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«Für Schweden mit der Zeit»

Wie fällt König Carl Gustafs Bilanz nach 50 Jahren Regentschaft aus?

«Für Schweden mit der Zeit» lautet das Motto, das König Carl Gustaf für seine Regentschaft gewählt hat. 50 Jahre nach seinem Amtsantritt zieht Adelsexpertin Julia Melchior im Interview eine überaus positive Bilanz und nennt überzeugende Beispiele.

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Schon das ganze Jahr über wird in Schweden das 50. Thronjubiläum von König Carl XVI. Gustaf (77) gefeiert. Am morgigen Freitag (15.9.) jährt sich der Tag, an dem sein Grossvater, der damalige König Gustav VI. Adolf (1882–1973), gestorben ist und Carl Gustaf als Thronfolger übernehmen musste, zum 50. Mal. Eine der grösseren Herausforderungen zu Beginn war es, den Wahlspruch für die Regentschaft zu finden.

In der Dokumentation «Mein Vater, der König – Carl Gustaf und Victoria von Schweden» erzählt seine jüngste Schwester, Prinzessin Christina von Schweden (80), wie Carl Gustaf und sie das Motto «Für Schweden mit der Zeit» entwickelt haben. Im Interview mit spot on news zieht die Adelsexpertin und Dokumentarfilmerin Julia Melchior Bilanz und erklärt, warum die nach seiner 50–jährigen Regentschaft sehr positiv für den Monarchen ausfällt.

König Carl Gustaf hat seine Regentschaft unter den Wahlspruch «Für Schweden mit der Zeit» gestellt. Wie fällt seine Bilanz nach 50 Jahren in Bezug auf dieses Motto aus?

Julia Melchior: Ich finde, dass er dieses Motto unbedingt erfüllt hat. Das kann man an verschiedenen Punkten festmachen. Zum einen ist er mit der Zeit gegangen, als er eine Frau geheiratet hat, die nicht von Stand ist, die er aber liebt und in der er auch das Potenzial sah, eine gute Königin zu sein.

Dann wurde während seiner Regentschaft die Verfassung dahingehend geändert, dass auch eine erstgeborene Tochter den Thron erben kann und nicht nur ein Sohn – wie es bei ihm trotz seiner älteren Schwestern noch der Fall war. Ende der 1970er Jahre war diese Änderung vielleicht noch nicht in Carl Gustafs Sinn, aber nach der Parlamentsentscheidung, hat er alles getan, seiner Tochter Victoria den Weg als seiner Nachfolgerin zu bereiten.

Ist es ihm gelungen?

Melchior: Ja, es war sogar ein besonders erfolgreiches Projekt, wenn man das so sehen möchte. Kronprinzessin Victoria ist die populärste Person des öffentlichen Lebens in Schweden. Und das, seitdem es statistische Aufzeichnungen dazu gibt. Das ist auch ein grosses Kompliment für den König, denn er hat ihren Weg flankiert, als Vater und Vorbild, Monarch und Mentor.

Anfangs war der König allerdings nicht ganz so glücklich mit der Parlamentsentscheidung, dass seine Tochter die nächste Königin werden soll. Warum?

Melchior: Das muss man aus dem Zeitgeist heraus betrachten. Er hatte die Sorge, dass es der Tochter schwerer fallen würde als einem Sohn. Mädchen sind in diesem Fall exponierter als Jungen, allein weil das öffentliche Interesse an den Königstöchtern grösser ist als an den Söhnen.

Und die Sorge war ja auch berechtigt, wie sich an Victorias Magersucht gezeigt hat. Alle Augen waren auf sie gerichtet, die Medien hatten sie im Fokus. Sie wollte einfach alles richtig machen und irgendwann wurde der Druck zu gross. In der heutigen Zeit, so möchte ich spekulieren, wäre sie vielleicht gar nicht krank geworden. In ihrer Generation war sie die einzige weibliche Thronerbin in ganz Europa. Haakon, Frederik, Willem Alexander, Felipe und William – alles Männer.

Sie haben das Thema Magersucht angesprochen. Auch hier gingen die schwedischen Royals einen, ganz im Sinne der königlichen Mottos, modernen Weg...

Melchior: Das stimmt, ihr Umgang damit war sehr «mit der Zeit». Das Königshaus ist damals proaktiv an die Öffentlichkeit gegangen und hat gesagt: «Wir haben folgendes Problem: Unsere Tochter ist krank und muss jetzt Ruhe haben» – und das hat ja auch funktioniert. Die Medien und die Menschen haben sie in Ruhe gelassen.

Eine Generation früher wurde das noch anders gehandhabt. Carl Gustaf leidet wie seine Tochter Victoria und sein Sohn Carl Philip an einer Lese–Rechtschreibschwäche. Darüber wurde nie ein einziges Wort verloren. Dagegen haben sich die Menschen über König Carl Gustaf lustig gemacht, wenn er sich in jungen Jahren beim Ablesen einer Rede verzettelt hat. Das hat ihn natürlich sehr verunsichert. Insofern ist dieser neue Umgang mit Tabus und Schwächen sehr «mit der Zeit».

Zuletzt hat der König auch die Monarchie modernisiert. Was hat er gemacht und wie erfolgreich war er damit?

