Mit 57 Jahren hat der Musiker Sebastian Krumbiegel (57) eine wilde Reise hinter sich, an der er seine Fans nun in seinem autobiografischen Werk «Meine Stimme. Zwischen Haltung und Unterhaltung», das am heutigen 22. März erscheint, teilnehmen lässt. In dem unterhaltsamen Buch zieht der Sänger der Prinzen eine mit Anekdoten gespickte Bilanz seines bisherigen Lebens, von seiner Jugend in der DDR über seine Karriere als einer der ersten gesamtdeutschen Popstars, bis zu seinem heutigen Wirken als Songwriter und unermüdlicher Demokratie–Aktivist. Im Gespräch mit spot on news wirft er einen Blick auf die derzeitige Befindlichkeit des Landes und verrät, ob er sich eher Prinz Harry oder Prinz William verbunden fühlt.
Herr Krumbiegel, Ihr neues Buch bietet viele interessante Einblicke in Ihr Leben und Wirken, als klassische Autobiografie wollen Sie es jedoch nicht verstanden wissen. Wie ist dieses Buch entstanden?
Sebastian Krumbiegel: Meine Freunde von Hamburger Label Tapete Records waren bei einem meiner Solo–am–Piano–Konzerte. Diese Konzerte sind für mich eine Art Spielwiese. Ich probiere in einem intimen Rahmen vor 200 oder 300 Leuten neue Songs aus, kann an einem solchen Abend machen was ich will und geniesse das sehr. Manchmal gehen dabei mit mir die Pferde durch, ich rede mehr als ich singe, und erzähle Geschichten. Sie sagten damals, dass das ja ganz schön war, aber das Gelaber zwischen den Songs war uns zu viel. Schreib doch die Sachen, über die du sprichst, auf, und wir machen ein Buch draus. Zuerst dachte ich, dass das eine Nummer zu gross für mich ist, aber dann hatte ich grossen Spass daran, und je mehr ich schrieb, desto mehr merkte ich, dass mir das gut tut. Es war fast ein therapeutischer Effekt. Du lässt Dinge Revue passieren, die du erlebt hast und erfährst dadurch mehr über dich selbst als du dir vorstellen kannst. Ich hab' das fast nebenbei im Family–Urlaub gemacht, die ersten Kritiker waren mein engstes Umfeld, später kam der Verlag ins Spiel, und plötzlich war ein Buch fertig, das mich selbst überrascht hat.
Ja – Autobiografie klingt erstmal nach: Das war‹s jetzt – aber ich hatte während des Schreibens nie das Gefühl, eine abgeschlossene Geschichte zu erzählen. Das Leben ist spannend, und ich hab› noch viel vor. Dieses Buch sehe ich eher als eine Art Zwischenbilanz. Es geht um meine Kindheit in der ehemaligen DDR, meine Zeit im Thomanerchor , die friedliche Revolution, die ich als Student in Leipzig erlebte, den Fall der Mauer, unseren unglaublichen Erfolg mit den Prinzen, der schnell und unerwartet kam, unsere gemeinsamen Erlebnisse mit Udo Lindenberg, Rio Reiser und Annette Humpe, aber es geht eben auch um heute. Mir war wichtig, keine vermeintlichen Heldengeschichten aufzuschreiben, mir war wichtig, mich immer wieder selbst zu hinterfragen und – wie gesagt – fast therapeutisch nach meinen eigenen Schwächen und Abgründen zu suchen. Daraus ist am Ende ein, wie ich finde, kurzweiliges und unterhaltsames Buch geworden. Mit grosser Literatur hat das nichts zu tun, ich schreibe so, wie ich rede und bin froh, dass ich das gemacht habe. Auch wenn es vielleicht etwas pathetisch klingt: ich hab' jetzt rückblickend das Gefühl, dieses Buch wollte geschrieben werden – es ist einfach passiert, es kam einfach so aus mir raus.
Der Impuls, Ihre Musik mit gesellschaftlichem Engagement zu verbinden, zieht sich wie ein roter Faden durch Ihre Lebensgeschichte. Wo hat diese aktivistische Grundenergie ihren Ursprung?
