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Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock mit Wolodimir Selenski

«Für uns gehts ums Überleben. Um nichts anderes.»

Für die Schweiz ist es ein diplomatischer Kraftakt – für die Ukraine einer im Kampf ums Überleben. 101 Regierungen und rund 500 Medienleute treffen sich zur Friedens­konferenz auf dem Bürgenstock. Unter ihnen: Vadym Kolodiichuk aus Kiew. Der TV-Journalist folgt Präsident Selenski, um Hoffnung in die Heimat zu tragen.

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Bürgenstock
Wolodimir Selenski will die Welt für einen gerechten Frieden mobilisieren. Auf dem Bürgenstock ist ihm dieser Kampf ins Gesicht geschrieben. Nicolas Righetti / Lundi13

Die Miene ist eisern, die Stimme rau. «Die Ukraine wollte diesen Krieg nie. Nur Putin wollte ihn»: Wolodimir Selenski (46) eröffnet im Rampenlicht der Weltpresse die Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstock NW. Er bedankt sich bei Bundespräsidentin Viola Amherd (62) für die Gastfreundschaft. Es ist einer der wenigen Momente, in denen der ukrainische Präsident an diesen zwei Tagen lächelt.

Das Wochenende wird in die Schweizer Geschichte eingehen. Einen diplomatischen Gipfel dieser Dimension gab es hierzulande noch nie. 101 Länder treffen sich zu einer Friedenskonferenz für die Ukraine. 57 Staats- und Regierungschefs sind dabei. 4000 Soldatinnen und Soldaten beschützen die Delegationen. Die Schweizer Armee errichtet einen temporären Helikopterlandeplatz. Die Behörden geben 15 Millionen Franken für die Konferenz aus.

epa11415534 Ukrainian President Volodymyr Zelensky (L) reacts next to Swiss Federal President Viola Amherd after the closing plenary session during the Summit on Peace in Ukraine in Stansstad near Lucerne, Switzerland, 16 June 2024. International heads of state gathered on 15 and 16 June at the Buergenstock Resort in central Switzerland for the two-day Summit on Peace in Ukraine. EPA/MICHAEL BUHOLZER / POOL EDITORIAL USE ONLY EDITORIAL USE ONLY

Noch ist es nicht zu spät für Friedensbemühungen: Bundespräsidentin Viola Amherd und der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski nach der Abschlusssitzung am Sonntag.

keystone-sda.ch

Rund 500 Journalistinnen und Journalisten aus 40 Ländern sind in die Zentralschweiz gereist. Sie müssen erst in der Dorfturnhalle von Obbürgen NW ihren Badge abholen und werden dann mit einem Shuttlebus über kurvige Strassen zum Hotelkomplex chauffiert. Vorbei an Checkpoints und den Blicken von neugierigen Anwohnern. Unter den Medienleuten ist Vadym Kolodiichuk, der aussieht wie ein jüngerer Bruder Selenskis.

Der 34-jährige TV-Moderator hat eine lange Reise hinter sich. Zwischen seiner Heimat, dem zerbombten Kiew, und dem traumhaften Bürgenstock liegen mehr als 30 Stunden – und eine ganze Welt. «Bei uns gibts auch Kühe, aber unsere haben nicht solche Glocken am Hals», sagt er. Als die russische Armee seine Heimatstadt vor über zwei Jahren angreift, müssen Vadym Kolodiichuk und seine Kollegen von Rada TV aus dem Bunker berichten. «Wir waren zwei Stockwerke unter der Erde, weil es in den Studios zu gefährlich war.» Nun berichtet er von der Terrasse des Luxusresorts mit fünf Sternen. Im Hintergrund eine der schönsten Aussichten eines der sichersten Länder der Welt.

Vadym Kolodiichuk, journaliste for TV Channel Rada in the Summit on Peace in Ukraine, Switzerland 15-16 Juin 2024. Bürgenstock (Canton of Nidwalden). ©Nicolas Righetti/Lundi13

Der ukrainische Journalist Vadym Kolodiichuk ist für drei Tage angereist. «Die Menschen in der Ukraine schauen mit Hoffnung auf dieses Treffen.»

Nicolas Righetti / Lundi13

Während Vadym Kolodiichuk live ins ukrainische TV zugeschaltet ist, treffen die ersten Staatsgäste ein. US-Vizepräsidentin Kamala Harris winkt den Fotografen mit einem «Thanks» lässig zu. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz huscht vorbei, während sein Kollege aus Österreich, Karl Nehammer, mit der Landesflagge posiert. Emmanuel Macron verspätet sich um fast eine Stunde, sagt aber, er spüre bereits den «Spirit of Bürgenstock».

Kamala Harris Vice-présidente des États-Unis in the Summit on Peace in Ukraine, Switzerland 15-16 Juin 2024. Bürgenstock (Canton of Nidwalden). ©Nicolas Rightti/Lundi13

Keine Übernachtung in der Schweiz: US-Vizepräsidentin Kamala Harris reist am späten Samstagabend bereits wieder ab.

Nicolas Righetti / Lundi13

Mit dem Herzen in der Heimat

Zum Auftakt der Konferenz dämpft Bundespräsidentin Viola Amherd gleich einmal die Erwartungen. «Wir werden nicht den Frieden für die Ukraine verkünden können.» Das Ziel sei bescheidener: Man wolle einen Prozess in Richtung eines Friedens anstossen. Russland ist nicht eingeladen. Ein Fehler? «Wäre Putin hier, würden wir sicher zu keinem Resultat kommen. Er blockiert alles und macht einfach, was er will», sagt Kolodiichuk.

