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Doppel-Interview mit Johannes Erlemann

Veronica Ferres: Der Film über Erlemann-Entführung ist «wahr und wirklich»

Johannes Erlemann wurde 1981 als Elfjähriger entführt. Seinen Fall erzählt der Spielfilm «Entführt – 14 Tage Überleben». Im Interview spricht Erlemann gemeinsam mit Produzentin Veronica Ferres über das herausfordernde Projekt.

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Johannes Erlemann (l.) mit Johannes-Darsteller Cecilio Andresen und Produzentin Veronica Ferres.
Johannes Erlemann (l.) mit Johannes-Darsteller Cecilio Andresen und Produzentin Veronica Ferres. RTL/Tom Trambow

Im RTL+–Original «Entführt – 14 Tage Überleben» (Free–TV–Ausstrahlung am Donnerstag, 14. September um 20:15 Uhr bei RTL) wird ein Entführungsfall aus dem Jahr 1981 nacherzählt. Der damals elfjährige Johannes Erlemann wurde auf dem Heimweg in Köln entführt und gefangen gehalten. Sein Vater, der Unternehmer Jochem Erlemann, sass zu der Zeit wegen vermeintlichem Steuerbetrug in Untersuchungshaft. Erst nach 14 Tagen und der Übergabe von drei Millionen Mark Lösegeld wird Johannes Erlemann schliesslich freigelassen.

Neben dem Spielfilm wird seine Geschichte in einem «stern TV Spezial» (im Anschluss um 22:30 Uhr bei RTL), der Doku–Reihe «Lebenslänglich Erlemann» (auf RTL+), dem «RTL+ True Crime Time»–Podcast sowie in einem Buch (erscheint am 3. April 2024) aufgearbeitet. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news erzählt Johannes Erlemann, der den Filmemachern beratend zur Seite stand, warum das Projekt vor allem dank Produzentin Veronica Ferres (58) zustande kam, wie intensiv die Dreharbeiten für ihn waren und wie ihn die Entführung noch heute beeinflusst. Veronica Ferres spricht zudem darüber, was sie an dem Fall besonders bewegt hat und wie aufwändig die Arbeit an dem Projekt war.

Herr Erlemann, Sie haben in einem Statement erklärt, dass ohne Veronica Ferres das Projekt so nicht zustande gekommen wäre. Wie hat sie Sie überzeugt?

Johannes Erlemann: Veronica Ferres war eine schicksalhafte Begegnung für mich. Ich hatte mich bereits viele Jahre intensiv damit auseinandergesetzt, meine Geschichte als Buch zu veröffentlichen. Als ich diese Absicht irgendwann in einem Interview veröffentlicht habe, hat es nicht lange gedauert, bis die namhaftesten Filmproduktionen vorstellig wurden. Das hat mich sehr neugierig gemacht. Und dennoch wollten die meisten letztendlich die Rechte an der Geschichte erwerben und «Ihren» Film daraus machen. Das war gar nicht meine Absicht.

Ich habe das stets als vertane Chance gesehen, weil die wenigsten verstanden haben, dass ich als «Überlebender meines Schicksals» das Projekt gemeinsam gestalten wollte, um etwas Einzigartiges zu schaffen: Ein maximal authentisches Zeitdokument als Annäherung in die Abgründe des erpresserischen Menschenraubes eines elfjährigen Kindes. Das Besondere: Veronika kam mit identischer Betrachtung auf mich zu und fortan war der gemeinsame Weg unsere Bestimmung.

Sie beschreiben Sie auch als «engste Vertraute». Wie hat sich dieses Vertrauen und das enge Verhältnis aufgebaut?

Erlemann: Unser Kennenlernen war begleitet von diesem besonderen, seltenen Moment der ersten Sekunden. Und wie sagt man...: «You'll never have a second chance for the first impression.» Das war aber nicht entscheidend. Es war das Fundament einer besonders engen Freundschaft, die unser einzigartiges Projekt möglich gemacht hat.

Inwiefern konnten Sie durch das Projekt das Erlebte aufarbeiten? Gab es Momente, wo Ihnen die Erinnerungen zu viel wurden?

Erlemann: Den Umfang und die Intensität unserer Mission konnte ich eingangs nur erahnen. Mir war schon klar, dass ich mich auf ein wildes Abenteuer einlasse. Und dennoch gab es eine Handvoll Situationen, die mich vollständig auf den Boden der Realität meiner eigenen Tragödie zurückgeholt haben.