Krumbiegel: «Gesellschaftliches Engagement» – das klingt für mich viel zu hochtrabend. Ich versuche, das, was mich umgibt, das, was ich erlebe und beobachte, zu reflektieren, und ich versuche gleichzeitig, mich einzumischen. Das tun wir doch alle mehr oder weniger. Wir sollten uns dabei nicht unterschätzen, denn wir sind oft zu viel mehr fähig als wir uns vorstellen können. Diese Grundhaltung haben mir meine Eltern mitgegeben, und dafür bin ich sehr dankbar. Noch heute sind sie meine ersten Kritiker, was meine Musik oder eben auch dieses Buch betrifft. Dieser Kompass, lass dir nicht alles gefallen, hinterfrage Dinge, die dir komisch vorkommen, wehre dich gegen Sachen, die du nicht willst – dieser Kompass ist für mich zu einer Grundhaltung geworden.
Ich denke, dass uns das allen gut tut, nicht blind Irgendwas als «so ist das nun mal, wir können nichts dagegen machen» hinzunehmen. Natürlich gibt es auch Stimmen, die mir sagen: Halte dich mal lieber aus dem politischen Diskurs raus, überlass das den Profis und sing mal lieber, aber das halte ich für grundfalsch. Völlig unabhängig davon ob wir nun Musik machen, im Büro arbeiten, auf der Baustelle, in der Schule im Krankenhaus oder ob wir unser Geld damit verdienen, im Supermarkt an der Kasse zu sitzen, wir selbst sind es, die sich darum kümmern sollten, in was für einer Welt wir leben. Natürlich können wir nicht die grossen globalen Probleme lösen, mal eben schnell den Krieg in der Ukraine oder irgendwo anders auf der Welt beenden, natürlich liegt es nicht in unserer Macht, wer der nächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wird, aber in unserem Umfeld, in der Familie, bei unseren Freundinnen und Freunden oder im Kollegenkreis können wir viel bewegen. Wir leben in schwierigen, bewegten Zeiten, der Planet brennt, und eigentlich sollten wir uns ausschliesslich um diese unsere Lebensgrundlage kümmern, aber wir führen weltweit einen Krieg nach dem anderen, schrauben die Rüstung nach oben und diskutieren über Waffenlieferungen.
Ja – unsere Welt ist schwierig, und wir müssen irgendwie damit umgehen, dass es immer wieder Despoten gibt, die sie anzünden wollen. So habe ich in den letzten Monaten und Jahren den mir eigentlich tief inne wohnenden Pazifismus hinterfragt, weil wir uns eben wehren müssen gegen all die Putins und Assads dieser Welt. Auf ganz viele dieser komplexen Fragen habe ich natürlich auch keine Antworten, aber ich bin davon überzeugt, dass wir über diese Fragen reden sollten und dass es ein grosser Fehler ist, zu denken, wir können uns da raushalten.
2024 gilt als schicksalhaftes Superwahljahr, die AfD könnte in Sachsen und Thüringen erstmals den Ministerpräsidenten stellen. Wie geht es Ihnen als in Leipzig lebender Künstler mit dieser Perspektive?
Krumbiegel: Ach ja – je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr komme ich an den Punkt, dass es nicht klug ist, in den dystopischen Kanon einzustimmen. Aber ich merke eben auch, dass es mir schwer fällt, die Zuversicht nicht zu verlieren, mein gutes altes Gefühl, dass das Glas immer halbvoll ist. Das Problem ist allerdings, dass es auch ein Fehler wäre, Augenwischerei zu betreiben und die Situation schön zu reden. Wir haben ein massives Problem mit rechtskonservativen Strömungen, die langsam aber sicher dabei sind, die Deutungshoheit zu gewinnen. Okay – viele Menschen scheinen gerade aufgewacht zu sein. Die grossen Demonstrationen gegen den Siegeszug der AfD machen mir einerseits Mut, andererseits befürchte ich, dass gerade Sachen passieren, die wir nicht mehr wirklich aufhalten können. Das ist kein ostdeutsches Phänomen, auch kein deutsches. Wohin wir auch schauen, in Europa oder auch weltweit, nationalistische, völkische Einstellungen gewinnen an Boden. Diesem gestrigen Zeitgeist entgegen zu treten, das ist für mich gerade eine zentrale Aufgabe. Im Unterschied zu den 1990er, den so genannten Baseball–Schläger–Jahren ist es aber leider so, dass es mittlerweile nicht mehr ein paar durchgeknallte Fascho–Skins sind, die an der Uhr drehen, die Faschisten sitzen mittlerweile in den Parlamenten, und das für mich Besorgniserregendste ist, dass die sprichwörtliche Mitte der Gesellschaft erreicht ist.
