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Expertin im Interview

Weihnachtszeit: Diese Tipps können bei Einsamkeit helfen

Für Menschen, die unter Einsamkeit leiden, ist die Weihnachtszeit besonders schwer. Im Interview gibt Expertin Chris Gust Tipps, welche Schritte Betroffene unternehmen können.

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Die Weihnachtszeit ist für Menschen, die von Einsamkeit betroffen sind, besonders schlimm.
Die Weihnachtszeit ist für Menschen, die von Einsamkeit betroffen sind, besonders schlimm. iStock via Getty/Kerkez

«Das Weihnachtsfest an sich stellt meiner Meinung nach lediglich den Höhepunkt einer alljährlichen Einsamkeitschallenge für Betroffene dar», sagt Chris Gust, Autorin des «Spiegel»–Bestsellers «Feel to Heal: Wie deine Emotionen dir den Weg aus der mentalen Überlastung weisen und du deine Balance wiederfindest» (mvg Verlag). Im Interview mit spot on news gibt die Coachin und Vorsitzende des ehrenamtlichen Telefondienstes «Mutruf» Tipps, wie man mit Einsamkeit in der Weihnachtszeit umgehen kann.

Sie schreiben in Ihrem Buch «Feel to Heal», die «Konsequenzen von Einsamkeit, Isolation und sozialem Rückzug aus falscher Scham sind fatal und für viele Menschen an der Tagesordnung». Sie sind auch als Coachin und beim Telefondienst «Mutruf» tätig. Wie erleben Sie die Auswirkungen von Einsamkeit auf betroffene Personen?

Chris Gust: Ich erlebe seit Jahren täglich in meiner Arbeit, wie verzweifelt Menschen durch Einsamkeit sind, wie ausgegrenzt sie sich fühlen. Einsamkeit ist anders als das Alleinsein, welches wundervolles Potenzial beinhaltet, kein gewünschter Zustand, das heisst, es gibt eine grosse Diskrepanz zwischen unserer Sehnsucht nach schönen, haltgebenden, sozialen Kontakten und der Wirklichkeit. Sich nicht verbunden, gemocht oder wertgeschätzt zu fühlen, all das widerspricht vollkommen unserem menschlichen Grundbedürfnis nach Zugehörigkeit. Und für die Personengruppen, die mich kontaktieren, entsteht nicht selten ein Teufelskreis, bei dem man nicht mehr sagen kann, was zuerst da war: die Einsamkeit an sich oder die Punkte, die ihr Leben so erschweren, dass sie dadurch vereinsamt sind?

Welche Gründe stecken Ihrer Erfahrung nach am häufigsten hinter Einsamkeit und sozialer Isolation?

Gust: Es wird in unserer immer anonymer werdenden Gesellschaft grundsätzlich schwieriger, Möglichkeiten und Wege zu finden, um neue Menschen kennenzulernen. Dabei können die Gründe für Einsamkeit sehr unterschiedlich sein. Negative Erfahrungen, Verluste, erlebte Ablehnung oder Schüchternheit sind nur einige Faktoren, die eine grosse Rolle dabei spielen können, dass Menschen sich gar nicht mehr trauen, auf andere zuzugehen. Mit zunehmendem Alter wird es noch schwieriger. Hinzukommt, dass tief verwurzelt in vielen Menschen eine grosse Scham zum Thema Einsamkeit steckt: der Gedanke, dass es an uns selbst liegen muss, wenn wir nicht, wie doch scheinbar alle anderen, Teil eines wundervollen, sozialen Netzes sind.

Gibt es Personengruppen, die besonders gefährdet sind?

Gust: Hochsensible Menschen, oder Menschen mit physischen oder psychischen Erkrankungen oder überlastete Menschen –Stichwort Mental Load und Care Arbeitende – sind besonders häufig von Einsamkeit betroffen. All diese Menschen eint, dass sie bei den gesellschaftlich «üblichen» Veranstaltungen oder Angeboten, um in Kontakt mit anderen zu kommen, oftmals überfordert wären oder zeitlich «nicht mithalten» können, beispielsweise wegen der Betreuung kleiner Kinder oder der Arbeit in Schichtdiensten, zum Beispiel im Bereich Pflege. Zusätzlich haben diese Menschen lernen müssen, gesunde Grenzen für sich zu etablieren, um sich vor einer (erneuten) Überlastung zu schützen. Für diese einzustehen, stösst jedoch auf wenig Verständnis und führt somit oft erneut zu Ablehnung.

