Der Stammtisch der Schweizer Illustrierten meldet sich zurück. In der «Schaffhauser Stube» des Theater-Restaurants nehmen Platz: die Schaffhauser Regierungsratspräsidentin Cornelia Stamm Hurter, 59, Lisa Stoll, 25-jährige Alphornvirtuosin, Patrick Stolz, 56, Leiter Human Resources von UBS Switzerland, sowie vonseiten der SI-Leserschaft die Kindergärtnerin und Kinderbuchautorin Andrea Külling, 44, und Roger Staub, 48, Mitinhaber der Branding-Agentur LoF*.
Zugeschaltet aus dem Homeoffice in Hedingen ist Simone Westerfeld, 46, Leiterin Personal Banking UBS Schweiz. Durch das Gespräch führt Stefan Regez, 50, Chef Publikumszeitschriften von Ringier Axel Springer Schweiz.
Roger Staub, Sie haben lange in Los Angeles gelebt. Was hat Schaffhausen dieser Metropole voraus?
Staub (lacht): Ich will die beiden Destinationen nicht gegeneinander ausspielen. Die Wege in der Schweiz sind kurz. Alles ist gut erreichbar und relativ unkompliziert. Wenn ich in L.A. mit Freunden einen Espresso trinken will, ist dies nicht selten eine Übung von drei Stunden. Aber punkto Inspiration und Diversität ist L.A. als Schmelztiegel der Kulturen herausragend.
Andrea Külling: Vielen ist Schaffhausen klein und eng. Alle wissen sofort, was man gemacht hat und wie man denkt. Das kann aber auch ein Vorteil sein. Ich lernte meinen Mann in England kennen. Er kam nach Schaffhausen und integrierte sich sehr schnell, weil es hier überschaubar ist und man sehr schnell miteinander in Kontakt kommt.
Der SI Stammtisch ist eine publizistische Initiative der Schweizer Illustrierten und Illustré in Zusammenarbeit mit DEAR Foundation-Solidarité Suisse und UBS Schweiz.
Lisa Stoll: Ich bin in Wilchingen auf einem Bauernhof aufgewachsen, und ich fühle mich noch immer sehr wohl dort. Eine Stadt wie Zürich wäre für mich zu gross. Mittlerweile wohne ich im Kanton Aargau. Der Ort ist nicht gross. Und man kennt sich. Aber wenn ich wieder nach Schaffhausen komme, treffe ich immer schnell jemanden, den ich kenne.
Cornelia Stamm Hurter: Ich bin in der Stadt Schaffhausen geboren und aufgewachsen – später habe ich auch in anderen Kantonsteilen gelebt. Das Studium habe ich in der Westschweiz und teilweise in England gemacht. Diese Erfahrungen haben mein Heimatgefühl aber noch verstärkt. Wir haben hier in Schaffhausen alles, was man sich wünschen kann – auch eine wunderbare Landschaft.
Simone Westerfeld: Wenn man nach Schaffhausen kommt, ist man überwältigt – nicht nur vom Rheinfall. Die Altstadt und die ganze Atmosphäre sind grossartig. Es fällt auf, dass unsere Mitarbeitenden hier überproportional lange verbleiben und sich sehr gut integrieren: in Vereinen und mit gesellschaftlichen Aktivitäten.
Lassen Sie uns über Diversity und Inclusion sprechen. Das sind Megathemen in der Wirtschaft. Oder handelt es sich nur um Imagepflege?
Patrick Stolz: Absolut nicht. Bei uns fördern wir unter dem Thema Vielfalt, Fairness und Inclusion eine Kultur, in der Mitarbeitende sich willkommen fühlen und einbringen können. Ein solches Umfeld spiegelt sicherlich die gesellschaftliche Entwicklung, ist aber auch wichtig, um innovativ zu sein und nachhaltige Resultate zu erzielen. Zentral ist zudem, für einen möglichst grossen diversen Talentpool attraktiv zu sein, um dem erwarteten Fachkräftemangel in naher Zukunft entgegenzuwirken.
Westerfeld: Da kann ich mich nur anschliessen. Das ist auf keinen Fall nur Imagepflege. Es ist definitiv ein langfristiges Thema, basierend auf harten empirischen Fakten. Als Arbeitgeber stehen wir sowohl global als auch lokal unseren Mitarbeitenden gegenüber in der Verantwortung. Wir können es uns nicht leisten, einzelne Bevölkerungsgruppen aussen vor zu lassen. Es ist auch definitiv so, dass gemischte Teams bessere Leistungen liefern und innovativer sind.
Stolz: Wir wollen deshalb Vielfalt in vielen Dimensionen fördern. Ein Beispiel: Wir haben uns im Geschäftsbericht zum Ziel gesetzt, bis Ende 2025 den Frauenanteil im Direktionskader auf rund 30 Prozent zu erhöhen. Aktuell sind wir bei knapp 27 Prozent. Das heisst, wir sind auf Kurs und somit erfolgreich mehr Frauen als zuvor zu rekrutieren, zu halten und zu fördern. Beispielsweise indem wir Teilzeitpositionen – auch in Kaderpositionen – fördern, offene Stellen mehrheitlich auch auf Teilzeitbasis ausschreiben und mit flexiblen Arbeitsmodellen die Vereinbarkeit von Beruf und Familien unterstützen – für Frauen und Männer. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die aktive Einbindung unserer Mitarbeiternetzwerke, welche die Interessen unserer vielfältigen Belegschaft vertreten.
