Der Helm sitzt, die Düsen dröhnen. Der Tacho des Kampfjets zeigt 2000 Stundenkilometer. Die Szenen sorgen schon beim Zuschauen für Gänsehaut und Herzrasen. Wen wunderts, dass sich alle Schauspieler beim Dreh von «Top Gun: Maverick» übergeben mussten? Nur einer nicht: Tom Cruise (59). Wochenlang trainierte er bei der US Navy an Bord der «USS Abraham Lincoln». Preis pro Stunde: 11 374 Dollar. Der Typ scheint Superkräfte zu haben – nicht nur auf der Leinwand, sondern auch im richtigen Leben. Graue Haare, Falten, Bierbauch, künstliches Hüftgelenk? Während Männer in seinem Alter bereits ihre Pensionierung planen, steigt Cruise wie ein Youngster aus dem Helikopter, der ihn zur Weltpremiere des Films in San Diego brachte. Am 3. Juli wird der Action-held 60 Jahre alt. Da darf man sich schon fragen: Wie macht er das bloss?
Der Schauspieler hat es uns noch nie leicht gemacht. Die einen halten ihn für ein Genie, die anderen für einen durchgeknallten Spinner. «Ja, ich liebe wilde Dinge. Als Kind habe ich mir aus Laken einen Fallschirm gebastelt und bin vom Dach gesprungen. Ich wollte immer Flugzeuge fliegen und habe im Laufe der Zeit Fähigkeiten erworben, die mich in jedem Moment meines Lebens unsagbar glücklich machen.»
Nun hat das Glück ihn ein wenig verlassen. 36 Jahre nach seinem ersten «Top Gun»-Auftritt bildet er als Fluglehrer Pete «Maverick» Mitchell die zukünftige Elite in der F/A-18 Super Hornet aus. Der heissblütige Kindskopf von damals ist er geblieben. Klar, büxst der ehemalige Testpilot mit einem Stealth-Jet mit Hyperschallgeschwindigkeit Mach 10 aus. Das macht ihn im neuen Streifen zum schnellsten Mann der Welt. Die Szene ist jetzt schon Kult. Soeben hat Maverick den Prototyp über die Belastungsgrenze getrieben und kurz vor dem Absturz erfolgreich den Schleudersitz ausgelöst. Mit dreckverschmiertem Gesicht, verstrubbeltem Haar und Pilotenhelm unter dem Arm landet er im Outback. «Wo bin ich?», fragt er die verdutzten Besucher eines Restaurants. Ein Junge sieht ihn an und erwidert: «Auf der Erde.»
Einmal mehr spielt der 1,70 Meter kleine Cruise die grösste Rolle seines Lebens. 1986 schien alles noch erotisch aufgeladen. Nun übt sich der Hauptdarsteller und Produzent mit sexy Sixpack im Umarmen und Loslassen, was ihn irgendwie noch sexyer macht. Dass er sich an der Bar seiner Airbase eine attraktive Frau um die 50 angelt (Jennifer Connelly), steht für den neuen Zeitgeist. Auch die Soldatin mit Call Sign «Phoenix» wird nicht zum Objekt stilisiert. Sie ist eine taffe Kollegin und ausgezeichnete Pilotin. Punkt.
Der Thrill des Films ist das Fliegen, denn diese Liebe ist universal, steht für Wagemut, Abenteuerlust, Freiheit – dem Virus ist auch die Autorin erlegen, die eine Ausbildung zur Privatpilotin macht. Ihr Fazit: «Top Gun 2» toppt alles, was Air-Nerds lieben – der Sessel wird zum Jet, die Betrachter werden zu Co-Piloten. «Cruise verleiht dem Kino zwei Stunden und 17 Minuten lang Flügel.» Doch darf man in Zeiten wie diesen überhaupt einen Film gut finden, der durch und durch Militärpropaganda ist? Ja, man darf. Als der Film gedreht wurde, gab es noch keinen Krieg. Bedauerlicherweise hat sich die Weltlage verändert. Plötzlich ist die Armee für junge Menschen wieder interessant. In Militärkreisen nennt man das «Top-Gun-Effekt». Auch hierzulande nutzt Verteidigungsministerin Viola Amherd den Hype. Ein Werbespot der Schweizer Armee soll neue Pilotenschülerinnen und -schüler für das Sphair-Programm der Schweizer Luftwaffe begeistern. Dafür wurden 42 000 Franken lockergemacht.
Der Krieg, sagte Tom Cruise, soll auf der Leinwand stattfinden, nicht auf der echten Landkarte. Es ist die vielleicht weiseste Aussage des Hobbypiloten, der privat eine P-51 Mustang fliegt. Er selber ist eine Art Peter Pan, der ein-fach nie erwachsen werden will. Vor den Mikrofonen der Weltpresse wirkt Cruise stets gut gelaunt, gibt sich herzlich, offen, fassbar statt ehrgeizig, arrogant, verbissen. Er lebt uns vor, wie gut es ist, seine Leidenschaft auszuleben, neugierig zu bleiben, auf spielerische Art mit seinem inneren Kind verbunden zu sein. Vom Aussenseiter zum Milliardär: Tom Cruise ist in Syracuse im Bundesstaat New York geboren und mit drei Schwestern in armen Verhältnissen aufgewachsen. Seine Eltern haben keinen festen Wohnsitz, Tom besucht 15 verschiedene Schulen und beschliesst, katholischer Priester zu werden, bevor er zur Schauspielerei wechselt. Ein Jahr lang wohnt er bei Franziskanermönchen. Dass er seit 1986 offizielles Mitglied von Scientology ist, bringt ihm bis heute viel Kritik ein. Er hat drei Scheidungen hinter sich (1. Mimi Rogers, 2. Nicole Kidman, 3. Katie Holmes) und ist Vater dreier Kinder. Noch während der Ehe mit Holmes kommt Skurriles ans Licht. So kün-digt er öffentlich an, nach der Geburt seiner Tochter Suri die Plazenta zu essen. Seither ist er Dauer-Single. Das mag erstaunen, schliesslich himmeln ihn Frauen auf der ganzen Welt an.
Seine einzig wahre Liebe? Vermutlich die Karriere. «Mit Filmen wie «Mission: Impossible» habe ich mir meinen allergrössten Wunsch erfüllt. Ich wollte um die Welt reisen und in fremde Kulturen eintauchen. So bekomme ich einen Einblick, was andere Leute bewegt, worüber sie lachen. Seit ich mit 18 vor der Kamera stand, denke ich: Bitte lass mich das bis zum Ende meines Lebens machen», so Cruise an den Filmfestspielen in Cannes, wo er gerade fast wie ein Ausserirdischer gefeiert wurde. Ob wir ihn in «Top Gun 3» wieder antreffen, steht in den Sternen. Zuzutrauen wäre es ihm. Hoffentlich im Cockpit eines Düsenjets, den er ohne Rollator besteigen kann.