Im Osten der Republik gibt es Gegenden, in denen wir gerade nicht mehr von AfD 30+ Prozent reden müssen – da gibt es krasse Mehrheiten, und das ist gruselig. Natürlich gibt es dafür immer Gründe, und natürlich werden auch in der Politik der Regierenden Fehler gemacht – bei der demokratischen Opposition allerdings noch viel mehr. Ich kann das alles oft wirklich schwer ertragen: Dieses «wir erklären die Grünen zum Hauptfeind» der Union – das ist unsachlich und gefährlich. Der Feind unserer demokratischen Grundordnung steht rechts aussen. Das sollten wir alle endlich verstehen – wenn die erstmal politische Macht haben, dann ist es zu spät. Höcke in Thüringen spricht doch ganz offen darüber, z.B. den Rundfunkstaatsvertrag zu kündigen oder Inklusion an Schulen abschaffen zu wollen. Wenn die Institutionen, die Landesparlamente mit politischer Macht von rechts aussen bedacht werden, dann werden wir uns alle umgucken...
Und jetzt klinge ich doch wieder so negativ, was ich ja eigentlich nicht will. Noch ist es nicht zu spät, noch sind die Wahlen nicht entschieden – wir alle sollten uns unserer Verantwortung bewusst sein – es geht darum, totalitäre Machtstrukturen zu verhindern, und das schaffen wir nur, wenn wir darauf achten, dass das Kreuz, das wir bei den Wahlen machen, keinen Haken hat.
Die Prinzen existieren seit über einem Vierteljahrhundert in derselben Konstellation und scheinen sich weiterhin prächtig zu verstehen. Was ist das Geheimnis dieser glücklichen Band–Ehe?
Krumbiegel: Wir hatten ja im letzten Jahr endlich unsere lang ersehnte und mehrfach Pandemie–bedingt verschobene Tour. 30 Jahre – 30 Städte – 30 Hits – das war grossartig und ist erstmal schwer zu toppen. Dieses Jahr lassen wir es deswegen etwas ruhiger angehen. Es hat sich immer wieder bewährt, wenn wir uns zwischendurch Freiräume gelassen haben, in denen jeder sein Ding machen konnte. Wir waren im Laufe der letzten 33 Jahre immer mal wieder an den Punkt gekommen, an dem wir merkten, dass wir Gefahr laufen, einander auf die Nerven zu gehen. In so einer Situation zu sagen, wir lassen uns jetzt erstmal ein bisschen in Ruhe, ist schlau. Es hält sozusagen die Liebe frisch, das ist ähnlich wie in jeder anderen Beziehung auch.
Manchmal denke ich, dass es sowieso ein mittelschweres Wunder ist, dass wir es so lange miteinander ausgehalten haben. Vier von uns kennen sich seit ihrer Kindheit, wir gehen alle auf die 60 zu – was für mich irgendwie auch sehr gewöhnungsbedürftig klingt – und in 50 gemeinsamen Jahren passiert viel. Ich hoffe, dass wir es schaffen, zusammen als Band ewig weiter zu machen, aber dazu gehört eben auch, klug mit dieser Family umzugehen. Natürlich werden wir auch in diesem Jahr Konzerte spielen, aber das werden eher ausgewählte Dinger sein, auf die wir uns alle miteinander freuen können.
