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Autor Hansjörg Schertenleib versöhnt sich mit seiner Heimatstadt

Hansjörg Schertenleib hat es schon immer in die weite Welt hinausgezogen. Mit seinem neuen Roman kehrt der Schriftsteller nach Zürich zurück – zumindest literarisch. Sein Kraftort bleibt das Burgund.

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Wenn nicht gerade der Nebel über den Feldern hängt, überblicken Hansjörg Schertenleib und seine Ehefrau Brigitte die Weiten des Burgunds im östlichen Zentrum von Frankreich.

Wenn nicht gerade der Nebel über den Feldern hängt, überblicken Hansjörg Schertenleib und seine Ehefrau Brigitte die Weiten des Burgunds im östlichen Zentrum von Frankreich.

Kurt Reichenbach

Enge Strassen führen zum Haus von Hansjörg Schertenleib (67) und seiner Frau Brigitte (60). Die Dörfer in der Umgebung sind von Landflucht gezeichnet. Die Felder lassen weit blicken, wenn sich nicht gerade, wie jetzt im Februar, der Nebel in jede Lichtung schleicht. An anderen – sonnigen – Tagen sieht Schriftsteller Schertenleib bis zur nächsten Stadt, nach Autun.

Von seiner Schreibstube aus erkennt er die Umrisse der Saint-Lazare-Kathedrale, so als wäre sie das Motiv eines impressionistischen Gemäldes. Schertenleib mag die Ruhe, die er hier fin- det – nicht allzu fern der Schweiz, die er schon früh verlassen hat. Sie war ihm zu eng. Und doch kehrt er in seinem neusten Roman, «S’Wätter vo geschter», dorthin zurück.

Ein Herz und eine Seele: Brigitte und Hansjörg Schertenleib ­lernten sich 2010 kennen – an einer Lesung.

Ein Herz und eine Seele: Brigitte und Hansjörg Schertenleib lernten sich 2010 kennen – an einer Lesung.

Kurt Reichenbach

Im Roman verabschiedet sich ein Ehemann von seiner eben an Krebs verstorbenen Ehefrau. Schertenleib erschafft ein tiefgreifendes Psychogramm einer Ehe – spannend und wärmend zugleich. Besonders der Mundartton trifft die Lesenden schonungslos direkt, etwa wenn der Mann über seine tote Ehefrau sagt: «Es isch wie’s isch. Mache chömmer nüüt. Gar nüüt. Jetzt nüme.» Das Buch ist eine Reise durch die Geheimnisse, die das Paar voreinander hatte, durch die guten und schlechten Zeiten. Und auch eine Reise durch Zürich.

Eine Hommage an die Heimat

«Ich habe mit dem Buch Zürich ein Kränzchen gewunden», sagt Schertenleib in seinem Arbeitszimmer. Eine Art Versöhnung. Denn: «Ich bin damals aus Zürich weg, weil ich genug hatte von Männern, die so alt waren wie ich jetzt und mich anschrien.» Eine Anspielung auf «Züri brännt», die Jugendunruhen in den 80er-Jahren, die den Schriftsteller prägten. Noch heute sagt er über sich: «Ich wollte nie die Seite wechseln. Ich sehe mich immer noch als denjenigen, der am Stuhlbein der Mächtigen sägt.» Ebendas tut Schertenleib mit seinen Texten. «Ich glaube, ich habe Probleme mit der Welt. Ich habe Probleme, mit Problemen umzugehen in der Welt. Ich löse sie auf dem Papier.»

Begeisterte Sucher und Sammler: Jedes Möbelstück hat seine eigene ­Geschichte. Das wird auch im Wohnzimmer sichtbar.

Begeisterte Sucher und Sammler: Jedes Möbelstück hat seine eigene Geschichte. Das wird auch im Wohnzimmer sichtbar.

Kurt Reichenbach

Hier im Burgund scheinen diese Probleme allerdings weit weg zu sein. Vielmehr ist das Haus, das der Schriftsteller und seine Frau einem schottischen Paar abgekauft haben, ein Refugium, in dem jedes Möbelstück eine Geschichte in sich trägt und jegliche Kunstform Eingang findet.

