Eine Treppe führt die Besucher hinab ins Reich der Kunst. Der frisch errichtete Museumsbau erstrahlt erst seit wenigen Wochen in finalem Glanz. In acht sternförmig angeordneten Räumen präsentieren Christoph und Silvia Blocher 200 Meisterwerke ihrer Lieblingskünstler – Albert Anker, Ferdinand Hodler, die Giacomettis, Adolf Dietrich, Robert Zünd, Rudolf Koller. Auch zwei Bilder von van Gogh haben hier einen Platz gefunden.
Bestens gelaunt führt das Ehepaar durch die Sammlung, die über 100 Millionen Franken Wert sein dürfte. Silvia Blocher gestaltete den Bau mit einem Architekten und entwarf die Räume («Geometrie war mein Lieblingsfach»). Statt Tageslicht entschied sie sich für Kunstlicht. Statt auf einem Fussboden aus Holz schreitet man auf Teppichböden von einem Raum in den nächsten. Stumpfe Winkel und Durchgänge sorgen für den perfekten Durchblick. «Ich bin für den Inhalt zuständig», sagt der alt Bundesrat. Die Freude über die «Bilderräume Herrliberg» steht ihm ins Gesicht geschrieben. Trotz seinen 81 Jahren bricht bei ihm immer wieder der Lausbub durch: «Jeder hat sein eigenes iPad. So können wir die Bilder individuell beleuchten.»
Alles begann in den 70er-Jahren mit dem Kauf einer 900-Franken-Kohlezeichnung von Albert Anker. Heute besitzt Christoph Blocher die weltgrösste Privatsammlung des Seelän-der Seelenmalers. «Kunst ist für mich keine Kapitalanlage, ich kaufe sie ihrer Schönheit wegen und weil sie mich glücklich macht.» Der Bilderschatz auf dem Privatgrundstück mit Blick auf den Zürichsee steht nur ausgewählten Personen offen. Diese staunen. Kein Gemälde ist hinter Glas! Ab und zu legen Blochers selber Hand an, hängen Bilder um. Auch im Gespräch zeigen sie keinerlei Berührungsängste, gewähren Einblick in ihren Alltag mit der Kunst, sinnieren über Reichtum und Tod. Und warum jeder Tag ein Geschenk ist.
Warum haben Sie in Ihrem Alter noch ein eigenes Museum gebaut?
Silvia Blocher: Vor ein paar Jahren konnten wir neben unserem Wohnhaus dieses Land kaufen. Mein Mann hatte die Idee, ein privates Museum zu bauen, damit die Bilder nicht mehr im Lager schlummern, sondern eine neue Heimat finden. An die Umsetzung habe ich mich gewagt.
Christoph Blocher: In unserem Schaulager – ich kenne kein schöneres Museum auf der Welt! – werden die Werke sichtbar. Von hier aus werden sie in Institutionen rund um den Globus ausgeliehen und der Öffentlichkeit präsentiert. Ich halte gern Vorträge über Anker. Das letzte Mal in einer Kirche im Berner Seeland. Einzelne Originale nehme ich mit. Das ist für die Leute eine Sensation. Sie können die Meisterwerke ohne Glas betrachten, das wir bei allen Bildern entfernt haben. Eigentlich könnten wir bald eine Glaserei auftun (lacht).
Welches war die grösste Herausforderung beim Bau?
Silvia Blocher: Es gab zwischen dem alten und dem neuen Grundstück viele wunderbare Bäume, die wir behalten wollten. Und die Gefahr von Wasser, auf das wir Rücksicht nehmen mussten. Ich fragte mich: Warum muss ein Museum immer rechteckig sein, wie ein Kunstbunker aussehen? Die stumpfen Winkel waren eine grosse Herausforderung, haben aber den Vorteil, dass alles offen wirkt und man sich von der Kunst umarmt fühlt. Im knapp fünf Meter hohen Hodler- und Giacometti-Saal hängen Bilder, die diese Weite und Grösse vertragen.
Hatten Sie schon immer ein Faible für Architektur?
Silvia Blocher: 1998 baute ich bereits unser Wohnhaus um. Ich habe ein paar Semester Mathematik studiert und ein gutes Vorstellungsvermögen. Mein Mann liess mir beim Projekt freie Hand. Er ist für die Kunst zuständig.