Als wir beispielsweise nachts die Szene der Freilassung an der Originallocation gedreht haben. Ein Moment, bei dem damals unklar war, ob die Entführer mich nun mit ihrem Auto überfahren werden oder nicht. Für Cecilio Andresen, der mich als kleinen Jungen darstellt, habe ich minutiös sämtliche Ereignisse nachgestellt. Habe mich auf den Boden gelegt, mich fesseln lassen, usw.

Als die Kamera dann lief, habe ich ein bisschen mit meinem Handy mitgefilmt und mir die Aufnahmen daheim immer und immer wieder angesehen. Auch wenn es keine Erinnerung war, die mir zu viel wurde, so hatte dieser Moment zweifelsohne eine besondere Intensität, mit der ich mich niemals zuvor derartig auseinandergesetzt habe. Aber unser Projekt hat mich dabei begleitet, auch hinter dieses Kapitel einen Haken zu machen. Zudem war ich völlig fassungslos darüber, dass die Umsetzung zu 100 Prozent der Realität entspricht. Als wäre damals eine Kamera dabei gewesen.

Wie beeinflusst die Entführung Sie heute noch?

Erlemann: Um ehrlich zu sein, das Thema beschäftigt mich heute jeden Tag. Wir haben einen Spielfilm und eine vierteilige Dokumentation produziert. Hinzu kommt noch eine umfangreiche Podcast–Serie. Und ein Buch, bei dem ich mich am langen Ende dazu entschieden habe, es protegiert durch den Verlag selber zu schreiben. Letzteres beschreibt unglaubliche Ereignisse, für die wir im Spielfilm keine Zeit hatten. Zudem ist es von Gefühlen und Empfindungen geprägt, die nur ich formulieren kann. Und das mache ich schonungslos. Ein Segen, dass mich RTL wie ein Kind der Familie empfangen hat. Ich kann mich bedingungslos entfalten. Kaum zu glauben, dass es heute so etwas noch gibt.

Frau Ferres, Sie konnten Herrn Erlemann von dem Projekt überzeugen. Warum war Ihnen das Projekt ein Anliegen?

Veronica Ferres: Ich habe selten einen so lebensbejahenden Menschen in meinem Leben getroffen, wie Johannes Erlemann. Ich wollte hinter den Vorhang schauen und den Zuschauer mit auf diese Reise nehmen. Ich habe mir ständig die Frage gestellt: Wie kann man eine solche Isolation und Einsamkeit überwinden und bewältigen, und nicht daran zugrunde zu gehen? Wie kann man als Elfjähriger so viel Eigenständigkeit entwickeln und das Ruder in die Hand nehmen, – immerhin hatte es Johannes mit sehr gefährlichen Entführern zu tun, – woher nahm er diese Zuversicht? Und die Tatsache, dass er eine kleine Chance zum Überleben sah und nur dieser in seiner emotionalen Welt Einlass gewährte, hat mich sehr fasziniert.

Was hat Sie an dem Fall besonders emotional berührt?

Ferres: Mich hat besonders verwundert, aber auch bewegt, wie es mit Johannes nach der Freilassung weiterging. Die monatelange Verhörsituation bei der Polizei, die Verdächtigung seiner Eltern, den eigenen Sohn entführt zu haben, die Abweisung seiner Mitschüler und die Tatsache, dass einem Elfjährigen und seinen ehrlichen und wahren Aussagen, keine Bedeutung gegeben wurden, waren schockierend für mich. Aber auch die wirklich heldenhafte Haltung seiner Mutter hat mich emotional sehr bewegt.

Haben Sie als Jugendliche von dem Fall mitbekommen, welche Erinnerungen haben Sie daran?

Ferres: Ich erinnere mich an ein generelles Angstgefühl aus dieser Zeit und eine grosse Vorsicht im Umgang aller Eltern mit ihren Kindern. Der Name Erlemann war mir ein Begriff, aber ich wusste keine Details.

Was war Ihnen beiden wichtig bei der Umsetzung des Spielfilms aufgrund des sensiblen Themas?

Ferres: Es war mir besonders wichtig, ein Stück Zeitgeschichte wiederzugeben, dass Einblick gibt in die Seele eines Entführten und dessen unfassbare Kraft aber auch in die Abgründe der Entführer.

Gibt es Stellen im Film, wo die Fiktion von der Realität abweicht?

Ferres: Nein, unser Film ist wahr und wirklich. Das war unserem grossartigen Regisseur Marc Rothemund immens wichtig. Deshalb haben wir auch jahrelang Recherche betrieben und viele Originaldokumente entdeckt. Alles, was Sie sehen, ist so passiert.