Bei Hochsensiblen kommt erschwerend hinzu, dass ihr «Anderssein» mit allen typischen Eigenschaften – hohe ethische und moralische Ansprüche an sich und andere, extrem ausgeprägter Gerechtigkeitssinn, hoher Perfektionsanspruch und vieles mehr – sowie ein schnelleres Erreichen der Belastungsgrenzen aufgrund der intensiveren Reizverarbeitung oftmals schon Grund genug ist, dass sie tatsächlich belächelt oder ausgegrenzt werden.

An Weihnachten haben viele Menschen «heile Welt»–Erwartungen, es gilt als Familienfest und Fest der Liebe. Ist Weihnachten damit für einsame Menschen eine besonders schwere Zeit?

Gust: Ja, diese Zeit ist besonders schwer für Menschen, die sich eigentlich genau diese Idylle beziehungsweise Zugehörigkeit wünschen. Dabei stellt das Weihnachtsfest an sich meiner Meinung nach lediglich den Höhepunkt einer alljährlichen Einsamkeitschallenge für Betroffene dar. Denn bereits in der Vorweihnachtszeit werden wir überall mit den «heile–Welt–Bildern» konfrontiert, die Sie erwähnen. Weihnachts– und Adventsfeiern im Familien– und Freundeskreis, die romantisierte Stimmung, aber auch die Auswirkungen der dunklen Jahreszeit – da kommt einiges zusammen. Dass diese «heile Welt» in sehr vielen Fällen eine Illusion ist, wird auch erst in jüngster Zeit offener thematisiert, seit es ein anderes Ansatzverständnis für die Wichtigkeit unserer mentalen Gesundheit gibt.

Die Weihnachtszeit ist auch eine Zeit des Stillstands, viele Vereine oder Gruppen pausieren. Welche Hilfen gibt es, um in dieser Zeit mit Einsamkeit umzugehen?

Gust: Es gibt sehr unterschiedliche Hilfen. Abgesehen von den Basics, die Menschen grundsätzlich helfen können, einen besseren Umgang mit der Einsamkeit für sich zu finden, gibt es vielerorts auch Angebote in der Gemeinde, lokale Organisationen, Veranstaltungen und diverse Online–Netzwerke und –Angebote. Aber selbst bei diesen konkreten Hilfsangeboten spielt der bereits genannte Schamfaktor eine grosse Rolle, weil Menschen diesen erst überwinden müssten, um sie zu erfragen oder gar zu nutzen.

Was gehört zu den hilfreichen Basics für einen besseren Umgang mit der Einsamkeit?

Gust: Zu den Basics gehört zunächst die Akzeptanz der Tatsache, dass man sich einsam fühlt. Dann gilt es herauszufinden, was uns vielleicht trotzdem Freude machen kann oder in welcher Beschäftigung wir möglicherweise aufgehen. Aktiv oder kreativ zu werden, tut vielen Menschen gut. Wir können uns selbst mal eine Freude machen. Wir können uns aber auch für andere engagieren oder einbringen. Wenn jemand gut stricken kann, freut sich die nahe gelegene Frühchen–Station sicher über bunte und fröhliche Minimützen und Socken, ich spreche da aus eigener Erfahrung. Im Tierheim oder anderen sozialen Organisationen werden oft helfende Hände gebraucht und so weiter. Über solche Wege kann es möglicherweise auch zu neuen sozialen Kontakten kommen. Wir können uns auch Listen erstellen mit Wohlfühl–Tipps, die wir zur Hand nehmen können, wenn die Einsamkeit zu erdrückend wird.

Es gibt viele allgemeine Experten–Tipps für Wege aus der Einsamkeit. Welche Ratschläge finden Sie am besten umzusetzen?

