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  3. Claude Barras' 'Sauvages': Animiertes Umwelt-Drama
Nicht nur für Kinder

Familienfilm kämpft für bedrohten Regenwald

Mit «Ma vie de Courgette» drehte er 2016 den erfolgreichsten Schweizer Animationsfilm. Nun bringt der Walliser Claude Barras seinen neusten Streich in die Kinos: «Sauvages». Eine rührende Geschichte in den Regenwäldern von Borneo.

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<p>Filmer Claude Barras hält Oshi in der Hand. Das Orang-Utan-Baby ist eine Hauptfigur im neusten Werk des Wallisers mit 100 Marionetten. Gleich links von Oshi steht Kéria – gemeinsam führen die beiden durch die Geschichte.</p>

Filmer Claude Barras hält Oshi in der Hand. Das Orang-Utan-Baby ist eine Hauptfigur im neusten Werk des Wallisers mit 100 Marionetten. Gleich links von Oshi steht Kéria – gemeinsam führen die beiden durch die Geschichte.

Valentin Flauraud

Mein Ausgangspunkt war Oshi, das Orang-Utan-Bébé. Es ist der beste emotionale Botschafter», sagt Claude Barras. «Dem jungen Publikum will ich eine Geschichte bieten, die in die gleiche Richtung geht wie ‹Bambi›. Der Zeichentrickfilm hat meine Kindheit geprägt.»

<p>Januar 2023: In diesem Atelier im französischen Reignier nahe von Genf entstehen die Marionetten. Claude Barras (M.) bringt immer wieder neue Ideen ein.</p>

Januar 2023: In diesem Atelier im französischen Reignier nahe von Genf entstehen die Marionetten. Claude Barras (M.) bringt immer wieder neue Ideen ein.

Valentin Flauraud

Der 52-jährige Unterwalliser Filmregisseur sitzt am Stubentisch bei sich zu Hause in Venthône VS. Der Bauernsohn ist gespannt, ob sein neues Werk «Sauvages – Tumult im Urwald» ebenso ankommt wie sein erster Stop-Motion-Animationsfilm. «Ma vie de Courgette» – «Mein Leben als Zucchini» war 2016 ein riesiger Publikumserfolg. Er gewann den Preis für den besten Schweizer Spielfilm, wurde mit zwei Césars ausgezeichnet, war für den Oscar nominiert. «Diesmal habe ich eine andere Botschaft.»

<p>Sommer 2023: Bei den Dreharbeiten in einer stillgelegten Fabrik in Martigny bringt ein Mitarbeiter aus Barras’ Team eine Marionette in Position.</p>

Sommer 2023: Bei den Dreharbeiten in einer stillgelegten Fabrik in Martigny bringt ein Mitarbeiter aus Barras’ Team eine Marionette in Position.

Valentin Flauraud

«Sauvages» (Die Wilden) spielt im Urwald von Borneo, einer riesigen Insel in Südostasien. Der Film erzählt die Geschichte des Mädchens Kéria, das auf einer Plantage nahe des Regenwalds das verwaiste Orang-Utan-Baby Oshi aufnimmt. Zur gleichen Zeit sucht Cousin Selaï bei ihnen Zuflucht vor dem Konflikt zwischen seiner Nomadenfamilie und Holzfirmen. Gemeinsam trotzen die drei allen Hindernissen, die ihnen beim Kampf gegen die Zerstörung des Urwalds begegnen.

Das Abholzen durch geldgierige Firmen – das sind die Wilden – und das Anpflanzen von Palmen zur Gewinnung von Öl, das in vielen unserer Lebensmittel vorkommt, haben verheerende Auswirkungen: für die indigene Volksgruppe der Penan wie auch die sonst schon vom Aussterben bedrohten Orang-Utans aus der Familie der Menschenaffen.
 

333 Personen haben mitgearbeitet

Regisseur Claude Barras kennt den Reichtum der dortigen Flora und Fauna gut. Sechs Wochen verbrachte er 2018 in der Region Sarawak – um in diese Urwaldwelt einzutauchen. «Ich hatte das Glück, zehn Tage mit einer Nomadenfamilie zu leben, darunter war ein Mädchen, das in dieser Tradition aufgewachsen war. Das hat meine Geschichte stark inspiriert.» Sein neues Werk, betont Barras, sei eine ökologische Fabel für jedes Alter, «vor allem für Acht- bis Zwölfjährige».

<p>Zehn Tage lebte Barras 2018 bei dieser Familie im Urwald von Sarawak. Das Mädchen Peng ­Megout (M.) inspirierte ihn zur Figur von Kéria.</p>

Zehn Tage lebte Barras 2018 bei dieser Familie im Urwald von Sarawak. Das Mädchen Peng Megout (M.) inspirierte ihn zur Figur von Kéria.

