenn mehr Leute in Kontakt mit den Songs kommen, kann ich mir aber vorstellen, dass es auch mehr Kritik geben wird. Aber bis jetzt bin ich wirklich in der glücklichen Situation, dass mich alle einfach toll finden. (lacht)
Mit seiner Band ist Simon Klemp aktuell mit seiner «Von Dreck und Liebe»-Tour unterwegs. Die nächsten Termine sind Bonn (1. Oktober 2022, Bla), Köln (6. Oktober 2022, Blue Shell), Hamburg (1. März 2023, Goldener Salon), Rostock (2. März 2023, MAU Club), Berlin (3. März 2023, Badehaus) und München (9. März 2023, Kranhalle).