Nach den schwierigen Jahren der Corona–Pandemie hat sich in unserem Alltag einiges verändert. Viele Dinge werden vermehrt online erledigt – sei es die Arbeit im Homeoffice oder der nächste Einkauf. Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene verbringen immer mehr Zeit auf Social Media, Plattformen wie TikTok boomen.
Obwohl die rasche Digitalisierung viele Vorteile mit sich bringt, fühlen sich einige Menschen dadurch einsamer als zuvor – und das, obwohl auf Instagram und Co. jeder miteinander vernetzt ist. Vielen Menschen, egal welches Alters, fehlt mittlerweile ein sogenannter «Third Place» (dt.: dritter Ort). Was steckt hinter diesem Begriff?
Diese Vorgaben sollte ein «Third Place» erfüllen
Der sogenannte «Third Place» wurde erstmals 1989 vom US–amerikanischen Soziologen Ray Oldenburg (91) in dessen Buch «The Great Good Place» benannt. Dieses Jahr bekam das Konzept erneut grosse Aufmerksamkeit, als der TikTok–User colethesciencedude es seiner Community vorstellte – das Video ging viral und erreichte bislang knapp 1,9 Millionen Views.
Oldenburg hat eine Theorie aufgestellt, nach der jeder Mensch drei Orte in seinem Leben haben sollte. Der erste Ort soll das Zuhause darstellen – sei es mit der Familie, in der WG oder alleine. Als zweiten Ort bezeichnet er die Arbeitsstelle. Zuletzt soll der dritte Ort, der «Third Place», einen Raum für Ausgleich schaffen, einen Treffpunkt bilden. Doch was macht einen «dritten Ort» aus?
Laut des Forschers sollten «Third Places» acht Eigenschaften aufweisen: Der Ort soll auf neutralem Boden sein – das bedeutet, es soll kein Zwang entstehen, jeder kann kommen und gehen, wann er will. Jede Bevölkerungsgruppe sollte Zugang haben. Austausch und Kommunikation sind kein Muss, aber gerne gesehen. Der Ort sollte einfach zu erreichen sein. In der Regel sollten «Third Places» Stammgäste, bekannte Gesichter, haben. Die Funktion des Ortes ist wichtig, die Optik steht eher im Hintergrund. Die Stimmung sollte locker sein. Und zu guter Letzt: Der designierte «Third Place» soll ein Wohlfühlort sein, eine Art zweite Familie.
Sind «Third Places» in unserer heutigen Gesellschaft noch möglich?
Bei der Frage, welche Orte sich denn nun als «Third Places» qualifizieren, kommt seit Jahren Kritik an Oldenburgs Theorie auf. Oft wird infrage gestellt, ob offensichtliche «Third Places» nicht hauptsächlich dem Konsum dienen und diesbezüglich ihren Sinn verfehlen. Klassische «Third Places» sind laut Oldenburg deutsche Biergärten, britische Pubs oder Wiener Kaffeehäuser. Kritiker sind jedoch der Meinung, dies würde die Eigenschaft entkräften, dass «Third Places» für alle zugänglich sein sollten – schliesslich wird an diesen Orten häufig viel Geld ausgegeben und nicht jeder Mensch hat ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung.
Dennoch gibt es dritte Orte, an denen der Konsum nicht im Vordergrund steht. Beispielsweise öffentliche Bibliotheken, eine Sportgruppe, der Badesee oder sogar der nächste Streik. Diese Orte bieten in der Regel die Möglichkeit, für wenig bis kein Geld in Austausch mit anderen Menschen zu gelangen, die idealerweise dieselben Interessen teilen. Wichtig sind hier die Punkte der Kommunikation und der Regelmässigkeit. Ein dritter Ort verliert schnell an Bedeutung, wenn das Publikum stets wechselt.
Allerdings scheinen klassische dritte Orte immer mehr zu verschwinden. Viele Innenstädte klagen darüber, dass Restaurants und Cafés schliessen. Das Interesse an Bibliotheken schwindet – anstatt einer Sportgruppe beizutreten, gehen viele lieber privat ins Fitnessstudio und setzen dort ihre Kopfhörer auf. Dennoch hat fast jeder selbst die Möglichkeit, wieder vermehrt «Third Places» zu kreieren.
«Third Places» schaffen mit der Kraft des Internets
Hier kommt dann wieder die Kraft der Online–Vernetzung dazu. Anstatt Cafés aufzusuchen, in der Hoffnung, dort jemanden kennenzulernen, kann man sich beispielsweise in Facebook–Gruppen verabreden und beispielsweise regelmässige Picknicks planen, einen eigenen Buchclub gründen oder gemeinsam Joggen gehen. Wichtig ist jedoch, für das Treffen mit Fremden zunächst einen öffentlichen Ort zu wählen.
Darüber hinaus lässt sich auch das Fitnessstudio oder die Uni–Kantine prima in einen «Third Place» umwandeln. Hier sollte man darauf achten, bewusst das Geschehen um sich herum wahrzunehmen, anstatt sich abzuschotten. Für introvertierte Menschen kann das eine grosse Herausforderung sein, jedoch auch zur spannenden Aufgabe werden.
Auch Online–Foren können heutzutage eine Art «Third Place» darstellen. Sei es das nächste Fifa–Online–Game oder ein Server, auf dem sich «Star Wars»–Fans austauschen – das Internet bietet für viele diesen Rückzugs– und Wohlfühlort.
Die Theorie von Ray Oldenburg ist in unserer heutigen Gesellschaft nur noch schwer umsetzbar. Doch manchmal müssen an einem Ort nicht alle acht Voraussetzungen gegeben sein, um dennoch einen Mehrwert zu haben. Für viele die wohl wichtigsten Punkte sind die Sicherheit und der Austausch mit Gleichgesinnten – und an welchen Orten das gegeben ist, muss jeder für sich selbst herausfinden. Wichtig scheint vor allem, das Kontinuum aus Zuhause und Arbeit zu unterbrechen und für einen abwechslungsreicheren Alltag zu sorgen.