Er hat so gut wie alles gewonnen, was es in der Filmwelt zu gewinnen gibt. Ende Februar wurde Star-Regisseur Martin Scorsese (81) in Berlin mit dem «Honorary Golden Bear» für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Hinterher stellte sich der legendäre Regisseur den Fragen zu seinen fünf Jahrzehnten in Hollywood und outete sich als Fan von Filmfestivals, weil sie auch «unbekannteren Filmemachern mit verschiedenen Einstellungen eine Stimme in der Welt geben».
Wenn der 81-Jährige über die Magie redet, die für ihn von Filmen ausgeht, bekommt er leuchtende Augen und seine Lippen verziehen sich beim Sprechen immer wieder zu einem Lächeln.
Was macht für Sie einen guten Film aus, Herr Scorsese?
Ein guter Film kann einen tiefen Einfluss auf dich haben. Auf das, wie du dein Leben und die Menschen um dich herum siehst und auch wie du dich im Leben verhältst. Manchmal siehst du einen Film nach vielen Jahrzehnten zum zweiten Mal und stellst fest: «Er ist total anders, als ich ihn in Erinnerung habe». Doch das ist ein Trugschluss.
Inwiefern?
Der Film ist noch genau derselbe, nur dass du dich inzwischen verändert und eine andere Sichtweise auf die Handlung hast. Das ist für mich wie Musik. Wie Beethovens Symphonien. Diese klingen für mich jedes Mal etwas anders, wenn ich sie mir anhöre. Wirklich!
Was ist für Sie die wichtigste Funktion von Filmen?
Sie können überall auf der Welt gesehen werden und so verschiedene Kulturen zusammenbringen und vereinen. Was aber nicht heisst, dass Filme nicht einfach nur tolles Entertainment sein können, die dich nur gut unterhalten. Auch wenn du den Inhalt hinterher wieder vergisst.
Was für Filme sind für Sie unvergesslich?
Alle, die mich als Filmemacher beeinflusst haben. Anfang der 1970er waren wir eine kleine Gruppe von jungen Regisseuren, unter anderem Brian De Palma und Steven Spielberg. Bevor wir alle in Hollywood erfolgreich wurden, haben wir uns gegenseitig Filme gezeigt und besprochen, was wir daran beeindruckend fanden. Für uns waren sie Kunst, in der man immer wieder neue Elemente entdecken konnte.
«Ich habe meinen Ehrgeiz verloren.»
Hollywood-Regisseur Martin Scorsese
Wenn Sie zurückdenken an Ihre Anfangsjahre, wie sehr haben Sie sich seither verändert?
Ich habe nie meinen Ehrgeiz verloren. Und auch mein Ego ist noch da, das kann ich nicht abschütteln – auch wenn es mir manchmal selbst im Wege steht. Was ich allerdings im Laufe der Jahre gelernt habe, ist, mich von den vorherigen Erfahrungen zu lösen. In den letzten 10 bis 15 Jahren gestattete ich mir, jeden Film völlig neu anzugehen. Ich stehe mir nicht mehr selbst im Wege und baue neue Elemente ein, von denen ich vorher keinen blassen Schimmer hatte. Das ist wie eine Befreiung, du hast keine Fesseln mehr.
Woher kommt Ihre Liebe zum Film?
Als kleiner Junge durchs Fernsehschauen. Bei uns zu Hause liefen hauptsächlich italienische und französische TV-Filme mit Untertiteln. Ich bin in einer Nachbarschaft aufgewachsen, die man nicht als intellektuell bezeichnen kann. Bei uns zu Hause gab es keine Bücher. Es waren diese ausländischen Streifen, die mir bereits als Fünfjähriger die Augen über andere Länder und Kulturen geöffnet haben. Deshalb glaube ich fest daran, dass auch heute noch Filme für Kinder irgendwo auf der Welt Einfluss auf ihr Leben haben können.
Welche Dinge aus Ihrer Kindheit haben Sie ausserdem geprägt?
Die Lasagne meiner Mutter. Ich meine, Lasagne ist immer lecker. Aber die von meiner Mutter war einfach grossartig. Zum Glück bekommt meine Tochter Cathy, die nach ihrer Oma benannt ist, sie genauso gut hin. Sie führt die Familientradition fort!
Viele sagen, dass Kino im Zeitalter von Streaming stirbt.
Das sehe ich nicht so. Kino stirbt nicht, es verändert sich. Es hat kein Monopol mehr. Ich sehe es als Chance, neue Technologien für eine Weiterentwicklung zu nutzen.
Sie haben einen ansteckenden Optimismus. Woher kommt er?
Es ist traurig, aber wahr, dass unser Leben vergänglich ist. Nichts auf der Welt ist von Dauer, woran mich Leute auch ständig erinnern. «Marty, die Erde wird untergehen und in der Sonne verglühen.» Ich sage, solange wir noch hier sind, lass uns doch die Zeit, so gut es geht, nutzen und miteinander kommunizieren. Und das geht am besten durch Kunst wie Filme.
Macht Ihnen das Älterwerden zu schaffen?
Ich bin 81 und Zeit ist für mich zu einem Problem geworden. Ich muss sie mir genau einteilen und entscheiden, wofür genau ich sie verwende. Ich bin sehr wählerisch, welche Filme ich schaue, welche Projekte ich auswähle oder welche Events ist besuche.
Wenn Sie sich selbst mit einem Wort beschreiben müssten …
... dann wäre es «rätselhaft»! (lacht).