Premiere von «I Am Céline Dion» in New York am vergangenen Montag: Céline Dion (56) schreitet zum Mikrofon. Es ist still im Saal. Ihre Augen sind feucht, die Lippen zittern: «Danke aus tiefstem Herzen, dass ihr mich auf meinem Weg begleitet», richtet sie sich an ihre Fans. «Dieser Film ist mein Liebesbrief an euch alle. Ich hoffe, ich sehe euch sehr, sehr bald wieder.» Das Publikum antwortet mit einer Standing Ovation.
Die Rückkehr der «My Heart Will Go On»-Sängerin auf die Bühne ist keine Selbstverständlichkeit. Vor 16 Jahren fängt ihr Leidensweg an: Während der «Taking Chances»-Welttournee in Deutschland 2008 verliert sie beim Einsingen die Kontrolle über ihre Stimme. «Ich kann den Nacken nicht entspannen und somit auch die Stimmbänder nicht», beklagt sie sich bei einer Ärztin über Verkrampfungen. Es folgen Anpassungen bei Konzerten: Sie setzt die Tonlage tiefer an, um die Stimme zu schonen, singt mehr nasal, gibt im Extremfall vor, das Mikrofon funktioniere nicht. Und sie lässt vermehrt das Publikum singen.
Zwei schwere Schicksalsschläge in einem Jahr
Ist das der Anfang vom Ende? Céline Dion will stark bleiben. Doch 2016 sterben innert zwei Tagen ihr Mann René Angélil (1942-2016) und ihr Bruder Daniel an Krebs. Ihr ältester Sohn René-Charles ist damals 15 Jahre alt, die beiden Zwillinge Nelson und Eddy gerade mal fünf. Céline Dion beisst sich durch. Ein paar Wochen später tritt sie wieder in ihrer Langzeit-Show in Las Vegas auf und singt an den Billboard Awards den Queen-Klassiker «The Show Must Go On».
Aber es wird immer schwieriger: Ihr Körper versteift sich, sie fühlt sich wackelig auf den Beinen, hat gar Blackouts. Stimmte etwas mit ihrem Blutzucker nicht? Sie nimmt immer höhere Dosen Valium, um ihre Muskeln zu entspannen. «Ich nahm 80 bis 90 Milligramm am Tag. Ich hätte sterben können», offenbart Céline Dion im emotionalen Dokfilm, der sie auch während eines Krampfanfalls zeigt.
Klug statt tapfer
Die Pandemie rettet ihr vielleicht das Leben: Zur Pause gezwungen, nutzt sie endlich die Gelegenheit, «nicht tapfer, sondern klug zu sein», wie Dion heute sagt. Sie konzentriert sich erstmals ganz auf ihre Gesundheit, setzt Medikamente ab und bekommt endlich eine Diagnose: Sie leidet am Stiff-Person-Syndrom (SPS), einer seltenen neurologischen Autoimmunkrankheit, die Muskelsteife, schmerzhafte Verkrampfungen und mitunter Geh-, Seh- und Sprachstörungen verursacht. Im Dezember 2022 informiert sie in einem Instagram-Post ihre Fans: «Ich habe ein Team, das mir hilft, und meine Kinder geben mir Hoffnung», sagt sie darin. «Ich arbeite jeden Tag hart daran, meine Kräfte wieder aufzubauen, um auftreten zu können. Es ist ein Kampf.»
Céline Dion, die über 200 Millionen Alben verkauft hat, definiert sich stets über ihr mächtiges Stimmorgan. Als jüngstes von 14 Kindern einer frankokanadischen Grossfamilie wächst sie in bescheidenen Verhältnissen und doch verwöhnt auf: «Meine Mutter wärmte mir meine Kleider im Winter extra vor der offenen Backofentür, weil es im Haus so kalt war», erinnert sie sich im SI-Gespräch 2013. Bereits als Teenager in Montreal erfolgreich, gewinnt sie mit 20 den Eurovision Song Contest – damals noch Concours Eurovision de la Chanson – für die Schweiz: «Der Sieg hat meine Karriere in Europa beflügelt. Und das Kleid habe ich immer noch!»
Comeback an Olympia?
Sie hat eine Lagerhalle für ihre Souvenirs und statt einer Schmuckschatulle ein Schmuckzimmer, weil sie zu jedem Outfit etwas Passendes kauft. Ihre Lieblingsstücke: eine Edelsteinkette, die einst Maria Callas gehörte, sowie die Eigenkreation mit pinkfarbenen Steinen, die ihr Sohn René-Charles als kleiner Junge nach Hause brachte. «Ich habe meinen Juwelier gebeten, daraus etwas Tragbares zu machen. Er hat sie mit Rubinen und Gold kombiniert und eine wunderbare Halskette und einen Ring daraus gemacht.»
Heute bedeutet Luxus, nicht von Anfällen geplagt zu werden. Eine Kombination von Medikamenten, Stimm- und Physiotherapie soll helfen. SPS ist unheilbar, aber Céline Dion hofft, die Krankheit in den Griff zu kriegen. Sie will auf jeden Fall wieder auftre-ten. Vielleicht an den Olympischen Spielen in Paris, wie es die Gerüchteküche behauptet? «Ich werde nicht nach Hause kommen und den Kindern sagen, ich musste die Show abbrechen», gelobt sie in einem NBC-Interview. «Ich trete erst wieder auf, wenn ich wirklich bereit bin. Noch ist die Stimme nicht zu 100 Prozent zurück, aber ich bin 100-prozentig auf dem Weg.»