Immer wieder vibriert sein Handy. «Ich habe eine App installiert, die vor möglichen Luftangriffen in der Region von Kiew warnt.» Obwohl der ukrainische Journalist auf dem Bürgenstock ist, sind seine Gedanken oft zu Hause. «Ich mache mir Sorgen um meine Eltern und hoffe, dass nichts passiert.» Seine Ehefrau, ebenfalls eine Journalistin, ist zurzeit in den USA. Kinder haben sie keine, auch wegen des Krieges. Momentan sei nicht der richtige Zeitpunkt dafür.

Summit on Peace in Ukraine, Switzerland 15-16 Juin 2024. Bürgenstock (Canton of Nidwalden). ©Nicolas Righetti/Lundi13

500 Medienschaffende aus aller Welt arbeiten übers Wochenende zusammen in der Tennishalle des Luxusresorts auf dem Bürgenstock.

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Kirchenglocken gegen den Krieg

Der Sonntagmorgen beginnt früh. Zumindest für einige nordische Teilnehmenden. Die schwedische Vizepremierministerin Ebba Busch, der finnische Präsident Alexander Stubb, Jonas Gahr Støre, Ministerpräsident von Norwegen, Belgiens Premierminister Alexander De Croo und Kaja Kallas, Premierministerin von Estland treffen sich um 6.30 Uhr zu einer gemeinsamen Joggingrunde. Wegen der Wolken leider ohne Aussicht, wie der finnische Staatschef später auf den sozialen Medien schreibt.

Etwas später kommt auch Vadym Kolodiichuk auf dem Bürgenstock an. Nach einer kurzen Nacht in seinem Luzerner Hotel. «Ich lag im Bett und hörte draussen junge Menschen, die in den Ausgang gingen», sagt er. «Da fiel mir ein, dass ich das früher ja auch gemacht habe.» Nun herrscht in seinem Land seit mehr als zwei Jahren eine Ausgangssperre von Mitternacht bis fünf Uhr morgens. «Es fühlt sich an wie ein anderes Leben.»

Summit on Peace in Ukraine, Switzerland 15-16 Juin 2024. Bürgenstock (Canton of Nidwalden). ©Nicolas Righetti/Lundi13

Im Shuttlebus auf dem Weg zum Bürgenstock: Vadym Kolodiichuk mit Kollegin Zoriana Stepanenko.

Nicolas Righetti / Lundi13

Um elf Uhr läuten alle Kirchenglocken des Kantons Nidwalden, ein Zeichen für den Frieden. Währenddessen beraten die Spitzenpolitikerinnen und -politiker und Hundertschaften von diplomatischem Personal über eine gemeinsame Abschlusserklärung. Teilweise werde um einzelne Wörter gerungen, heisst es. 84 Staaten stehen hinter dem Communiqué. Warum unter anderem Indien, Saudi-Arabien, Brasilien und Südafrika der Schlusserklärung fernbleiben, führt Aussenminister Ignazio Cassis, 63, nicht aus. «Unterschiedliche Gründe.»

Heads of states pose for a group picture as Swiss Federal President Viola Amherd leans forward during the Summit on peace in Ukraine, in Stansstad near Lucerne, Switzerland, Saturday, June 15, 2024. Heads of state from around the world gather on the Buergenstock Resort in central Switzerland for the Summit on Peace in Ukraine, on June 15 and 16. (KEYSTONE/EDA/POOL/Alessandro della Valle)

«Ich wollte mich vergewissern, dass alle da sind», sagt Bundespräsidentin Viola Amherd über diesen ikonischen Schnappschuss. «Das war wie früher beim Klassenfotoschiessen.»

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Sonnenuntergang in der Schweiz

Die abschliessende Medienkonferenz beginnt, Viola Amherd steht am Mikrofon: «Dass sich die grosse Mehrheit der hier versammelten Staaten verständigt hat, zeigt, was Diplomatie in geduldiger Arbeit erreichen kann.» Für die Bundespräsidentin ist klar: «Wir haben erreicht, was unter den Vorzeichen zu erreichen war.»

Danach tritt Selenski ans Mikrofon. Der Präsident nimmt sich fast eine Stunde Zeit, die Fragen der Journalistinnen und Journalisten zu beantworten. Auch Vadym Kolodiichuk ist unter ihnen. «Der Präsident wirkt müde, ich sehe das», sagt der Reporter. Doch in einer Sache wird der ukrainische Präsident nie müde: Mit emotionalen Sätzen führt er vor Augen, dass sein Land ums Überleben kämpft. «Wie sollen wir da müde werden?», fragt Selenski und macht klar: «Uns geht es ums Überleben. Um nichts anderes.» Vadym Kolodiichuk flüstert seiner Sitznachbarin zu: «Wir haben gar keine andere Wahl.»

Bürgenstock

«Es braucht noch viele weitere Schritte bis zum Frieden in der Ukraine»: Aussenminister Ignazio Cassis (r.) ist zufrieden, aber nicht euphorisch.

keystone-sda.ch

Mit welchem Gefühl reist Vadym Kolodiichuk zurück in die Ukraine? «Die Schweiz ist ein wunderschönes Land, auf jeden Fall», sagt er und zeigt Bilder vom Sonnenuntergang, die er seiner Ehefrau geschickt hat. «Aber es hört sich vielleicht komisch an: Ich habe Heimweh», sagt er. «Auch wenn das Leben zurzeit hart und anstrengend ist: Das Gefühl von zu Hause gibt es sonst nirgends auf der Welt. Deshalb lohnt sich der Kampf und die Ausdauer von jedem von uns umso mehr. Selenski wird nicht aufgeben!»

SD
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Von Silvana Degonda am 22. Juni 2024 - 06:00 Uhr