Im Jahr 1991 wurden Sie mit Ihrer Band Die Prinzen schlagartig berühmt. An welchen Einzelheiten haben Sie damals zuerst gemerkt, dass Sie plötzlich ein Pop–Star waren?
Krumbiegel: Das ist rückblickend schwierig einzuschätzen. Ich glaube, es ist unvermeidlich, dass du als Anfang/Mitte 20–jähriger Kerl an der Uhr drehst, wenn du so einen Wahnsinn erlebst, und ich habe gerade neulich jemanden getroffen, der mir sagte: Ich kenne dich noch aus deiner Arschloch–Phase, was mich schon etwas geschockt hat. Aber wenn dir jeden Tag alle um dich rum sagen, was für ein toller Typ du bist, wenn jeden Abend zehntausend Leute in ausverkauften Hallen deine Lieder mitsingen, wenn dich die Leute um dich rum permanent mit Samthandschuhen anfassen und dir eigentlich keiner mehr wirklich ehrlich sagt, was Sache ist, dann veränderst du dich, dann macht das was mit dir. Wann genau das losging, weiss ich nicht, aber es kam schon über Nacht.
Das Tückische ist, dass du es eigentlich gar nicht wirklich merkst – es kam uns damals alles so normal und folgerichtig vor: Wir haben endlich unsere erste Platte aufgenommen, sie wurde ein Millionenseller und wir Popstars – klar... Natürlich haben wir diesen Rausch genossen, aber als mich irgendwann unsere Promoterin fragte, ob ich denn mitbekommen hätte, wie ich gerade die Kellnerin angeblafft hätte – wir waren in einem Berliner Edelrestaurant essen gewesen – da hab' ich mich wahnsinnig erschrocken, denn ich hatte es nicht mal bemerkt. Das war wohl so ein Punkt, an dem ich anfing, all das zu hinterfragen, an dem ich langsam aber sicher reflektieren konnte, dass dieses Leben, das wir lebten, ein grosser Zirkus war und dass du das alles nicht so persönlich nehmen darfst. Das zu verstehen, ist ein langer Prozess, und sicher habe ich es heute noch nicht vollständig verstanden, aber ich arbeite dran...
Wie verfolgen Die Prinzen die royalen Reibereien im britischen Königshaus? Wären Sie eher Prinz William oder Prinz Harry?
Früher hätte ich sicher gesagt, dass ich eher Harry wäre, weil er das ganze Theater nicht mitspielt, weil er sich auflehnt und durch unüberlegte und provokante Aktionen auf sich aufmerksam macht. Heute denke ich aber, dass ich sicher eine Mischung aus beiden wäre, weil es eben auch richtig ist, Verantwortung zu übernehmen und nicht einfach abzuhauen und ohne Rücksicht auf Verluste sein Ding zu machen. Das ist sicher richtig, aber eben auch nicht besonders aufregend. Manchmal ärgere ich mich darüber, dass ich, je älter ich werde, wohl automatisch auch vernünftiger und besonnener werde – manchmal wünsche ich mir die radikale Spontanität zurück, die ich als junger Kerl hatte. Das ist natürlich Quatsch, ich weiss, weil du logischerweise schon mal dann verantwortungsbewusster wirst, wenn du Kinder hast.
Aber manchmal blitzt es eben doch noch durch, und ich habe das Gefühl, noch lange nicht erwachsen zu sein, und dann freu ich mich – hahaha – wie ein kleiner Junge. Das könnte manchmal peinlich sein, aber mir ist das dann in diesen Momenten glücklicherweise egal, was andere über mich denken. Ich glaube ja, dass mein Beruf mir dabei hilft, all den herrlichen, infantilen Schwachsinn in mir drin am Leben zu erhalten und ihm immer wieder Raum und Futter zu geben. Das geht ganz gut als Musiker – als Pfarrer, Polizist oder Lehrer oder eben als echter Prinz wäre das eher schwierig. Deswegen: Augen auf bei der Berufswahl, liebe Kinder!