Fällt der Name Viggo Mortensen (65), schweift der imaginäre Blick sogleich gen Mittelerde – vom malerischen Auenland bis ins gespenstische Mordor. Zwar hatte der Aragorn–Darsteller auch schon vor Peter Jacksons (61) «Der Herr der Ringe»–Trilogie (2001–2003) diverse Rollen ergattern können. Doch erst Ü40 und nachdem es Schurke Sauron getan hatte, richtete auch die Traumfabrik ihr Auge vollends auf den Schauspieler. Einzig die Frage bleibt: Ist das dem introvertierten Mortensen, der am 20. Oktober seinen 65. Geburtstag feiert, überhaupt Recht?
Vom Amisch bis zum Leibhaftigen – seine Karriere vor «Herr der Ringe»
Mortensen, der Nachname deutet es schon an, hat skandinavische Wurzeln; er besitzt neben der US–amerikanischen auch die dänische Staatsbürgerschaft. Ein weiterer Vorteil seiner reisefreudigen Eltern: Neben Englisch und Dänisch beherrscht er zahlreiche weitere Sprachen. Neun an der Zahl sind es insgesamt, darunter Spanisch, Italienisch und Arabisch.
Als Katalysator für eine Schauspiel–Karriere diente seine Sprachbegabung allerdings nicht. Es dauerte bis ins Jahr 1985, ehe Mortensen seine erste kleine Rolle in einem Kinofilm erhielt – im Harrison–Ford–Thriller «Der einzige Zeuge» spielte er mit 27 Jahren einen jungen Farmer der Amisch–Glaubensgemeinschaft.
Allein in den 90er Jahren wirkte er zwar in 25 Filmen mit, nur in den wenigsten davon konnte er jedoch einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Das lag zuweilen auch an den Filmen selbst – «Texas Chainsaw Massacre III», in dem er ein Mitglied der blutrünstigen Mörderfamilie um Leatherface verkörperte, gilt nicht gerade als Meilenstein der Filmgeschichte.
Ungleich stärker dagegen Mortensens Auftritt im 1995 erschienenen Fantasyhorror «God's Army – Die letzte Schlacht». Darin machte er sich als leibhaftiger Teufel mal eben auf die Jagd nach dem gefallenen Engel Gabriel, gespielt von Christopher Walken (80). Auch in den kommenden Jahren blieb Mortensen jedoch bestenfalls eine filmische Randnotiz – bis es nach Mittelerde ging.
Überzeugungsarbeit vom Sohnemann
Dass Mortensen mit «Der Herr der Ringe» den kommerziell und popkulturell grössten Erfolg seiner Karriere feiern durfte, ist seinem damals elfjährigen Sohn Henry zu verdanken. Der habe die Bücher von J. R. R. Tolkien regelrecht verschlungen und als er erfuhr, dass seinem Vater als Last–Minute–Ersatz der Part als Aragorn winkt, leistete er erfolgreiche Überzeugungsarbeit. Der Pitch seines Sohnes: «Der Kerl wird am Ende der König! Du musst es machen!», wie Mortensen später in einem Interview verriet.
Die Rolle als fadenscheiniger «Streicher», der sich später als Aragorn und letztendlich als rechtmässiger König von Gondor und Arnor entpuppt, «hat mir zahlreiche Möglichkeiten eröffnet», wie es Mortensen selbst ausdrückte. In der Tat flatterten erst nach «Herr der Ringe» die Rollenangebote rein, die allgemeinhin als Oscar–Material angesehen werden.
Viel Ehr, wenig Ertrag
Erst im Jahr 2008, als Mortensen inzwischen stramm auf die 50 zuging, erhielt er seine erste Oscar–Nominierung. Als vermeintliches Mitglied der russischen Mafia in «Tödliche Versprechen – Eastern Promises» überzeugte er nicht nur mit meisterlich gespielter, innerer Zerrissenheit. Auch lieferte er sich in einer Sauna den vielleicht schonungslosesten Messerkampf der Filmgeschichte – von David Cronenberg (80) inszeniert und splitterfasernackt.
Auch für die Werke «Captain Fantastic – Einmal Wildnis und zurück» und «Green Book – Eine besondere Freundschaft» wurde Mortensen bei den Academy Awards jeweils für den Oscar als «Bester Hauptdarsteller» nominiert. In allen drei Fällen zog er jedoch den Kürzeren: 2008 gegen «Mister Oscar» höchstpersönlich, Daniel Day–Lewis (66, «There Will Be Blood»). 2017 triumphierte Casey Affleck (48, «Manchester by the Sea») an seiner Stelle und 2019 war es Rami Malek (42, «Bohemian Rhapsody»). Auch bei den Golden Globes und den BAFTAs blieb es bislang nur bei Nominierungen.
Gerne vor der Kamera, ungern im Rampenlicht?
Ob der in sich ruhende Charaktermime diese Nackenschläge besser als manch anderer Star verarbeitete, weiss er wohl nur selbst. Fakt ist aber: So umtriebig Mortensen ist, nicht nur auf der Leinwand, sondern auch als Musiker, Dichter und Fotograf – allzu viel Trubel um seine Person scheint ihn eher abzuschrecken. «Ich bleibe oft für mich allein», verriet er vor einigen Jahren im Gespräch mit Stephen Colbert (59) und zog wie zum Beweis sein steinzeitliches Flip–Telefon aus der Jackentasche.
In gewisser Weise ähnelt Mortensen damit jenem Mann, der ihm 2008 den Oscar vor der Nase wegschnappte: Auch Daniel Day–Lewis ging stets voll und ganz in seinen Rollen auf, verschmolz mit ihnen – in Gesprächen überraschte er hingegen mit seiner sanften, geradezu schüchternen Art zu sprechen. Und sein Flip–Handy ist geradezu legendär.
In einer Hinsicht – abseits der gewonnenen Oscars – unterscheiden sich die beiden Ausnahme–Darsteller aber hoffentlich: Während Day–Lewis im Alter von 60 Jahren vorzeitig in Schauspiel–Rente ging, muss sich der inzwischen 65 Jahre alte Viggo Mortensen dafür unbedingt noch etwas Zeit lassen. Mindestens, bis auch er endlich einen der längst überfälligen Goldjungen in den Händen halten darf.