Egal, ob Stefani Joanne Angelina Germanotta, 35, auf ultrahohen Stilettos einer Limousine entsteigt oder mit zuckersüss-verwegenem Lächeln in einer Talkshow ihre tätowierten Arme präsentiert: Lady-Gaga-Momente überschwemmen seit Monaten die Medien. Es scheint, als würde sie uns bei jedem ihrer glamourösen Auftritte zurufen: «Hey, Leute, geniesst die Magie – wir können sie gerade gut gebrauchen!»
Nur wenige Stars haben die Gabe, uns auf der Bühne und der Leinwand mit ihrer Präsenz und Aura zu berühren. Lady Gaga (zwölf Grammys, ein Oscar für «A Star Is Born») könnte die Popkultur-Legende des 21. Jahrhunderts werden. Im Rampenlicht wirkt die Alleskönnerin oft kühl und exzentrisch. Es haftet ihr das Image einer überkandidelten Diva an. Legt sie ihre XXL-Sonnenbrille ab, offenbart sich hinter dem madonnenhaft geschminkten Gesicht ein reines Wesen. Die 155 Zentimeter grosse Persönlichkeit hat Bodenhaftung und stellt unmissverständlich klar, dass alle so sein dürfen, wie sie wollen: stark und überzeugend, aber auch fragil und verletzlich.
Oft zeigt sie sich mit Mama Cynthia und Papa Joseph auf dem roten Teppich. Nun ist Lady Gaga wieder auf Oscar-Kurs. In Ridley Scotts Beziehungsdrama «House of Gucci» spielt sie Patrizia Gucci, die ihren Ex-Mann Maurizio 1995 von Auftragskillern ermorden liess. Es geht um Macht, Kontrolle, Verrat. Die Monsterrolle ist Lady Gaga auf den Leib geschneidert. «Ich sehe super anders aus», schwärmt sie im Interview mit der «Vogue», fasziniert von ihrem eigenen Image. Für «House of Gucci» lässt sich Lady Gaga die Haare dunkel färben («mit blonden Haaren hätte ich mich nicht italienisch genug gefühlt»), spricht neun Monate lang den Dialekt von Mailand und Florenz. Sie beginnt zu rauchen und zu fotografieren und fokussiert fast krankhaft aufs Thema Geld.
Partys, Palazzi, Paparazzi: Maurizio und Patrizia Gucci gehören in den 70er-Jahren zu den charismatischen Paaren der High Society. Von Acapulco bis St. Moritz schwelgen sie in einem Meer aus Luxus. Doch die Fassade beginnt zu bröckeln, es kommt zur Scheidung. Patrizias Unterhalt beschränkt sich auf das, was sie «eine Schüssel Linsen» nennt: 860 000 Dollar pro Jahr. Das schmeckt der eingeheirateten Jetsetterin nicht. Sie schmiedet einen teuflischen Plan. «Ich war fasziniert von der Reise dieser Frau, von all dem Glanz und der Traurigkeit», sagt Lady Gaga über Reggiani, die nach 18 Jahren Haft 2016 auf Bewährung freikam. Patrizia Reggiani, 72, liess vor dem Filmstart verlauten: «Es enttäuscht mich, dass sie nicht die Weitsicht und Sensibilität hatte, mich im Vorfeld zu treffen.»
Auch dazu hat Lady Gaga eine klare Meinung: «Ich hatte das Gefühl, dass ich der Wahrheit in dieser Geschichte nur gerecht werde, wenn ich das Geschehene selber analysiere. Niemand muss mir sagen, wer Patrizia Gucci war. Nicht einmal Patrizia Gucci selber.» Lady Gaga verlor sich so sehr in der Tiefe dieser Figur, dass sie nach den Dreharbeiten psychologische Hilfe brauchte: «Ich hatte grosse Mühe mit der realen Welt.» Auf einem Spaziergang in Italien geriet sie in Panik: «Ich dachte, ich sei auf einem Filmset.»
Lady Gaga hat ein feines Gespür für Genderfragen und ist das beste Beispiel dafür, dass mutige Mädchen überallhin kommen, während es gute nur in den Himmel schaffen. «Ich will Frauen, die durch Schmerz Überlebensexpertinnen geworden sind, Respekt zollen. Und uns alle daran erinnern, wie gefährlich es ist, wenn verletzte Menschen Menschen verletzen.» Mit ihrem Partner Michael Polansky lebt sie in Los Angeles. 2021 wurden zwei ihrer französischen Bulldoggen gestohlen. Finderlohn: 500 000 Dollar! Die Geschäftsfrau, die zweimal verlobt war und allein mit einem veganen Eyeliner 100 Millionen Pfund pro Jahr umsetzt, ist Gründerin der Born this Way Foundation. Ihre Mission: die physische Gesundheit junger Menschen fördern, sie lehren, Mitgefühl zu zeigen, eine freundliche Welt aufbauen.
Wäre Lady Gaga nicht zum Leinwandmythos geworden, würde sie «als Kampfjournalistin die Welt verbessern». Von ihren katholischen Mitschülerinnen wurde die Tochter italoamerikanischer Eltern wegen ihrer Outfits verspottet. Als Studentin tanzte sie in New Yorker Clubs auf Bartischen, weil ihre Eltern sie nach dem Auszug finanziell nicht mehr unterstützen wollten. «Ich bin die Dinge immer pragmatisch angegangen», so die Rebellin, deren Künstlername eine Hommage an Freddie Mercury ist. Mit dem Song «Radio Ga Ga» küsste er die Entertainerin in ihr wach.
Was die frühe Berühmtheit ihrem Herzen und ihrem Geist angetan hat, darüber denkt Lady Gaga in letzter Zeit oft nach. «Heute liebe ich es, wie mich die Öffentlichkeit seit bald zwei Jahrzehnten anbetet, egal, ob ich singe, schauspielere oder auf einem roten Teppich spazieren gehe.» Kürzlich liess sie verlauten, dass sie sich mit 35 Jahren alt fühle. Die Zweifel passen nicht wirklich ins Selbstbewusstseins-Karma der Überfliegerin. Es beweist aber, dass auch Stars vom Kaliber einer Lady Gaga nur Menschen sind.