Melchior: Im Jahr 2019 hat er das Königshaus auf die entscheidenden Akteurinnen und Akteure reduziert. Eine königliche Grossfamilie zu Repräsentationszwecken auf Staatskosten im 21. Jahrhundert ist nicht mehr zu rechtfertigen. Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler wollen wissen, wer auf ihre Kosten lebt und wer was dafür leistet.

In diesem Sinne hat er entschieden, dass seine Enkelkinder von Prinz Carl Philip und Prinzessin Madeleine keine Mitglieder des Königshauses mehr sind, keine Privilegien geniessen und keine Pflichten haben werden. Das hat er offenbar auch gut kommuniziert. Im Gegensatz zu Königin Margrethe II. von Dänemark, die 2022 einen ähnlichen Entschluss für ihre Familie fasste, den aber etwas ungeschickt kommunizierte.

Und warum lief das in Schweden so gut ab?

Melchior: Die Kommunikation in der Familie funktioniert sehr gut. Anders als die dänische Königin hat der schwedische König zuerst mit seinen Kindern alles hinter den Kulissen besprochen und dann die Entscheidung öffentlich gemacht. Er regiert nicht von oben durch, das muss man sagen.

Königin Margrethe hat im Vergleich dazu einen autoritäreren Führungsstil. Natürlich hat sie sich dabei nichts Böses gedacht, im Gegenteil. Für die Enkel bedeutet das ja auch Freiheit. Weil ihr jüngerer Sohn Prinz Joachim in Dänemark aber ein sehr hohes Ansehen geniesst, war die Aufregung gross, als er vor vollendete Tatsachen gestellt wurde. Das hat Carl Gustaf besser und auch wieder ganz im Sinne seines Regentschaftsmottos gemacht.

Gibt es auch inhaltliche Themen, die zu seinem Motto passen?

Melchior: Ja, auch bei den Themen, die er besetzt, geht er mit der Zeit. Natürlich ist es zeitgemäss, sich für Nachhaltigkeit und Umwelt einzusetzen. Aber bei Carl Gustaf begann das schon im Jahr 1972 bei der «Konferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt der Menschen», die damals in Stockholm stattfand.

Das Thema hat ihn aus seinem persönlichen Interesse und seiner Leidenschaft für die Natur gepackt. Er war als Kind bei den Pfadfindern und verbringt bis heute viel Zeit draussen – beim Angeln, Spazieren mit seinem Hund, Jagen, Segeln oder Skifahren. Er hat sich schon früh für den Umweltschutz stark gemacht und auch er wurde lange dafür belächelt – ähnlich wie König Charles III.

Eigentlich würde zu dieser fortschrittlichen Einstellung doch auch passen, die Regentschaft zu Lebzeiten an Victoria zu übergeben, um ihr das grosse Gefühlchaos bei einem klassischen Übergang zu ersparen?

Melchior: Ja, absolut. Er würde seinem Motto gerecht werden, wenn er zu Lebzeiten den Thron an die nächste Generation weitergeben würde. Dann würde er den Thronwechsel auch zu einem Moment der Freude machen und nicht der Trauer. Zumal auch bekannt ist, dass Victoria den Tag fürchtet, an dem sie Königin wird. Nicht aus Angst vor der Aufgabe, sondern weil es bedeutet, dass sie an dem Tag ihren Vater verliert. Die beiden haben ein sehr enges Verhältnis. Das Amt zu Lebzeiten zu übergeben, würde es zum einen Victoria leichter machen.

Zum anderen tut es auch den Monarchien gut, wie wir das in anderen europäischen Königshäusern schon gesehen haben. Victoria ist bereit und wird vom Volk, der Politik und sämtlichen Institutionen in Schweden respektiert. Aber ich glaube auch, dass es wichtig für sie ist, noch ein paar Jahre lang etwas mehr Zeit für die Familie mit den zwei kleinen Kindern zu haben. Denn der Terminkalender als Königin und König wird dann doch ein ganz anderer sein.

Sondersendung und Dokumentationen zum Jubiläum

Nach dem privaten Abendessen in der Residenz Schloss Drottningholm am heutigen Donnerstagabend (14.9.) wird der Jubiläumstag selbst mit einem feierlichen Dankgottesdienst eröffnet und mit einem grossen Bankett im Palast beendet. Am Samstag feiert die Königsfamilie dann mit den Schweden. Es wird eine Kutschfahrt durch Stockholm geben und im Anschluss ein Open–Air–Konzert vor dem Palast.

Der feierliche Umzug durch die Hauptstadt wird am 16. September von 14:15 Uhr bis 15:35 Uhr live im Ersten gezeigt. Einen umfassenden Rückblick auf die gesamten Feierlichkeiten anlässlich des Thronjubiläums gibt es dann abends ab 19:25 Uhr in einer ZDF–Sondersendung mit Moderatorin Christina von Ungern–Sternberg und Adelsexpertin Julia Melchior.

Mehr Wissenswertes und spannende Hintergrundinformationen zum Jubilar und den anderen skandinavischen Königshäusern erfahren Interessierte in den Dokumentationen, die in der ZDF–Mediathek abrufbar sind: «Mein Mann, der Kronprinz – Die Thronfolger in Norwegen und Dänemark» und «Mein Vater, der König – Carl Gustaf und Victoria von Schweden».

Von SpotOn am 14. September 2023 - 08:09 Uhr