Das Konklave – eine jahrhundertealte Tradition, bei der die Welt gespannt darauf wartet, dass weisser statt schwarzer Rauch aus dem Schornstein der Sixtinischen Kapelle aufsteigt und die Wahl des neuen Papstes verkündet. Es ist eines der meist verfolgten und zugleich geheimsten und mysteriösesten Rituale der Welt. Im gleichnamigen Film nimmt Regisseur Edward Berger (54) die Zuschauer hinter die geschlossenen Türen des Vatikans und thematisiert zeitgenössische kulturelle und psychologische Konflikte, Ängste und Realitäten, die mit den Traditionen der Kirche kollidieren.
Allen voran: Ralph Fiennes (61) als Kardinal Lawrence, der nach dem Tod des Papstes die Kardinäle versammeln und das Konklave leiten muss. Doch es ist nicht alles, wie es scheint. Während Lawrence versucht, neutral zu bleiben, muss er ein Geheimnis des Papstes lüften und hinter die Fassaden der anderen Kardinäle schauen. SI online hat mit Fiennes über den Film sowie die Bedeutung von Glaube und die Wichtigkeit des Zweifels in unserer heutigen Zeit gesprochen.
Herr Fiennes, Sie sind ein sehr vielseitiger Schauspieler. «Konklave» wird bereits als die beste Leistung Ihrer Karriere bezeichnet. Was hat Sie zu diesem Projekt hingezogen?
Normalerweise nehme ich eine Rolle an, weil ich eine gewisse Neugier verspüre. Selbst wenn es sich um einen schlechten Menschen handelt (lacht). Eine komplexe und interessante Geschichte oder Reise löst in mir eine Energie aus, die sagt: «Oh ja, das gefällt mir!» Dann gibt es noch andere Faktoren, die mich beeinflussen. Wer führt Regie und wer sind die anderen Schauspieler?
Was hat die Neugier für diese Rolle konkret ausgelöst?
Ich mag Lawrence, der ein zurückhaltender Dekan des Vatikans ist und darüber nachgedacht hat, in ein Kloster zu gehen. Ich sympathisiere mit der Idee, sich an einen ruhigen Ort zurückzuziehen, um nachzudenken und zu lesen. Er ist ein guter Mann, der seinem Glauben verpflichtet ist und den gerade verstorbenen Papst bewundert hat. Er ist aber traurig, dass ihr letztes Treffen schwierig war. Es gibt viele kleine Elemente in seiner Hintergrundgeschichte, die ihn für mich interessant machen …
… weil Sie auch ein wenig von sich selbst in Lawrence gesehen haben?
Das ist wohl ein weiterer Grund, ja. Ich fühlte mich zu den Dingen in der Rolle hingezogen, die ich teilweise in mir trage. Als Schauspieler mögen wir die Herausforderung, jemanden zu spielen, der überhaupt nicht wie wir ist. Wir erkennen aber auch, dass uns manche Rollen sehr nahekommen. Manchmal ist es gut, so jemanden zu spielen. Lawrence ist nicht ich, aber er hat einige Aspekte, die mit meiner eigenen Sensibilität verwandt sind.
Warum glauben Sie, dass andere Menschen diesen Film interessant finden werden?
Weil der Film zum Teil wie ein Politthriller funktioniert. Wer wird der nächste Papst? Warum bekommen Kardinäle den Posten nicht, von denen wir glauben, dass sie ihn bekommen werden? Der Film spielt mit unserem Gefühl für Spannung und Ungewissheit. Manchmal ist er auch ein religiöser Thriller, mit komplexen und interessanten, aber dennoch normalen Männern in diesem Umfeld von Glaube, Religion und Modernität. Der Film ist unterhaltsam und wird ein breites Publikum ansprechen.
Was würden Sie sagen, ist das Hauptthema?
Die Predigt, die Lawrence hält. Er ist im Begriff, eine eher allgemeine Predigt zu halten, und spricht dann plötzlich aus seinem Herzen. Das liegt daran, dass er sich bewusst ist, dass die Kirche nur vorankommen kann, wenn sie sich Fragen stellt. Menschen stellen Fragen, weil wir keine Antworten haben. Die Grundlage seiner Rede besteht darin, die Bedeutung des Zweifels zu betonen, was für viele der anwesenden Priester und Kardinäle natürlich schockierend ist – denn man zweifelt nicht, man glaubt. Ich habe mit einigen Priestern gesprochen, die so freundlich waren, mir ihre Zeit zu schenken, und sie waren sehr ehrlich damit, dass sie auf Zweifel gestossen sind. Ich würde daher einem Priester vertrauen, der sagt: «Ich habe Zweifel», aber niemandem, der meint: «Ich habe recht.»
