Noch bevor Shannon Lee ihren 25. Geburtstag feiern konnte, musste sich die heute 54–Jährige von den zwei wichtigsten Männern in ihrem Leben verabschieden. Als ihr Vater, die Martial–Arts–Legende Bruce Lee (1940–1973), mit 32 Jahren verstarb, war Tochter Shannon erst vier Jahre alt. Der tragische Unfalltod ihres grossen Bruders Brandon Lee (1965–1993) am Set des Films «The Crow – Die Krähe» trug sich rund 20 Jahre später zu. Im Gespräch mit «The Guardian» gewährte Shannon Lee nun tiefe Einblicke in ihre Gefühlswelt, die sie mit ihrem neuen Buch «In My Own Process» verarbeitet.
Da sie beim Tod ihres Vaters noch ein Kleinkind war, beschränken sich ihre Erinnerungen grösstenteils auf Gefühlseindrücke: «Er war etwas streng. Ich erinnere mich an das Gefühl, mit ihm zusammen zu sein, an die Helligkeit, die Wärme.» Ausgerechnet Bruce Lees Beerdigung sei ihr am stärksten im Kopf geblieben: «Es war so ein Spektakel. Ich erinnere mich nur an diesen Zustand der Dissoziation und des Schocks, als ich durch diese ganze Prozession geschleift wurde.»
Dass es allerhand Verschwörungstheorien bezüglich des Todes ihres Vaters gab, habe sie als Heranwachsende zunächst gestört. Erst später habe sie gelernt, diese einzuordnen und als Anerkennung zu verstehen: «Er war ein Kämpfer und niemand konnte sich vorstellen, dass so jemand einfach sterben würde.» Statt durch eine Hirnschwellung, ausgelöst durch die allergische Reaktion auf ein verschriebenes Schmerzmittel, sei es für die Menschen einfacher gewesen, zu glauben, ihr Vater sei von «Ninjas [...] oder einer rivalisierenden Gang» umgebracht worden.
Bruder Brandon, das «stürmische Energiebündel»
An den Tod ihres Bruders Brandon sei Shannon Lee durch einen anderen tragischen Setunfall erinnert worden, der sich vor kurzem zutrug: Wie Brandon beim Dreh des düsteren Fantasyfilms «The Crow» (1993) kam 2021 auch die Kamerafrau Halyna Hutchins (1979–2021) durch einen fatalen Unfall mit einer Schusswaffe ums Leben. Das Todesdrama am «Rust»–Set sei «sehr ähnlich» zum Verlust ihres Bruders gewesen und dränge die Frage auf: «Warum ist der Dreh eines Films wichtiger als das Leben eines Menschen?»
Ihren Bruder beschreibt sie als «grosses, stürmisches Energiebündel», der ihr gerne Streiche spielte, ihr zur richtigen Zeit aber stets zur Hilfe eilte: «Er war mein Peiniger. Aber wenn es darauf ankam, war er auch mein Beschützer. Wenn jemand gemein zu mir wurde, ging er dazwischen.» Ein typischer grosser Bruder eben.
Erst ein Zitat aus einem Tagebuch ihres Vaters habe ihr schliesslich geholfen, Brandons Tod zu verarbeiten. Bruce Lee hatte geschrieben: «Die Medizin gegen mein Leiden hatte ich von Anfang an in mir, aber ich habe sie nicht eingenommen.» Dadurch sei ihr bewusst geworden: «Die einzige Person, die das für dich lösen kann, bist du selbst.»