Öffnet sich das Eisentor, wähnen sich Gäste in einem italienischen Filmklassiker. Alexander der Grosse schreitet uns auf der Allee entgegen, die gesäumt ist von mächtigen Zypressen. Mildes Klima, Vogelgezwitscher – in der Toskana herrscht bereits Frühling. Das ist Alexander Pereiras liebste Jahreszeit. Am Vormittag hat er sich noch zwei blühende Kamelien für den Balkon gekauft – eine weisse und eine rote. Alexandre Dumas’ Roman «La Dame aux camélias» ist bester Stoff für die Bühne, wurde zur Vorlage von Opern wie «La Traviata». «War Violetta unpässlich, zeigte sie dies ihren Liebhabern durch die rote Kamelie, die sie im Salon stehen hatte. Hatte die Kameliendame Lust auf einen ihrer Geliebten, wählte sie die weisse Blume.»
Klare Botschaften sind Alexander Pereiras Berufung. Der Sohn eines österreichischen Diplomaten wurde 1947 in Wien geboren und gilt als einer der erfolgreichsten und schillerndsten Musikmanager der Gegenwart. Er war zuständig für die Salzburger Festspiele und die Scala in Mailand. Von 1991 bis 2012 führte er das Opernhaus Zürich in die Champions League. Seit zwei Jahren wirkt er in Florenz, diesem Sehnsuchtsort, der mit seinen Plätzen und Palästen, seinem Glanz und seiner Grandezza Millionen Touristen verzaubert. Alle haben ihr je eigenes Geheimnis, warum sie immer wiederkommen. Maestro Pereira ist gekommen, um zu bleiben.
Als er mit Corona im Nacken seine Stelle antrat, hinterliessen ihm seine Vorgänger einen Schuldenberg von 62 Millionen Euro. 2014 wurde die alte Oper durch einen futuristischen Neubau ersetzt. «Leider hat das Publikum die neue Opera di Firenze noch nicht ins Herz geschlossen. Damit habe ich sehr zu kämpfen.» Pereira will das ändern. Das Treffen mit Regierungschef Mario Draghi, dem er die Idee eines Festspiel-Konzepts schmackhaft machte, verlief gut. Stars wie Cecilia Bartoli, Plácido Domingo, John Eliot Gardiner stehen auf dem Programm. Sein Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino gehört zu den besten drei Italiens. Auch der Spielplan begeistert. Mit «Falstaff» und «Così fan tutte» landete er zwei Hits. Jobs in dieser Liga sind rar, doch Pereira relativiert beim Caffè im Wohnzimmer: «Sogar wenn jemand älter ist, aber noch nicht total verblödet, besteht die Chance, dass er diesen Posten bekommt.» Es duftet nach Kaffee und selbst gemachtem Erdbeerkuchen. Pereira ist ein begnadeter Koch. Auch eine kräftige Hühnersuppe mit Gemüsebrühe hat er am Vorabend aufgesetzt – «die ist gut fürs Immunsystem».
Doch Pereira ist keiner, der in Bitterkeit erstarrt. «Nur in der Zukunft liegt das Glück.» Ein typischer Tag sieht bei ihm so aus: «Ich stehe früh auf, trinke einen Kaffee und tue ein wenig vor mich hin faulenzen. Dann fahre ich mit dem Auto ins Büro. Gut, ich hätte einen Chauffeur, doch den lasse ich nicht extra antraben. Dann erteile ich Befehle, für die ich mich hinter-her selber in den Arsch trete», er lacht schallend, «besuche Proben, nehme an Gewerkschaftstreffen teil, kümmere mich um Sponsoren. Mein ‹Stammbeiserl› ist die Trattoria Baldini, zu meinem Lieblingsitaliener gehört auch das Fischrestaurant Da Settimo.»
Seit zwei Jahren lebt der 74-Jährige mit Freundin Daniela De Souza, 35, in der Villa, die Stardirigent Zubin Mehta gehört. Das Anwesen mit Gästehaus, Pool und zwei Seen liegt 30 Minuten von Florenz entfernt. Er produziert eigenes Olivenöl. Vom Rebberg erhofft sich der Hausherr diesen Herbst endlich die ersten Flaschen Wein. Hier im Grünen kann er durchatmen. Kurz legt sich ein Schatten auf sein Gesicht. Kürzlich stiegen Einbrecher ins Haus. «Okay, jetzt haben sie mich ausgeraubt, vielleicht weil ich im Grünen wohne. Die Barockschalen aus dem 17. Jahrhundert, das Familiensilber, meine Rennpokale – alles weg. Schrecklich.»
Leidenschaft treibt ihn an, das war schon immer so. Pereira ist überzeugt: Beschäftigt man sich mit etwas, das man gern macht, vergeht die Zeit wie im Flug. «Und bumm – ist Abend, Vorstellungen warten, man stösst mit den Künstlern an. Selten bin ich vor Mitternacht zu Hause.» Er glaubt, das Geheimnis aller erfolgreichen Künstler zu kennen, sagt: «Wenn man Musik erzwingen will, geht es nicht. Es muss in einem musizieren – erst dann wird es eine grosse Interpretation. So ist es mit vielen Dingen im Leben.»
Auch mit der Liebe. Die hat er vor 15 Jahren in Daniela De Souza gefunden, das Paar lernte sich am Opernhaus Zürich kennen. Die Modeschöpferin eröffnet gerade ihre erste Fashion-Boutique in Mailand unter ihrem Namen. «Das Gerede war uns schon damals wurscht. In Italien ist ohnehin alles entspannter», sagt Pereira – und entschwindet Richtung Hauptbahnhof. Er holt seine Liebste ab. Am Abend werden sie das Konzert des Schweizer Stardirigenten Philippe Jordan besuchen. Und sich dem Zauber der Musik hingeben in der Stadt, die voller Wunder ist. Man muss sie nur erkennen.