Unter gar keinen Umständen?
Ich möchte natürlich, dass ein Bauarbeiter weiss, dass er recht hat (lacht). Ich möchte, dass mein Klempner keine Zweifel hat. Der Klempner muss sich sicher sein, denn die Arbeit muss korrekt sein. Aber in anderen Bereichen unseres Lebens, insbesondere darin, wie wir uns als Menschen verhalten, denken wir gerne, Gewissheit zu haben. Doch wir müssen alle nebeneinander und miteinander arbeiten, und wir müssen offen sein. Das bedeutet Zweifel für mich. Die Fähigkeit zu haben, sich zu fragen: «Was ist das? Ich dachte, ich wüsste es, aber vielleicht liege ich falsch.»
Glauben Sie, dass Zweifel und Offenheit die Grundlage für Verbesserungen sind?
Ja, natürlich. Erlebnisse im Leben können sehr starke Reaktionen in uns hervorrufen, bei denen wir das Gefühl haben, dass etwas nicht stimmt und die wir anzweifeln müssen. Wir wissen, dass es in der Welt Dinge gibt, die wir für falsch halten und die viel Leid verursachen. Daher müssen wir uns zum Beispiel fragen: «Was ist der Ausweg aus dieser schrecklichen Situation im Nahen Osten?» Die Situation wird von vielen Menschen angeheizt, die Gewissheit haben, und hat so viel Schmerz und Schrecken verursacht. Zweifel wäre ein kleiner Funke …
… ein Funke, der auch im Vatikan gebraucht wird?
Ja. Der Vatikan ist eine sehr starke Struktur, die schon seit Jahrhunderten existiert. Die Kirche war schon immer darauf angewiesen, ein Gefühl der Sicherheit und Gewissheit zu vermitteln. Es gibt eine aussergewöhnliche Szene in Dostojewskis Roman «Die Brüder Karamasow», in der eine der Hauptfiguren über eine philosophische Geschichte spricht. Der Grossinquisitor – ein Priester mit enormer Macht – begegnet dem Geist Christi, der sagt: «Du musst alle frei lassen. Jeder hat seinen eigenen Glauben». Der Inquisitor erwidert: «Geh weg. Wir haben alles organisiert. Wenn wir jeden frei lassen, gibt es keine Ordnung mehr». Es ist eine grosse philosophische Frage, denn der Grossinquisitor sagt zur Christusfigur: «Du bist für uns nicht mehr nützlich. Wir haben eine Lösung gefunden.»
Apropos «Lösung gefunden»: Gab es während der Dreharbeiten irgendetwas, was zu einer Herausforderung wurde?
Eine Herausforderung war, dass man nicht wirklich weiss, was während dem Konklave vor sich geht. Obwohl unsere Produktion viel recherchiert hat und wir religiöse Berater am Set hatten, um zu versuchen, es richtig darzustellen, ist die Prozedur voller unbekannter Rituale.
Gab es dadurch irgendwelche denkwürdigen Momente?
Ich habe einen Kardinal getroffen, der sagte: «Ich wünsche Ihnen alles Gute. Wir werden alle genau hinschauen, denn wir wissen, dass es Dinge in dem Konklave gibt, die sehr spezifisch sind.»
Wären Sie daran interessiert, ihn wiederzutreffen?
Ja, das würde ich sehr gerne.
Letzte Frage, da die Schweiz im Film eine kleine Rolle spielt: Gibt es etwas, das Sie gerne mit nach Hause nehmen würden – und etwas, das Sie hier lassen würden?
Ich würde die sehr gute Schweizer Schokolade mit nach Hause nehmen. Ich mag die dunkle 99-Prozentige. Und zurücklassen … da fällt mir nichts ein. Ich bin ein sehr geordneter Mensch, deshalb schätze und benötige ich das, was ich als Schweizer Ordnung empfinde. Als Schauspieler muss man sich oft mit Ungewissheiten auseinandersetzen (lacht), also ordne ich Sachen ständig. Ich habe grundsätzlich nur Neugier für die Schweiz übrig. Ich würde gerne mehr Schweizer Städte besuchen und in den Alpen wandern.
Der Film «Konklave» startet am 28. November 2024 in den Schweizer Kinos.