Kreative Wohnoase

Neben Schertenleibs Schreibtisch stehen ein E-Bass, im Nebenzimmer eine Gitarre und im Erdgeschoss ein Plattenspieler. Überall im Haus ist ein musikalischer Akzent zu finden, und selbst als Schertenleib das Wohnzimmer betritt, macht er zuerst den CD-Player an und lässt Puts Marie laufen – «eine super Band», sagt der Schriftsteller, der von sich behauptet, den Rhythmus der Sprache zu verstehen – die Essenz literarischen Schreibens.

Ein Haus voller ­Musik: Neben Schertenleibs Schreibtisch stehen ein E-Bass, im ­Nebenzimmer eine Gitarre und im Erdgeschoss ein Plattenspieler.

Ein Haus voller Musik: Neben Schertenleibs Schreibtisch stehen ein E-Bass, im Nebenzimmer eine Gitarre und im Erdgeschoss ein Plattenspieler.

Kurt Reichenbach

Im oberen Stockwerk befindet sich Brigittes Atelier. Hier malt sie die weite Landschaft des Burgunds auf Öl, wenn sie nicht gerade in der Schweiz ist oder in Autun, der nächstgelegenen Stadt, als Stadtführerin Touristen durch die alten Gassen lotst.

Brigitte lernte ihren künftigen Ehemann 2010 während einer seiner Lesungen kennen. Der Funke sprang schnell über. Sie besuchte ihn immer wieder in seinem damaligen Wohnort Irland – der gefühlten Heimat Schertenleibs, wie er gern sagt – und wohnte ab 2016 auch mit ihm im US-Bundesstaat Maine, ehe sie mit ihm 2020 ins Burgund zog. Zu den beiden gesellte sich bald die zugelaufene Katze Iggy – benannt, wie könnte es anders sein, nach Rockstar Iggy Pop.

Gemeinsames Glück: 2020 kaufte das Ehepaar das Haus im Burgund. Es gehörte davor einem schottischen Paar.

Gemeinsames Glück: 2020 kaufte das Ehepaar das Haus im Burgund. Es gehörte davor einem schottischen Paar.

Kurt Reichenbach

Schertenleibs literarische Biografie, aber auch seine Wohnortwechsel zeugen von der Lust auf Neues. In Maine wagte er sich an den Kriminalroman, ein Genre, von dem er sich bis dahin fernhielt. Und auch die Mundart ist etwas, das nicht mit seinem Namen assoziiert wurde – bis jetzt. «Wir können die Mundart nicht einfach den Bernern überlassen», ist er überzeugt.

Auch an der Vernissage von «S’Wätter vo geschter» in Zürich – es lasen Stefan Gubser und Mona Petri – drückte Schertenleib seine Lust am Unbekannten im Text aus. Verständlich in Anbetracht der Akribie, mit der er schreibt. «Ich sitze jeden Tag am Schreibtisch. Und das seit 43 Jahren. Ich liebe es immer noch. Ich schreibe wahnsinnig gern», sagt er, lässt den Satz etwas wirken und lächelt.

Jeder Gedanke wird festgehalten: Seine Notizen schreibt Schriftsteller Hansjörg Schertenleib von Hand.

Jeder Gedanke wird festgehalten: Seine Notizen schreibt Schriftsteller Hansjörg Schertenleib von Hand.

Kurt Reichenbach

Kein Ende in Sicht

Auch aktuell arbeitet er an Neuem, versucht sich an etwas, das er noch nicht gemacht hat: einem historischen Roman. «Ich lese gerade Unmengen an Stoff über den Zweiten Weltkrieg», sagt er und lässt seine Akribie erneut spüren. Schertenleib ist einer jener Schriftsteller, die sich dem Text widmen, die für den Text leben und nicht fürs Netzwerken oder die grossen Bühnen. Er braucht Ruhe, um den Rhythmus seiner Sprache wirken zu lassen. Wo könnte er das besser als hier im Burgund, umgeben von Stille, Nebel und Silhouetten historischer Städte, deren Geschichten wandern – hin zu ihm.

Die Schweizer Illustrierte verlost exklusiv 20 unterzeichnete Exemplare von Hansjörg Schertenleibs Mundartroman «S'Wätter vo geschter».

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Anmeldeschluss ist der 9. März 2025.

 

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