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Psychiater Dr. Hagemann im Interview

Smiling Depression: Wenn sich hinter dem Lächeln Traurigkeit verbirgt

In der Öffentlichkeit fröhlich, zu Hause traurig? Eine sogenannte Smiling Depression könnte die Ursache sein. Ein Psychiater klärt im Interview über die atypische Depression auf.

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Eine Smiling Depression lässt sich therapeutisch behandeln.
Eine Smiling Depression lässt sich therapeutisch behandeln. Prostock-studio/Shutterstock.com

Nur weil eine Person sich in Gegenwart anderer stets froh und mit einem Lächeln zeigt, bedeutet das nicht, dass es auch in ihrem Inneren so positiv aussieht. In Fachkreisen ist ebenjenes Verhalten auch als Smiling Depression bekannt, die gleichermassen – wenn nicht sogar – noch ernster zu nehmen ist, als eine Depression. Denn Diagnose und Hilfe seien hier oftmals schwerer, wie Dr. Andreas Hagemann, Psychiater und Ärztlicher Direktor der Privatkliniken Duisburg, Eschweiler und Merbeck, in Interview mit spot on news erklärt.

Was ist eine Smiling Depression?

Dr. Andreas Hagemann: Depressive Menschen wirken auf ihr Umfeld längst nicht immer schwermütig und traurig. Auch hinter einem stets fröhlichen und unbeschwerten Lächeln kann sich eine tiefe Verstimmung verbergen. Smiling Depression nennt sich diese psychische Erkrankung. Menschen mit dieser atypischen Depression unterdrücken und verbergen ihre wahren Gefühle und inneren Konflikte vor den Mitmenschen. Oftmals sind sie sich ihrer Probleme nicht bewusst oder befürchten negativ bewertet zu werden – was Diagnose und Hilfe erschwert.

Was sind typische Anzeichen für die Krankheit?

Dr. Hagemann: Prinzipiell gibt es bei den Diagnosekriterien zwischen einer typischen und einer atypischen Depression keine Unterschiede. Eine Smiling Depression kann auch als «hochfunktionale Depression» bezeichnet werden, da sich die Beschwerden zunächst wenig bis gar nicht auf den Lebensalltag auswirken. Bei dieser atypischen Form einer Depression versuchen Betroffene, ihre Verstimmungen durch «gute Laune» zu kaschieren. Die allgemeinen Symptome einer Freud– und Lustlosigkeit bei zuvor als angenehm erlebten Tätigkeiten, einer abnormen Erschöpfbarkeit oder Antriebsverlust sowie eine depressive Stimmung die meiste Zeit des Tages über mehr als zwei Wochen gelten aber auch hier. Häufig stehen jedoch neben Stimmungsschwankungen ein erhöhtes Schlafbedürfnis, ein verstärktes Verlangen nach übermässigem Essen sowie eine geringe Kritikfähigkeit und ein Schweregefühl in Armen und Beinen im Vordergrund.

Inwiefern unterscheidet sich eine Smiling Depression von anderen Formen der Depression?

Dr. Hagemann: Smiling Depression ist kein eigentlicher Fachbegriff. Er verdeutlicht jedoch ein häufig zu beobachtendes Verhalten bei Menschen mit einer sogenannten atypischen Depression, da sie die typischen, oben beschriebenen, Symptome kaschieren. Betroffene versuchen ihre Erkrankung durch eine aufgesetzte positive Stimmung zu überspielen, einen «normalen Lebensalltag» aufrechtzuerhalten und somit ihre Depression zu verheimlichen. Sie möchten nicht auffallen und erst recht nicht zur Last fallen, haben ein starkes Bedürfnis nach Harmonie. Die stets «lächelnde Maske» fällt nur dann, wenn sich Betroffene unbeobachtet fühlen. Negative, oft extrem selbstkritische und abwertende Gedanken, eine leichte Irritierbarkeit durch andere und die oft mit einer depressiven Erkrankung einhergehenden körperlich erlebten Schmerzen werden als «normale Hoch– und Tiefphasen» oder als sonstige körperliche Symptome und Erkrankungen erklärt.

Wie gefährlich ist eine Smiling Depression?

