Als Sohn israelischer Diplomaten 1980 in Jerusalem geboren, wächst Asaf Avidan als Kind in Jamaika auf. Er studiert Film und Animation, arbeitet als Synchronsprecher, unter anderem für «Die Schlümpfe». Dann macht er die Musik, seine grosse Leidenschaft, zum Beruf. Mit der Band Mojos tourt er durch Israel, veröffentlicht 2008 das Album «The Reckoning» und wird dafür als bester israelischer Künstler bei den MTV Europe Music Awards nominiert. Beeindruckend ist seine variable Stimme, mit der er verschiedene Charaktere inszeniert. Aber auch inhaltlich lohnt es sich, seiner hellen Stimme zuzuhören.
Asaf Avidan, die Schlagzeilen aus Israel sind geprägt von Terror, Krieg und Gewalt. Welchen Einfluss hat das auf Sie als Musiker aus dieser Region?
Ich glaube, nicht nur die Israeli, sondern alle Menschen waren schockiert und entsetzt über den Angriff der Hamas am 7. Oktober. Die Unmenschlichkeit, die Gewalt, die Grausamkeit des Hasses und des Blutvergiessens zu sehen, verbreitete Hoffnungslosigkeit. Mit der zu erwartenden Vergeltung Israels kam ein weiterer Schock dazu. Wir Israeli haben uns an solche Rachezyklen gewöhnt: Die Menschen fallen zurück in archaisches Verhalten. Alle schreien, es gibt nur noch Schwarz und Weiss. Aber die Realität gibt unserem Bedürfnis nach Einfachheit nicht nach. Die Welt ist komplex, amorph und nebulös – wie die Musik. Deshalb denke ich, dass Musik und Kunst im Allgemeinen von grosser Bedeutung sind, um aus dem Kreislauf der Gewalt auszubrechen. Wenn wir sie richtig nutzen – nicht als Unterhaltung und Eskapismus, sondern als Mittel zur Selbsterkenntnis –, können wir die zerbrechlichen, verletzten Teile unserer Seelen sehen, bevor sie in Hass umschlagen.
Die ganze Welt scheint sich im Moment in Lager aufzuspalten.
Es sind schwierige Zeiten für alle, die liberale Ansichten vertreten. Darum sollten wir verteidigen, wovon wir überzeugt sind. Seit dem Angriff der Hamas zeige ich auch bei meinen Konzerten Orte, wo die Gemeinschaft nicht auseinanderreisst. So arbeite ich mit zwei Organisationen zusammen – «Krieger für den Frieden» und «Forum der trauernden Familien». Beide bestehen aus israelischen und palästinensischen Familien oder ehemaligen Soldaten und Kämpfern, die gemeinsam einen Dialog aufzubauen und Lösungen für die Zukunft zu finden versuchen.
Haben Sie Hoffnung, dass das bald geschieht?
Im Moment scheint es unmöglich, von irgendeiner Seite Empathie zu verlangen. Denn es ist biologisch bedingt, dass Menschen im Überlebensmodus in die Polarisierung zurückfallen.
Was also ist zu tun?
Es ist wie bei einem Kind, das einen Wutanfall hat. Du musst ihm Raum geben, es umarmen, einfach da sein. Du musst die Tatsache akzeptieren, dass Menschen auf beiden Seiten verletzt sind, und versuchen, allen Liebe und Unterstützung zukommen zu lassen. Vielleicht sind Ausmass und Schrecken dieser Anschläge ein solches Erdbeben, dass es die Menschen dazu bringt, ihre Positionen zu überdenken.
Sie haben in der israelischen Armee gedient und dort angefangen, Gitarre zu spielen. Warum?
Als Teenager stand ich auf Heavy Metal. Als Metallica nach Israel kamen, wollte ich unbedingt Schlagzeug lernen. Meine Mutter kaufte mir aber eine Gitarre. Als ich merkte, dass ich sie nicht spielen kann, legte ich sie zur Seite. Dann, in der Armee, passierte es: Ich wurde von einer Lawine von Gefühlen überwältigt. Nachts, beim Wachdienst, war ich sechs Stunden alleine in der Wüste und las Gedichte, vor allem hebräische. Ich begann, eigene Texte zu schreiben und diese mit der Gitarre zu Songs zu machen. Zu Hause nahm ich diese auf. Mich selbst sprechen und singen zu hören und dabei die Texte zu reflektieren, war für mich wie eine freudsche Psychoanalyse.
Hatten Sie damals auch schon diese charakteristische Stimme?
Ich habe die Beschränkung durch Genres nie verstanden, ebenso wenig wie jene durch eine Stimme. Also habe ich immer damit experimentiert, was ich mit diesem Werkzeug tun kann. Am Anfang musste es oft kreischend und verletzend sein. Jetzt bin ich reifer geworden und erweitere mein Spektrum.
In Ihrem Superhit «Reckoning Song» klingt Ihre Stimme extrem verletzlich.
Man sagt mir immer, dass ich sie mehr schonen müsse. Aber ich kann das nicht. Wenn ich auf der Bühne stehe, müssen die Lieder so gesungen wer-den. Sonst würde ich schummeln. Also muss ich mich stets ein bisschen selbst zerstören, um diese Lieder zu singen. Und ich denke, das ist auch ein Grund, warum ich auf der Bühne stehe.
Sie haben einen breiten musikalischen Hintergrund. Was inspiriert Sie zu Ihren Liedern?
Ich weiss es nicht wirklich. Ich experimentierte mit Big-Band-Orchestrierungen, begab mich in die Americana-Landschaft, in der ich aufgewachsen bin: Ich höre Nina Simone, Bob Dylan, Leonard Cohen, David Bowie, Radiohead, Tom Waits, Amy Winehouse und Nick Cave und kann nicht verbergen, woher ich schöpfe. Also kann ich genauso gut von allen stehlen. Und wenn du von genug vielen Leuten klaust, wird es zu etwas Einzigartigem.
Was bedeutete es Ihnen, an der Baloise Session zu spielen – in Basel, jener Stadt, die für die Gründung Israels von Bedeutung ist?
Natürlich fällt mir beim Thema Basel Theodor Herzl ein, der hier vor über 120 Jahren die Idee von Israel begründete. Aber, und ich weiss, dass die Israeli das nicht gern hören: Ich sehe mich nicht als Israeli. Ich bin der Sohn eines Diplomaten. Ich bin viel gereist. Meine Kindheit fand ausserhalb Israels statt. Natürlich hat Israel einen grossen Teil meiner Jugend und meines jungen Erwachsenseins geprägt. Aber was mich interessiert, was meine Kunst ausmacht, ist die Erweiterung der Dinge: Was kann ich in mir finden, das gleich ist wie bei jemandem in Basel, Ruanda, China oder wo auch immer? Wenn Sie also fragen, ob ich etwas empfinde, dass hier die Idee von Israel entstand, dann vielleicht dies: Ich denke, Israel musste existieren, weil das jüdische Volk damals einen Ort brauchte, um sich zu verteidigen. Aber darüber hinaus bin ich kein grosser Fan von Nationalismus und Patriotismus. Jedes Mal, wenn man ein «Wir» schafft, entsteht auch ein «Sie». Ich bin strikt gegen diese Idee. Ich interessiere mich mehr für die Frage, wie ein globaleres Gefühl von «Wir» entstehen kann, das menschlich ist.