Greta Gerwig (40) schwebt aktuell auf einer riesigen rosa Wolke: «Barbie», ihre kunterbunte Komödie über Geschlechterrollen und Selbstfindung, hat innert 17 Tagen weltweit eine Milliarde Dollar eingespielt. Diese Marke hat bisher noch keine Regisseurin im Alleingang geknackt. Mädchen, Buben, jung und älter – alle wollen Barbie und Ken in ihrer existenziellen Krise sehen. «Ich bin so dankbar und verblüfft. Und ziemlich sprachlos», sagt die Filmemacherin, nachdem «Barbie» Ende Juli im Kino wie eine Rakete durchgestartet ist.
Greta Gerwig wuchs in Sacramento auf, hat deutsche Wurzeln und nie eine Filmschule besucht.
Drew Gurian/Redux/laifAls sie selber noch mit Barbies spielte, träumte Greta Gerwig davon, Tänzerin zu werden. Geboren 1983 in der kalifornischen Hauptstadt Sacramento, nahm sie Ballett- und Fechtunterricht und verschlang viele Bücher. Sie war, nach eigenen Angaben, ein anstrengendes Kind mit viel Fantasie. Dass sie einmal dank einer kontroversen Plastikpuppe Box-Office-Rekorde brechen würde, überstieg jedoch ihre Vorstellungskraft. Ihre Eltern Christine und Gordon Gerwig arbeiteten als Krankenschwester und als Darlehensverwalter und sind beide deutschstämmig. «Am Festival in Berlin fragte man mich, wieso ich nicht besser Deutsch kann – halt weil ich eine faule Amerikanerin bin», sagte sie 2014. «Aber ich möchte Deutsch lernen, denn ich fühle mich deutsch.»
«Barbie»-Dream-Team: Hauptdarstellerin und Produzentin Margot Robbie, Drehbuchautorin und Regisseurin Greta Gerwig (l.).
Alamy Stock PhotoNeben dem Englisch- und Philosophiestudium schauspielert sie. «In eine Filmschule ging ich nie», sagt sie. «Aber ich machte jeden Job, den man mich auf Filmsets machen liess – ich schrieb, ich spielte, ich inszenierte mit, ich hielt das Mikrofon, ich schnitt, ich stellte die Kamera ein.» Ab 2010 wird sie die Muse von Noah Baumbach, 53. In dessen Filmen «Greenberg», «Frances Ha» und «Mistress America» entwickelt Gerwig komplexe Frauenfiguren, die sich gleichzeitig unterbewerten und überschätzen. Diese Charakterzüge prägen auch die Titelfigur in Gerwigs Solo-Regiedebüt «Lady Bird», wofür sie fünf Oscar-Nominationen erhält, aber am Schluss leer ausgeht.
2018 erhält Greta Gerwig für «Lady Bird» den Independent Spirit Award für «Bestes Drehbuch».
Getty Images«Lady Bird» ist auch ein Heimkommen nach Sacramento: «Die Leute denken bei Kalifornien an Los Angeles und San Francisco und vergessen dabei, dass dazwischen ein riesiges landwirtschaftliches Tal liegt, das einen Fünftel der USA mit Lebensmitteln versorgt. Sacramento liegt in diesem Tal und repräsentiert, was in Amerika abgeht, wie etwa das Verschwinden der Mittelklasse. Ihr Ziel: «Ich möchte Fellini von Sacramento sein!»
2010 spielt Greta Gerwig an der Seite von Ben Stiller in «Greenberg». Ihre Rolle als Haushälterin macht sie bekannt.
©Focus Features/courtesy EverettGerwig und Baumbach sind inzwischen Eltern des vierjährigen Harold und eines fünf Monate alten Jungen. Aber auch beruflich ein Dream-Team. «Es fühlt sich manchmal schon an, als lebten wir in einer Filmfabrik», schildert sie den Alltag. Ihr Mann ist der Erste, dem sie einen Entwurf zeigt. «Seine Meinung bedeutet mir am meisten. Wenn ich ihn lachen höre, wenn er etwas von mir liest, fühlt sich das schon sehr gut an.» «Barbie» haben sie gemeinsam während der Pandemie geschrieben. Verrückt und anarchisch muss die Geschichte sein, die das Publikum wieder in die Kinos zurücklocken soll. «Barbie ist eine komplexe Ikone mit ihren unrealistischen Schönheitsstandards», erklärte Gerwig in der «Today Show». «Andererseits war sie auch ihrer Zeit voraus: Sie flog zum Mond, bevor reale Frauen eine eigene Kreditkarte beantragen konnten.»
1,03 Milliarden Dollar spülte «Barbie» seit dem Start am 20. Juli weltweit in die Kinokassen.
266 367 Zuschauer sahen bisher in der Schweiz den Hollywood-Blockbuster mit Margot Robbie und Ryan Gosling.
12,5 Millionen Dollar Gage kassiert Barbie-Darstellerin Robbie laut dem Branchenblatt «Variety» für ihre Darstellung der Kultpuppe.
Seit 2011 sind Greta Gerwig und Noah Baumbach ein Paar. Die Filmemacher sind Eltern zweier Söhne (2019, 2023).
Getty ImagesBarbie-Darstellerin Margot Robbie ist sich sicher gewesen, dass ein Film um die legendäre Puppe aus der feministischen Perspektive von Gerwig ein Hit werden würde. Robbie nämlich hat als Produzentin den Stoff an die Filmemacherin herangetragen. Sowohl Barbie-Hersteller Mattel wie Warner Bros. haben Robbie und Gerwig walten lassen. Entsprechend ist nicht alles rosig in Barbieland: Barbie hat plötzlich Cellulitis und macht sich Gedanken über den Tod. Die weise, aber schwer abgenutzte «Weird Barbie» weiss Rat: Barbie muss in die reale Welt, um zu sich zurückzufinden. Begleitet wird sie von Ken (Ryan Gosling), der dort das Patriarchat entdeckt und es nach Barbieland importieren will.
Party an der Europa- Premiere (v. l.): America Ferrera, Margot Robbie, Ana Cruz Kayne, Greta Gerwig, Nicola Coughlan, Dua Lipa und Simu Liu.
Jed Cullen/Dave Benett/WireImageSo schrill und sozialkritisch «Barbie» äusserlich daherkommt, so behutsam behandelt Greta Gerwig die Gefühlswelt ihrer Plastikprotagonist*innen. Vielleicht reicht es dieses Mal für einen Regie-Oscar. Es wäre erst das vierte Mal, dass der Preis in dieser Kategorie an eine Frau ginge.
Ausgerechnet die meistkritisierte Puppe der Welt lässt Kinobetreiber jubeln – auch hierzulande. Edna Epelbaum, Kinobetreiberin und Präsidentin des Schweizerischen Kino-Verbands SKV/ACS, freut sich «unglaublich» über den Erfolg von «Barbie» beim hiesigen Publikum. Die Komödie sorge schweizweit für einen «sehr erfolgreichen Kinosommer». Bei Blue Cinema beobachtet man begeistert, dass «viele Besucher sogar in Pink gekleidet sind», sagt Pressesprecherin Olivia Willi. Und auch auf dem Land zieht der «Barbie»-Hype «wieder mehr Leute ins Kino», versichert Madeleine Baumann. Ihre Familie betreibt bereits in der vierten Generation die Kinos Urban und Löwen in Lenzburg AG.