Dr. Hagemann: Betroffene machen auf Aussenstehende einen gesunden Eindruck. Sie führen scheinbar ein ganz alltägliches Leben ohne psychische Probleme. Dadurch bleibt die Schwere der Erkrankung oft selbst Familie und Partnern verborgen. Korrigierende Rückmeldungen, die wichtige Hilfestellung durch nahestehende Personen und die (Für–)Sorge anderer bleibt aus. Trotz der belastenden Konflikte wird oft keine professionelle Hilfe in Anspruch genommen. Ist die Hürde sich Hilfe zu suchen einmal genommen, werden misslingende Versuche im Rahmen der selbstkritischen, abwertenden Gedanken als persönliche Niederlage erlebt, weitere Versuche bleiben bei fehlender Energie oft aus. Die Suizidrate ist relativ hoch.

Wie oft kommt diese Art von Depression vor?

Dr. Hagemann: Fünf Millionen Deutsche leiden hierzulande insgesamt unter den verschiedenen möglichen Formen einer Depression. Fachärzte gehen davon aus, dass jeder fünfte in seinem Leben einmal an dieser psychischen Störung erkrankt. Zwischen 15 und 40 Prozent aller depressiven Menschen leiden schätzungsweise unter einer Smiling Depression. Betroffen sind vielfach Menschen, die es nicht gelernt haben, Schwächen zu zeigen und ihre Umwelt nicht mit eigenen Problemen belasten wollen. Sie überspielen ihre Traurigkeit durch stets gute Laune und Hilfsbereitschaft. Fälschlicherweise denken sie häufig, nur wegen dieser positiven Eigenschaften von ihren Mitmenschen akzeptiert und geliebt zu werden. «Nur, wenn ich eine Leistung erbringe, werde ich gesehen und bekomme Anerkennung» ist eine weit verbreitete Selbstzuschreibung. Auch Perfektionisten sind daher besonders oft von einer Smiling Depression betroffen.

Wie wird eine Smiling Depression behandelt?

Dr. Hagemann: Leide ich länger als drei bis vier Wochen unter depressiven Verstimmungen, so sollte der Hausarzt konsultiert werden. Er kann beurteilen, ob weitere Fachärzte aufgesucht werden sollten oder ob psychologische Hilfe angebracht ist. Dabei gilt: Je frühzeitiger die Therapie beginnt, desto kürzer und leichter ist in der Regel die Behandlung. Gerade bei einer Smiling Depression ist dies eine der Schwierigkeiten, da sie oft maskiert und weder vom Betroffenen noch seinem Umfeld wahrgenommen wird.

Während bei leichteren Depressionen meist eine Psychotherapie ausreicht, kommen bei mittelschweren und schweren Formen üblicherweise Psychopharmaka (Antidepressiva) hinzu. Dies vor allem auch, da die Verfügbarkeit von Psychotherapie mit dem Bedarf nicht mithalten kann. Die stimmungsaufhellenden Medikamente helfen auch bei einer Smiling Depression dabei, den Stoffwechsel im Gehirn wieder ins Lot zu bringen.

Hilfreich sind viel Bewegung, genügend Schlaf sowie positive soziale Kontakte. Auch Entspannungsmethoden wie Progressive Muskelrelaxation oder Autogenes Training sind empfehlenswert. Denn: Kontinuierliche Zeiten im Entspannungsmodus fördern die körperliche und geistige Regeneration. Ausserdem ermöglichen sie es dem Patienten, besser mit belastenden Situationen und Stress umzugehen. Darüber hinaus kann es auch helfen, dem Leben durch ein Ehrenamt oder andere soziale Aufgaben einen Sinn zu geben.

Hilfe bei Depressionen bietet die Telefonseelsorge unter der kostenlosen Rufnummer: 0800/111 0 111

Dr. Andreas Hagemann ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Ärztlicher Direktor der Privatkliniken Duisburg, Eschweiler und Merbeck. Diese Kliniken für Psychiatrie und Psychosomatik sind spezialisiert auf Angst– und Panikstörungen, chronische Schmerzen und Stressfolgeerkrankungen wie Burnout und affektive Erkrankungen wie Depressionen.

Von SpotOn am 17. August 2024 - 16:05 Uhr