Ein Taylor Swift Konzert besuchen, dem Idol ganz nahe sein und die Erinnerung an den Abend für immer in berauschender Erinnerung behalten – so stellen es sich die Fans der Sängerin wohl vor, wenn sie Tickets für die begehrte «The Eras Tour» ergattern. Dann ist endlich der lang ersehnte Tag da, die «Swifties», wie sich die Fangemeinde von Taylor Swift (33) nennt, macht sich auf zur Event-Location. Man ist umgeben von tausenden Gleichgesinnten, die Emotionen schlagen hohe Wellen, man befindet sich mitten in einem Gefühlschaos von purer Euphorie, Vorfreude, Ungläubigkeit, Überwältigung. Man singt, man weint, man tanzt, man geht nach Hause, berauscht vom Glück, das man verspürt hat.
Doch am nächsten Morgen erleben zur Zeit viele Fans dann das böse Erwachen: Die Erinnerungen an das Konzert sind weg, sie erinnern sich an grosse Teile der Show nicht mehr, sind sogar davon überzeugt, dass gewisse Lieder gar nicht gespielt wurden. Kurz: Sie leiden an einer Amnesie.
So ist es etwa der 25-jährigen Jenna Tocatilan aus New York passiert, wie sie laut «Daily Mail» dem «Time Magazine» erzählte. «Post-Konzert-Amnesie ist echt», sagt Jenna. «Wenn ich das fünfminütige Video, das meine Freundin aufgenommen hat, nicht gesehen hätte, in dem ich zum Überraschungs-Song mitgerockt habe, hätte ich wahrscheinlich jedem erzählt, dass er nicht gespielt wurde.»
Und auch die 32-jährige Nicole Booz erzählt von einer ähnlichen Erfahrung wie Jenna Tocatilan, nachdem sie das Konzert in Philadelphia besuchte: «Es hat sich wie eine ausserkörperliche Erfahrung angefühlt, als würde es gar nicht mir passieren.» Aber wie kann das sein, dass solche Super-Fans am nächsten Tag wieder grosse Teile des Konzerts vergessen haben, auf das sie so hin gefiebert haben?
Zu viele Emotionen verwirren das Gehirn
Eine solche Amnesie ist durchaus gut möglich, sagen Experten. Der Neurowissenschaftler Dr. Dean Burnett, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Cardiff erklärt: «Wenn man an einem Konzert von jemandem ist, den man liebt, umgeben von Tausenden anderer aufgeregter Menschen und Musik hört, zu der man eine klare emotionale Bindung hat, wird man eine Menge Emotionen auf einmal spüren.» Das sei alles nicht nur unglaublich anstrengend für das Gehirn, sondern es bedeute auch, dass alles, was man am Konzert erlebe und spüre eine solch hohe Emotionalität habe, dass nichts davon heraussteche. Das wäre aber wichtig dafür, wenn sich daraus später eine Erinnerung bilden soll.
Auch die Psychologie hat sich mit dem Thema befasst und so das Dr. Ewan McNay, ausserordentlicher Professor des Psychologie-Departements der State University of New York in Albany erklärt, dass das menschliche Gehirn auf extreme positive Emotionen ähnlich reagiert wie auf negativen Stress. Diese Überladung könne es erschweren, Erinnerungen zu bilden. McNay hat aber einen Rat für Fans, die von einer solchen Amnesie betroffen sind: «Die Leute könnten versuchen, weniger herum zu springen und zu schreien, um ihre Aufregung etwas zu kontrollieren.»
Wer seine Aufregung am Konzert allerdings nicht zügeln will oder kann, muss demnach damit rechnen, dass er oder sie durch die Reizüberflutung eine Amnesie erleiden kann. Um dem Gedächtnis am nächsten Tag auf die Sprünge zu helfen, kann man also viele Fotos und Videos am Konzert machen. Wie häufig ein solcher Post-Konzert-Gedächtnisverlust allerdings tatsächlich ist, ist nicht bekannt. Wer auf Risiko gehen will, kann also das Konzert auch einfach geniessen und im Moment leben – und am Morgen danach hoffen, dass man sich noch an alles erinnert.