Es ist wohl nicht die Reaktion, mit der «Mare of Easttown»-Regisseur Craig Zobel gerechnet hatte. Ein «Ja, bitte!» oder ein «Mir wäre tatsächlich wohler damit» dürften schon eher seinen Erwartungen entsprochen haben. Doch da hat er die Rechnung ohne Kate Winslet, 45, gemacht. Als er ihr nämlich versicherte, dass er eine Speckrolle an ihrem Bauch aus einer Sexszene herausschneiden würde, warnte ihn die Schauspielerin. «Wage es bloss nicht!»
Und auch die Werbeposter für die Serie wies sie zweimal zurück, weil sie ihr zu stark retuschiert waren. «Alle sagten: ‹Kate, das kannst du wirklich nicht tun›, und ich sagte: ‹Leute, ich weiss, wie viele Fältchen ich rund um meine Augen habe, also packt sie bitte alle wieder zurück›», erzählt die Britin im Interview mit der «New York Times».
Dass sich Winslet so für Ehrlichkeit einsetzt, liegt an ihrem Ehrgeiz, eine Rolle auf möglichst authentische Art zu verkörpern. Winslets Polizistin ist eine Frau mittleren Alters, die im Laufe der Serie und während ihrer Ermittlungen in einem Mordfall immer mehr mit dem Dahinscheiden ihres eigenen Privatlebens konfrontiert wird.
Ihre Müdigkeit, die Ausgelaugtheit, die Imperfektion wollte Winslet genau so darstellen – und sieht sich in den positiven Reaktionen bekräftigt. «Ich denke, dass sich die Leute so mit dieser Figur verbunden haben, wie sie es taten, weil es eindeutig keine Filter gibt.»
Das Speckröllchen hat es ins Fernsehen geschafft. Und ist als Bestandteil von Kate Winslet zufolge mitverantwortlich dafür, dass ihre Figur mit all ihren Fehlern eine voll funktionsfähige Frau sei. Mit einem Körper und einem Gesicht, das ihrem Alter, ihrem Leben und ihrer Herkunft entspreche.
Frauenkörper, wie Gott sie schuf, sagt die Mimin, seien selten geworden in Film und Fernsehen. «Und ich glaube, wir sind alle ein wenig hungrig danach.»
Dass die Echtheit immer mehr abhandenkommt, beobachtet die oscarprämierte Schauspielerin zunehmend auch am Set. Wenn etwa plötzlich Schauspielerinnen und Schauspieler eine Rolle erhalten, «nur weil sie mehr Follower haben».
«Ich weiss fast nicht, was ich dazu sagen soll. Es ist so unglaublich falsch», erzählt sie. Die Gefahr der sozialen Medien sieht sie nicht nur im Show-Business, sondern bei jungen Menschen im Allgemeinen. «Ich glaube, es macht dich weniger präsent im echten Leben. Jeder macht ständig Fotos von seinem Essen und von sich mit unzähligen Filtern.»
«Gesichter, die sich verändern, die sich bewegen, das sind schöne Gesichter»
Kate Winslet
Diese Entwicklung macht Winslet «traurig». «Ich hoffe sehr, sie verpassen es nicht, im echten Leben zu leben und stattdessen nach unerreichbaren Idealen zu streben.» Sie selbst findet genau das schön, was von der Gesellschaft gerne als Makel abgetan wird. «Gesichter, die sich verändern, die sich bewegen, das sind schöne Gesichter. Aber wir haben aufgehört, diese Gesichter zu lieben, weil wir sie immerzu mit Filtern verdecken.»
Kate Winslet selbst will als gutes Beispiel vorangehen. Wie sie «t-online» verraten hat, setze sie vorgängig Verträge auf und lasse sich schriftlich versichern, dass bei ihr keine Fotobearbeitung stattfinde.
«Ich finde, dass wir reiferen Frauen für die jüngeren verantwortlich sind», begründet sie ihren Entscheid. «Mir ist es wichtig, dass ich für diese Generation echt und ehrlich bin, denn sie braucht starke Vorbilder.»
Auf Fotos von ihr dürfe ihr Gesicht deshalb nicht verschmälert, ihr Körper nicht verändert und dürften keine Falten oder Flecken entfernt werden. Auch Speckrollen im Film gehören zum Unantastbaren.
Winslet will damit ein Zeichen setzen – und jungen Frauen zeigen, dass bei scheinbar makellosen Fotos häufig nachgeholfen wurde. «Denn so perfekt sieht niemand aus. Auch kein Hollywood-Star.»