Külling: Das gefällt mir gut. Es ist sehr wichtig, dass Frauen nach der Geburt ihrer Kinder der Arbeitswelt nicht verloren gehen.
Stolz: Die Gründung einer Familie hat nach wie vor Auswirkungen auf die Arbeitssituation von Vätern und Müttern. Mit werdenden Müttern und deren Vorgesetzten führen wir in der Regel drei Gespräche: vor, während und nach dem Mutterschaftsurlaub. Wir suchen nach flexiblen und individuellen Lösungen. Zudem haben wir seit Jahren ein Career-Comeback-Programm, mit dem wir kompetente und erfahrene Frauen einstellen wollen, die nach einer Karrierepause ihre berufliche Laufbahn weiterverfolgen möchten.
Külling: Das tönt super. Für mich war es nach jeder Geburt sehr schwierig. Mich hat jedes Kind zwei Jahre aus dem Berufsleben gerissen. Ich hatte lange, bis ich wieder da war – auch vom Kopf her. Ich bewundere alle Frauen, die Arbeit und Kleinkinder unter einen Hut bringen.
Stamm Hurter: Ich hatte das seltene Glück, dass ich, als meine Kinder noch klein waren, einen hoch qualifizierten Job zu 30 Prozent ausüben konnte – als Oberrichterin. Zudem war mein Mann unregelmässig tätig. Er arbeitete in der Nacht – betreute die Kinder am Tag. Manchmal brachte er sie mir in der Gerichtspause zum Stillen vorbei.
Külling: Ich sagte nicht, ich will nicht mehr arbeiten. Aber ich konnte nicht. Kaum waren die Kinder aber etwas grösser, ging es wie von alleine.
Lisa Stoll, für Sie müssen Diversity und Inclusion Selbstverständlichkeiten sein. Mussten Sie je dafür kämpfen?
Stoll: Nein, nicht wirklich. Aber trotzdem bin ich stark davon betroffen. Ich sehe Woche für Woche verschiedene Musiker aus verschiedenen Generationen und Gegenden. Ich durfte schon auf der ganzen Welt spielen: beispielsweise mit fünf japanischen Musikern. Nur einer konnte Englisch. Aber wir machten Musik und haben uns blind verstanden. Im Publikum ist die Diversität immer sehr gross: Männer, Frauen, Menschen aus allen Generationen – und Leute, die ein Handicap haben. Ich habe etwa mehrere Fans mit Trisomie 21. Einer spielt sogar Alphorn. Die leben auf, entwickeln eine grosse Freude, wenn sie zu meinen Konzerten kommen. Sie sind ein Teil des Ganzen – trotz oder wegen des Handicaps.
Westerfeld: Das ist ein sehr schönes Beispiel. Ich wünsche mir manchmal, dass es in diesem Prozess schneller gehen würde. Aber mit der neuen Generation kommen junge Menschen, die für diese Themen noch stärker sensibilisiert sind – und die wie selbstverständlich neue Lösungsansätze einbringen. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass die Schweiz in diesen Themen aufholt.
Staub: In Los Angeles ist man da zweifellos schon einen Schritt weiter. Dort ist alles super divers und sehr inspirierend. Das vermisse ich manchmal.
Stoll: Für mich ist diese Entwicklung selbstverständlich. Deshalb habe ich mir darüber keine grossen Gedanken gemacht. Lassen Sie es mich so sagen: Es ist egal, wer die Musik macht: ob Frau, Mann, Ausländer oder Schweizer.
Bei gewissen Themen hat die Schweiz noch Aufholbedarf. Was zeichnet uns dennoch aus?
Stolz: Es gibt viele Qualitäten, welche die Schweiz auszeichnen und erfolgreich machen. Die Welt ändert sich allerdings beschleunigt, und Informationen sind viel transparenter verfügbar. Deshalb müssen auch wir uns als Gesellschaft bei gewissen Themen schneller bewegen und diese offener angehen. Mit anderen Worten: beschleunigen ja, aber mit gesundem Augenmass.
Staub: Die Schweiz macht vieles richtig und hat eine starke Position in Europa. Davon profitieren wir. Mir fehlen aber gelegentlich Dynamik und Geschwindigkeit beim Implementieren gewisser Trends. Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir immer fünf Jahre zurück sind. Man geht in der Schweiz mit gewissen Entscheiden sehr vorsichtig und zurückhaltend um.
Stamm Hurter: Ich glaube, dass wir in der Schweiz viele Faktoren haben, die uns weiterhelfen: Stabilität, Sicherheit, Konstanz, Bildung. Vor allem das duale Bildungssystem ist ein grosser Erfolgsfaktor. Das hält die Gesellschaft zusammen. Ich bin auch der Meinung, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Dass es manchmal nicht so schnell geht, liegt auch an unserer direkten Demokratie. Wir brauchen in der Schweiz immer einen breit abgestützten Konsens. Und gerade die Coronapandemie zeigt uns, dass dies richtig und wichtig ist.