«Wegen dem Wasser hatte ich oft Ärger mit meiner Frau», sagt Charles Merhi (46) zu Sarah van Berkel (39). Die beiden stehen in seinem Garten in Alma im Norden Libanons und ernten Tomaten. Sie sieht ihn fragend an. «Früher mussten wir das Wasser von einem Händler beziehen. Er brachte es im Tankwagen, für teures Geld. Manchmal kam er nicht, dann hatten wir kein Wasser», erzählt der arbeitslose Vater von drei Kindern. «Dank dem Roten Kreuz haben wir nun jederzeit genügend gesundes Wasser. Für viel weniger Geld. Dank euch gehts uns besser. Und ich habe keinen Ärger mehr mit meiner Frau.»
Die Sonne brennt, Sarah van Berkel wischt sich den Schweiss von der Stirn. Seit neun Jahren gehört die ehemalige Spitzen-Eiskunstläuferin zu den Botschafterinnen des Schweizerischen Rotes Kreuzes (SRK). Im Juli ist sie in den Libanon gereist, um sich vor Ort ein Bild zu machen von den vom SRK finanzierten und vom lokalen Roten Kreuz betriebenen Projekten. Sie ist in Begleitung von Jyri Rantanen (59). Seit acht Jahren koordiniert der Finne im SRK-Auftrag die Rotkreuz-Hilfe im Libanon.
Ein Land in der Krise
Die Situation im kleinen nahöstlichen Land ist katastrophal, durch die wirtschaftliche und politische Krise ist alles gelähmt. 80 Prozent der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze – die Menschen können sich die immer teureren Grundnahrungsmittel kaum mehr leisten. Der Staat liegt am Boden: Renten gibt es keine mehr, dafür alle paar Stunden Stromausfälle. Seit 2019 ist es unmöglich, sein Vermögen zu beziehen: Die Bank gibt nur noch Geld für den täglichen Bedarf heraus – 400 Franken im Monat.
Weil sie seit Beginn der Wirtschaftskrise 2019 fast nichts mehr verdienen, ist fast die Hälfte der Ärztinnen und Ärzte ausgewandert – das öffentliche Gesundheitswesen ist kollabiert. Nach der verheerenden Explosion 2020 leiden viele Menschen unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung, die Ruinen im Hafen sind noch immer da.
«Wir leben nicht, wir überleben. Und ein Ende der Krise ist nicht in Sicht, auch angesichts der Flüchtlinge, die in unser Land strömen», bekommt Sarah van Berkel überall zu hören. Die SRK-Botschafterin: «Die Menschen sind verzweifelt, sie leiden still.»
Zum Beispiel in Alma. Von April bis Dezember gibts hier keinen Regen, es wird bis 50 Grad heiss. Vor ein paar Monaten haben Mitarbeiter des Libanesischen Roten Kreuzes mit Spendengeldern aus der Schweiz eine grosse Solaranlage installiert. Diese liefert Strom für eine Pumpe, die Grundwasser an die Oberfläche und in die Wassertanks der Bevölkerung befördert. Jedes Haus im Dorf hat einen Wassertank auf dem Dach. Vom Projekt profitieren 2000 Haushaltungen, das sind 10'000 Personen. Auch in fünf anderen Dörfern der Region hat das Rote Kreuz je eine Anlage installiert. Jyri Rantanen: «Andere Ortschaften warten sehnlichst darauf. Wir sind dran.»
Am folgenden Tag besucht Sarah van Berkel das Red-Cross-Spital in Jal El Dib nahe der Hauptstadt Beirut. 35 weitere solche öffentlichen Gesundheitszentren sowie neun mobile medizinische Einheiten in abgelegenen Gebieten betreibt das Libanesische Rote Kreuz im ganzen Land. «Damit ermöglichen wir 200'000 Menschen Zugang zu medizinischer Versorgung», sagt Rosy Abi Abdallah zur Schweizerin.
Die 31-jährige Ärztin ist medizinische Leiterin aller Red-Cross-Spitäler in ihrer Heimat. Dazu betreibt das Libanesische Rote Kreuz den einzigen Ambulanzdienst und auch die einzigen Blutspendezentren im Land – auch diese Dienstleistungen sind unentgeltlich. «Wir alle vom Red Cross machen unsere Arbeit mit Herzblut. Wir lieben unser Land. Trotz allem.»
«Euch trauen wir»
Die Warteschlange vor der Klinik ist lang. Ärztin Abi Abdallah begrüsst die nächste Patientin. Mit ihren Herzrhythmusstörungen ist Sanaa Moussallem, 56, seit zwei Jahren bei ihr in Behandlung, bekommt hier für wenig Geld die nötigen Medikamente. «In einem staatlichen Spital könnte ich das alles nicht bezahlen. Hier hört man mir zu, hier bin ich guten Händen», sagt die Mutter dreier Töchter. Sarah van Berkel erkundigt sich, wie es ihrer Familie geht. Sanaa Moussallem holt tief Luft. Daheim in ihrer kleinen Wohnung kümmert sie sich aufopferungsvoll um ihren Mann Maroun.
Der 66-Jährige ist beim Olivenpflücken von der Leiter gestürzt, seither querschnittgelähmt und fast immobil, eine Rot-Kreuz-Helferin schaut regelmässig bei ihm vorbei. «Ohne das Rote Kreuz wäre ich nicht mehr am Leben», sagt seine Frau und nimmt die Hand der Ärztin. «Ihr seid die einzige Institution, der wir Libanesen noch trauen. Die nicht nimmt, sondern gibt. Ich und so viele andere Menschen im ganzen Land sind so froh und dankbar, dass es euch gibt.»
Der aktuelle bewaffnete Konflikt im Nahen Osten hat auch für das Libanesische Rote Kreuz (LRK), den wichtigsten Anbieter medizinischer Notdienste im Libanon, grosse Konsequenzen. Besonders stark betroffen ist die Grenzregion im Süden des Landes. Das LRK leistet den vom Konflikt betroffenen Menschen schnell und effektiv Hilfe. Priorität hat, im Einklang mit dem Rot-Kreuz-Auftrag und dessen humanitären Grundsätzen: Leben retten, Leiden lindern und grundlegende Dienstleistungen bereitstellen für Menschen in den betroffenen Gebieten und für Binnenvertriebene.
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Diese Reportage entstand in Zusammenarbeit mit dem SRK.