Was kostete der Museumsbau?
Christoph Blocher: Billig war er nicht. Nun sind alle unsere Unternehmungen unter einem Dach. Auch die Büros wurden von Männedorf hierher verlegt. Es befindet sich ja nur ein Drittel unserer Sammlung im Museum. Das andere Drittel hängt als Leihgabe auf Schloss Rhäzüns. Das letzte Drittel hängt im Wohnhaus nebenan. Wir können am Morgen nicht aufstehen und ins Badezimmer gehen, ohne dass wir nicht von einem Ankerbild geblendet werden! «Der Schulspaziergang» ist eines meiner Lieblingswerke. Seit 25 Jahren hängt es im Esszimmer. Noch immer kann ich mich darin verlieren.
Wie wurden Sie Kunstsammler?
Wir haben gar keine Sammlung gewollt, sondern nur Bilder zum Aufhängen gekauft, die uns persönlich gefallen. Plötzlich klopften die Kunsthistoriker an und meinten, dass wir eine der bedeutendsten Gemäldesammlungen von Schweizer Kunst aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert besitzen. Ich habe gefragt: Was ist denn eine Sammlung? Man sagt: Eine Sammlung besitzt man, wenn man mehr Bilder hat als Wände!
Es heisst, Sie hätten kürzlich das berühmte Bild «Mädchen mit zwei Katzen» von Albert Anker an einer Auktion ersteigert (Anmerkung der Redaktion: Das Bild aus dem Jahr 1888 wechselte für 1 983 300 Franken den Besitzer).
Erstens gehe ich nie persönlich an Auktionen. Und zweitens gebe ich nie bekannt, ob ich ein Bild gekauft habe.
Sprechen Sie sich beide immer ab?
Christoph Blocher: In der Regel schauen wir uns alles gemeinsam an. Ein Bild, das meine Frau nicht mag, würde ich nicht kaufen. Früher hat sie öfter abgewunken. Heute kenne ich meine Frau besser als sie sich selber.
Silvia Blocher: Das ist eine Anmassung (lacht). Aber man sollte schon wissen, welche Ziele man verfolgt, sonst ufert es aus. Wir haben zwei Bilder von van Gogh, der ein enger Freund von Albert Anker war. Die Bilder bereichern den Kontext. Kürzlich wolltest du ein Bild von Édouard Manet kaufen, weil Anker zu Beginn seiner Karriere mit dem Impressionismus liebäugelte. Doch ich fand: Das führt zu weit.
Wie lautet Ankers Botschaft an die heutige Zeit?
Christoph Blocher: Ankers zeitlose Devise «Siehe, die Welt ist nicht verdammt» öffnet uns die Augen. Die Erde ist nie verloren – und wir Menschen sind es auch nicht! Auch im Elend gibt es Zuversicht. Das hat nichts mit Nostalgie oder Verklärung zu tun. Anker erlebte bittere Armut, Seuchen, Krieg, Tod. Er hat zwei seiner sechs Kinder verloren und berührende Bilder von den traurigsten Momenten im Leben geschaffen.
Wie ist Ihr Nachlass geregelt?
Die Sammlung bleibt in Familienbesitz, eine Stiftung oder Schenkung an ein Museum kommt nicht infrage. Welches unserer vier Kinder die Geschicke der Kunstsammlung einmal lenken wird, ist noch offen.
Ist es schwer, alt zu werden?
Manchmal bin ich etwas «uliidig», die Kinder finden, ich sei langsamer, meine Frau meint, ich sitze etwas krumm. Wenn mir jemand sagt, dass ich über achtzig bin, antworte ich: «Gut, dass Sie mich dran erinnern. Ich merke nämlich nichts davon und laufe jeden Tag sechs Kilometer.»
Vermissen Sie die Politik?
Ich war nie leidenschaftlich gern in politischen Ämtern und bin mit Ausnahme meines Bundesratsamtes überall freiwillig ausgeschieden. Zwar wurde niemand in den letzten 40 Jahren mehr angefeindet, bekam mehr Drohungen als ich. Aber mir wird auch viel Dank und Wertschätzung entgegengebracht. Immer noch werde ich oft um Rat gebeten.
Haben Sie ein Lebensmotto?
Mein Vater hat mir als Kind beigebracht: Tue recht und scheue niemand. Daran halte ich mich bis heute.