Herr Erlemann, Cecilio Andresen spielt Sie als kleinen Jungen. Wie war das erste Aufeinandertreffen und wie haben Sie seinen Auftritt im Film erlebt?

Erlemann: Das Casting vom ‹kleinen Johannes› war für mich mit Abstand am schwierigsten. Die Construction Film hat einen unglaublichen Job gemacht. Aber als es darum ging, mich selbst zu identifizieren, konnte ich nicht mehr objektiv sein. In letzter Instanz habe ich mich komplett auf das Feingefühl von Veronika und unserem Regisseur Marc Rothemund verlassen. Diese Entscheidung hätte nicht besser sein können, da mich die Performance von «Cito» nachhaltig sprachlos macht.

Unsere erste Begegnung war voller Vitalität, Engagement und Schaffenskraft. Und während ich mir noch Gedanken über die Belastbarkeit des kleinen Jungen gemacht habe, löcherte er mich mit Fragen bis ins allerletzte Detail. An einigen Stellen habe ich mich sogar selbst wiedererkannt.

Frau Ferres, welche Herausforderungen brachte speziell die Doku–Serie im Vergleich zum Spielfilm mit sich?

Ferres: Bei der Doku–Serie kommt es ja auf eine Liebe zum Detail und auf die Pflicht der Faktentreue an. Diesen Spagat zur spannenden Unterhaltung zu schaffen, war die grösste Herausforderung. Das begann mit der Auswahl und Partnerschaft mit dem grossartigen Lutz Heineking jr. und seiner Produktionsfirma eitelsonnenschein. Ich hatte schon lange das Gefühl, dass Lutz und ich mit unserem Team etwas ganz Besonderes auf die Beine stellen könnten.

Ich bewundere Lutz für seine künstlerische Handschrift und seinen grossartigen sperrigen Humor. Auch wenn sich das jetzt komisch anhört, es gibt in all der Tragik und Dramatik, trotz all der klirrenden Spannung hin und wieder Momente, in denen man lachen muss... weil es so unglaublich ist, was dort geschehen ist. Diese Elemente der Leichtigkeit trotz aller Schwere sind sehr wichtig, um die Faszination der Geschichte oben zu halten. Dass Lutz die tolle Regisseurin Jutta Doberstein gewinnen konnte, ist ein sehr wichtiger Schritt gewesen. Die Arbeit im Hintergrund der Doku–Serie war so aufregend, teilweise detektivisch, um an alle die Original–Materialien zu kommen.

Es wurde mit unveröffentlichten Bildern, Akten und Tonbandaufnahmen gearbeitet. Wie schwierig war es, den Fall aus den 80ern zu rekonstruieren?

Ferres: Ja, wir haben eine riesengrosse Sammlung an Original–Briefen, Akten, Fotos, Filmen und Tonbandaufnahmen. Es hat Jahre gedauert, diese alle zu sichten und dank Johannes, Lutz und Jutta den roten Faden zu entwickeln. Es war eine intensive Zeit und eine kreative Arbeitskultur mit Diskussionen, die wir alle im Miteinander hatten und die dem Projekt sehr gut tat.

Neben Film und Serie gibt es einen Podcast, ein Buch und Magazinbeiträge sind geplant. Inwiefern zeigen diese noch andere Perspektiven?

Ferres: Die Aufgabenstellung war immer, dass jedes Projekt komplett für sich alleine steht. Das heisst, in der Doku erfahren Sie ganz andere Dinge als im Spielfilm. Der Podcast behandelt wiederum andere Aspekte als die Doku.
Und das Buch wird sehr persönlich aus Johannes' Feder sein Leben vor, während und nach dem Film beschreiben.

Herr Erlemann, welche Botschaft wollen Sie letztendlich mit der umfassenden Aufarbeitung Ihrer Geschichte vermitteln?

Erlemann: In den vergangenen Jahren habe ich mich sehr viel mit Schicksalsschlägen beschäftigt, ohne jemals dabei zu vergleichend zu sein. Jedes Ereignis hat seine eigene Intensität. Ich habe dabei gelernt, dass der Umgang mit meiner Geschichte für mich ein besonderes Privileg ist. Ganz gleich, wie nachhaltig ein Trauma ist. An irgendeiner Stelle gibt es dennoch ein Licht am Ende des Tunnels. Niemand kann die Narben auf einer Seele heilen. Aber vielleicht kann ich eine Perspektive im Umgang damit zeigen. Und das ist meine Mission.

Von SpotOn am 14. September 2023 - 14:00 Uhr