Gust: Das Empfinden von Einsamkeit ist so individuell, wie die Menschen selbst und dementsprechend unterscheidet sich auch, was helfen kann. Was ich jedoch jedem empfehlen kann, ist, die eigene Resilienz zu stärken. So unzusammenhängend es vielleicht auf den ersten Blick scheint: Wir verändern nachhaltig uns und unsere mentale Verfassung, wenn wir darauf achten, wie wir uns ernähren, ob wir gut und ausreichend schlafen, ob wir uns genügend bewegen – wenn es uns körperlich möglich ist, im Idealfall an der frischen Luft. Wege und Techniken für uns zu finden, die uns entspannen, sowie sinnstiftende Tätigkeiten, wie sich für andere einzusetzen, tun den meisten Menschen gut. Und es kann sicherlich auch helfen, über den eigenen Schatten zu springen und sich auf die Suche nach anderen Menschen zu machen, denen es genauso geht.

Einsamkeit wurde während der Corona–Pandemie thematisiert, inzwischen wird wieder weniger darüber gesprochen, wie Sie auch in «Feel to Heal» anmerken. Dabei ist Einsamkeit Studien zufolge ein grosses Problem. Warum reden die Menschen so wenig darüber und was macht das mit unserer Gesellschaft?

Gust: Wie bereits angesprochen, steckt oft eine tief verwurzelte Scham dahinter. Es liegt in unserer Natur als Menschen, uns in vielerlei Hinsicht mit anderen zu vergleichen und darüber unseren «Wert» zu definieren. Wenn es so aussieht, als würde nur bei uns etwas «falsch laufen», sind wir uns selbst oft die ärgsten Feinde und grössten Kritiker. Das führt dazu, dass viele Menschen gar nicht zugeben, dass sie einsam sind. Sie tun vielleicht sogar so, als wäre alles bestens. In der Folge sind zwar viele Menschen einsam, sie können einander aber nicht finden, weil Scheinwelten aufrechterhalten werden. Traurig, oder? Fatal ist auch, dass Einsamkeit nicht nur «ein unschönes Gefühl» ist, sondern nachweislich krank machen kann.

Doch seit der Pandemie gibt es zumindest ein viel besseres Ansatzverständnis für dieses Thema, es ist nun an uns allen, uns dessen bewusst zu sein und vielleicht auch als Gesellschaft und persönlich bei unseren Mitmenschen anders hinzusehen und mal nachzufragen, wie es jemandem geht, ob jemand Unterstützung und/oder Gesellschaft braucht.

Einsamkeit verursacht gesundheitliche Probleme. Andere Länder bekämpfen soziale Isolation mit Einsamkeitsministerien. Brauchen wir eine solche Institution auch hierzulande?

Gust: Es gibt auch bei uns Angebote, wie beispielsweise das Kompetenznetzwerk Einsamkeit und weitere Organisationen. Und es gibt Menschen wie mich, die selbst aktiv werden und etwas für andere Menschen schaffen möchten, damit man gemeinsam etwas gegen die Einsamkeit tut. Nachdem ich bei einer App, die ich gegen Einsamkeit habe entwickeln lassen, im Mai diesen Jahres zu meinem eigenen Schutz zumindest für den Moment die Reissleine ziehen musste, baue ich gerade speziell für Hochsensible eine Community bei Instagram auf, bei der wir auch bereits das erste Live–Treffen in Hamburg hatten. Grundsätzlich können sich die Mitglieder dieser Community aber in einem geschützten Raum unter Beiträgen mit den für sie jeweils passenden Themen oder Orten miteinander vernetzen und kennenlernen, so dass zunächst ein Online–Kontakt und hoffentlich in vielen Fällen auch mit entsprechend gewachsenem Vertrauen echte Treffen stattfinden werden.

Wann ist es ratsam, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen?

Gust: Wann man therapeutische Hilfe in Anspruch nimmt, hängt immer vom persönlichen Leidensdruck ab. Wenn wir uns selbst nicht mehr in der Lage fühlen, aktiv zu werden oder einen Ausweg aus einer Situation zu finden, ist das Beste, was wir für uns tun können, uns professionelle Hilfe zu holen. Sich das einzugestehen, ist im Gegensatz zu den weit verbreiteten und sich leider hartnäckig haltenden Vorurteilen aufgrund der Stigmatisierung auch keine Schwäche, sondern eine Stärke und absolut kein Grund, sich zu schämen.

Von SpotOn am 22. November 2024 - 00:18 Uhr