Laura Morales

Barras’ neuer Film war eine Mammutaufgabe auf technisch anspruchsvollem Niveau. 333 Personen haben mitgearbeitet, die Produktionskosten waren mit 12,5 Millionen Franken doppelt so hoch wie bei «Mein Leben als Zucchini». Der Regisseur schmunzelt: «Disney-Animationsfilme erfordern zehnmal mehr Investitionen als ‹Sauvages›.» 1,2 Millionen Franken kostete bei seinem neuen Werk die 13 Monate dauernde Herstellung der 90 Marionetten – nur schon alle Marionetten für die Hauptfigur Kéria kamen auf 160000 Franken zu stehen. Die Protagonisten wurden erst gezeichnet, dann als Knetmasse zum Leben erweckt. Die endgültige Version einer Marionette besteht aus einem Gerüst (dem Skelett mit Gelenken), aus Silikon (für die Haut) und Latexschaum (für Haare und Borsten). Anschliessend wurden die Figuren bemalt und bekleidet.

<p>Jede Marionette hat ein Skelett mit Gelenken. Der Körper der Figur besteht aus Silikon, Kunstharz und Latex.</p>

Jede Marionette hat ein Skelett mit Gelenken. Der Körper der Figur besteht aus Silikon, Kunstharz und Latex.

Valentin Flauraud

 

Authentische Requisiten

Dann folgte der zweite grosse Arbeitsabschnitt, die Dreharbeiten. Sie fanden an 180 Tagen in einer stillgelegten Fabrik in Martigny VS statt. Die Herstellung der Kulissen dauerte elf Monate, gedreht wurde an 19 Filmsets, fünf davon 100 Quadratmeter gross.

<p>Urwaldatmosphäre an einem der 19 Filmsets in der ehemaligen Fabrikhalle. In dieser ­wurden schon Teile von «Tschugger» gedreht.</p>

Urwaldatmosphäre an einem der 19 Filmsets in der ehemaligen Fabrikhalle. In dieser wurden schon Teile von «Tschugger» gedreht.

Valentin Flauraud

Die meisten der am Dreh Beteiligten stellten täglich je 30 Sekunden des 75-minütigen Films zusammen. Barras, der fast jeden Tag die 50 Kilometer zwischen Venthône und Martigny auf seinem E-Bike zurücklegte: «Die Penan waren in die Entwicklung stark eingebunden. Angehörige von ihnen stellten nach traditioneller Art Requisiten wie Taschen und Blasrohre für die Figuren her.»

<p>Verschiedene Mäuler für Orang-Utan-Bébé Oshi: Jedes Maul ist magnetisch und wird je nach Szene auf der Äffchenfigur befestigt.</p>

Verschiedene Mäuler für Orang-Utan-Bébé Oshi: Jedes Maul ist magnetisch und wird je nach Szene auf der Äffchenfigur befestigt.

Valentin Flauraud

Die Penan-Frau Nelly Paysan, die den Basler Umweltaktivisten Bruno Manser in den 1980er-Jahren begleitet hatte, und ihre Tochter waren für die Dialoge in der Sprache ihrer Volksgruppe verantwortlich. Während im Kino «Sauvages» zu sehen ist, wird im Osten Borneos die künftige indonesische Hauptstadt Nusantara aus dem Boden gestampft. Dafür wird ein Teil des Dschungels, der als grüne Lunge der Erde gilt, abgeholzt. «Dieser Wald ist 120 Millionen Jahre alt», sagt Barras, «was dort, aber auch an anderen Orten auf der Welt passiert, ist eine Form von Kriminalität im Namen wirtschaftlicher Interessen.»

<p>Während der 180 Drehtage kamen über 5000 Besucherinnen und Besucher, um zu verfolgen, wie die Marionetten gefilmt werden.</p>

Während der 180 Drehtage kamen über 5000 Besucherinnen und Besucher, um zu verfolgen, wie die Marionetten gefilmt werden.

Valentin Flauraud

Barras ist Vater einer bald zweijährigen Tochter und betont: «Die Erde gehört uns nicht. Wir leihen sie uns von unseren Kindern.» Mit seinem Film wolle er nicht den Zeigfinger erheben, sondern zum Nachdenken anregen. «Finden wir Wege, respektvoller mit unserem Planeten umzugehen! Etwa, indem wir unsere Essgewohnheiten überdenken. Kämpfen und sorgen wir dafür, dass das, was von der Umwelt noch übrig ist, für die künftigen Generationen erhalten wird.»

<p>Jedes Detail muss stimmen. Regisseur Barras setzt Figuren in Szene. Einige der Bäume im künstlichen Urwald sind sechs Meter hoch.</p>

Jedes Detail muss stimmen. Regisseur Barras setzt Figuren in Szene. Einige der Bäume im künstlichen Urwald sind sechs Meter hoch.

Valentin Flauraud

Der Walliser kommt ins Philosophieren: «Wir könnten anders leben, indem wir mehr auf der Seite des Lebens und der Schönheit, der Harmonie und des Gleichgewichts stehen als auf der Seite der Zerstörung und des Todes.»

Bearbeitung: Thomas Kutschera

Von Albasini Jade und Didier Dana vor 9 Minuten