Tiefsinnig, aber einsam. Ein Stern, der verglühte. Vom Leben der Jennifer Nitsch (1966–2004) sind einige schicksalsträchtige Schlagzeilen übriggeblieben. Ihr Tod mit 37 war der traurige Höhepunkt der Popularität dieser aussergewöhnlichen Schauspielerin. Das geschah am 13. Juni 2004, vor genau 20 Jahren.
Der Werdegang der gebürtigen Kölnerin entspricht überhaupt nicht diesem aufsehenerregenden Ende, denn sie ging ihren beruflichen Weg zielgerichtet Schritt für Ziel. Ohne grosse Abweichungen, ohne frustrierende Aussetzer. Nach dem Abitur in Bonn absolvierte Jennifer Nitsch eine Ausbildung als Kostümbildnerin. Sie ging als Bühnenassistentin zum WDR, schnupperte Studioatmosphäre, beschloss Schauspielerin zu werden und besuchte eine Schauspielschule.
Jennifer Nitsch startete in Film und Fernsehen durch
Nach dem Umzug nach München geht alles ziemlich schnell: Nach kleineren Auftritten in bekannten TV–Serien wie «Forsthaus Falkenau» und «Der Alte» spielt sie ihre erste grosse Rolle in Sönke Wortmanns (64) Kinokomödie «Allein unter Frauen» (1991). Von da an ist Jennifer Nitsch im Geschäft, im Fernsehen wie im Kino.
Für ihre Hauptrolle in dem Fünfteiler «Nur eine kleine Affäre» wird sie 1994 mit dem renommierten Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet und 1995 mit dem Adolf–Grimme–Preis, dem Oscar der deutschen TV–Branche. Dann engagiert Regisseur Dieter Wedel (1939–2022) sie für seinen fünfteiligen TV–Thriller «Der Schattenmann» (1996).
Jennifer Nitsch spielt nun in der gleichen Klasse wie Heiner Lauterbach (71) oder Heinz Hoenig (72). Kritiker bezeichnen sie als «eine deutsche Sharon Stone», stark, selbstbewusst, eine Blondine gegen die üblichen Klischees. Mit einer heiseren Stimme, «so rauchig, kalt und lasziv, dass einem ganz anders wurde», wie die «Süddeutsche Zeitung» («SZ») schrieb.
In den gerade mal 15 Jahren ihres Berufslebens als Schauspielerin wirkt sie in über 50 Filmen und Serien–Episoden mit. Diese Zielstrebigkeit beim faszinierenden Aufstieg eines deutschen Stars ist die eine Seite der Jennifer Nitsch, die «SZ» hat ihre andere so beschrieben: «Eine markant–hübsche Schauspielerin, geheimnisvoll, erfolgreich und doch selbstmörderisch exzessiv – diese Romy–Mischung tat ihre Wirkung.» Jennifer Nitschs Karriere habe nichts im Wege gestanden – «ausser Jennifer Nitsch. Der Erfolg ist Nährboden für ihre exzessive Seite».
Unfall oder Suizid?
Dann kommt der 13. Juni 2004, ein Sonntag. Gegen 13 Uhr stürzt Jennifer Nitsch aus dem vierten Stock ihrer Altbauwohnung in München–Schwabing. Freunde und die Polizei gehen von einem Suizid aus. Innerhalb weniger Wochen wird das Leben dieser jungen Frau, die durch ihre Rollen immer etwas geheimnisvoll und rätselhaft wirkte, durchleuchtet, ja seziert. «Keine vier Wochen brauchten die Medien nach dem Tod der Schauspielerin, um die deutsche Sharon Stone, zu der sie selbst die lebende Jennifer Nitsch über Jahre stilisiert hatten, vom Podest zu stossen», schrieb die «Welt».
Hilfe bei Depressionen und Suizidgedanken bietet die Telefonseelsorge unter der kostenlosen Rufnummer: 0800/111 0 111
Oder war es doch ein Unfall? Die Schauspielerin soll zum Zeitpunkt ihres Todes 3,1 Promille Alkohol im Blut gehabt haben, eine Haarprobe ergab zudem Restspuren von Kokain. Das heisst: Sie war im Vollrausch, als sie auf die Strasse fiel. Sie sei erst morgens um 5:30 Uhr nach Hause gekommen und habe dort weiter getrunken. Ein Abschiedsbrief wurde nicht gefunden. Die Staatsanwaltschaft München erklärte laut «faz.net» dazu, ob sich die 37–Jährige das Leben nahm oder volltrunken aus dem Fenster fiel, sei strafrechtlich nicht relevant und werde deshalb auch nicht weiter aufgeklärt.
Dafür begaben sich Kollegen, Freunde, Verwandte und Medien auf Spurensuche und suchten nach Erklärungen für das Verhalten einer erfolgreichen Schauspielerin, die den Eindruck hinterlassen hatte, sie habe «sich selbst erschaffen», sie habe «eine Kraft» ausgestrahlt, «die ihr im eigenen Leben fehlte» («SZ»). So entstand das Bild von einer Frau, die ihr Leben nicht ihrer Vernunft angepasst hatte.
Jennifer Nitschs Vater: «Wie das Aufleuchten eines Kometen am Himmel»
Beeinflussen habe man sie nicht können, selbst wenn man es gewollt hätte, sagen Kollegen. Die Jenny sei im Privatleben so eigensinnig gewesen wie im Beruf. Auch ihr Vater Wolfgang Nitsch, zu dem sie ein gutes Verhältnis hatte, riet seiner Tochter eindringlich zu einer Schauspielpause, doch die sei von einem Projekt zum nächsten übergegangen.
Zwar habe die Arbeit ihr innere Stabilität gegeben, da sei sie aufgeblüht, meinte Wolfgang Nitsch. Aber: «Diese gähnende Leere, die sie nach dem Dreh umfing, das ging Jenny an die Substanz.» Am Ende sei es «fast so gewesen, als hätte es so sein sollen – wie das Aufleuchten eines Komets am Himmel, der dann verblasst ist».
Drei Monate nach ihrem Tod lief der letzte Film von Jennifer Nitsch im Fernsehen. In «Judith Kemp» (2004) spielte sie eine Anwältin, die allen Widrigkeiten erfolgreich trotzt – und «Die Welt» schrieb über diese Rolle: «Das ist nicht das kaputte Starlet, das lebensuntüchtige Problempaket, von dem so viel in der Zeit nach ihrem Tod zu lesen war. Wir sehen eine starke Frau, eine gute Frau, eine gerechte Frau, eine, die zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit Verantwortung trägt. Ein Vorbild.»