Jessica Chastain, 45, glaubt seit je fest an sich. Sie tut früh, was ihr gefällt – und worin sie gut ist. Schliesst sich als Teenie erst einer Tanztruppe an, spielt später Theater. Die Liebe zur Bühne pflanzt die Grossmutter ihrer schüchternen Enkelin ein, sie nimmt die Siebenjährige mit zur Musicalaufführung «Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat». «Da stand ein Mädchen auf der Bühne. Und ich dachte: Das bin ich. Von dem Tag an wusste ich, was ich mein Leben lang tun würde: auf der Bühne stehen», sagt Chastain.
Durch die Schule mogelt sich die Einzelgängerin mehr schlecht als recht, sie schliesst die Highschool nicht ab. «Ich dachte, ich sei keine intelligente Person, weil meine Noten schlecht waren.» Ihr Appell: «Es gibt Kinder da draussen, die nicht gut sind in der Schule – ich hoffe, sie denken nie, dass sie dumm sind. Es kommt nur darauf an herauszufinden, wo deine Interessen liegen und worin du gut bist.»
Ihre Eltern, so verrät sie ihren Kolleginnen Kristen Stewart und Jennifer Hudson einmal, wären nie auf die Idee gekommen, sich zu wünschen, dass sie Ärztin werden könnte. Sie hätten die Haltung gehabt: «Was immer du machen möchtest, versuche es.» Chastain glaubt, dass sie nicht zuletzt auch deshalb Schauspielerin geworden ist, weil sie aus einer «sehr armen» Familie stammt.
Geboren 1977 als Jessica Michelle Howard im kalifornischen Sacramento, wächst Chastain mit vier Geschwistern und ihrer Mutter auf. Die Köchin Jerri Renee trennt sich von ihrem Mann und Jessicas Vater, dem 2013 verstorbenen Rockmusiker Michael Monasterio. Er zahlt nie Unterhalt, sein Name taucht nicht einmal in der Geburtsurkunde auf. Das Verhältnis zu ihm beschrieb Jessica als «distanziert». Grossgezogen wird sie von ihrem Stiefvater Michael Hastey, einem Feuerwehrmann. «Er war einer der ersten, der mir ein Gefühl von Sicherheit gegeben hat.»
Nach einem Auftritt als Julia in «Romeo und Julia» wird Jessica ermutigt, bei der berühmten Juilliard School in New York vorzusprechen. Als sie angenommen wird, sind ihre Eltern entsetzt, denn sie haben fünf Kinder, aber kein Geld. Dank einem Stipendium von Hollywood-Star Robin Williams für mittellose Schauspielstudenten packt Jessica ihre Siebensachen in einen gebrauchten Toyota Prius und bricht nach New York auf. Sie arbeitet hart, ihre Lehrer fordern sie sogar auf, mal einen Tag nicht zu büffeln. «Mich interessierte aber nichts anderes», sagt Chastain. Ihr Stiefvater erzählt bis heute stolz, dass sie nie auch nur einen einzigen Cent von ihm verlangte.
Der Anfang ihrer Karriere verläuft schleppend. Werbespots halten Chastain über Wasser, einem lokalen TV-Sender steht sie auf Abruf für kleine Nebenrollen zur Verfügung. «Die meisten Casting-Directors wussten nichts mit mir anzufangen. Ich sah zu untypisch aus. Klein, rothaarig, blass.» Sie bleibt trotzdem gelassen. «Ich wollte kein Filmstar werden.» Sie hat kleine Rollen in «Dark Shadow», einem Remake der gleichnamigen Soap aus den 1960er Jahren, sowie in der TV-Serie «Law & Order: Trial by Jury» und steht auf Theaterbühnen. Als sie mit Al Pacino Oscar Wildes Drama «Salomé» spielt, ist der Schauspielstar von ihr so angetan, dass er überall begeistert von ihr erzählt. Auch der britische Regisseur Ralph Fiennes schwärmte: «Ihre Emotionen sind auf ihrer Haut. Sie schauspielert nicht, alles fliesst durch ihren Körper, vollkommen mühelos.» 2011 explodiert Chastains Karriere, als sie in gleich sieben Spielfilmen zu sehen ist. Terrence Malicks «The Tree of Life» macht sie schlagartig berühmt.
Vor der Kamera brilliert sie in Action- und Horrorfilmen, dahinter setzt sie sich in ihrer eigenen Produktionsfirma für mehr Diversität und gleiche Bezahlung von Frauen und Männern im Filmgeschäft ein. In der #MeTooDebatte meldet sie sich von Beginn an zu Wort, gründet die Initiative Time’s Up, um Geld für Opfer sexueller Übergriffe zu sammeln. Im Interview mit dem «Tagesspiegel» sagt sie 2018, sie wolle mindestens einmal im Jahr mit einer Regisseurin drehen, weil so andere Geschichten erzählt würden.
Bezüglich Privatleben hält sie es mit ihrem Idol, der französischen Schauspiel-Ikone Isabelle Huppert. «Ich will niemandem sagen, was ich frühstücke. Dieser Teil von Ruhm interessiert mich nicht.» Chastain begeistert sich für Kunst, Architektur, Mode und Ballett, ist Veganerin, trinkt keinen Alkohol und macht sich ebenso wenig aus Süssigkeiten wie aus dem Adelstitel ihres Mannes. Ihre Hochzeit mit Gian Luca Passi de Preposulo, 40, Manager der italienischen Edelmarke Moncler, feiert sie 2017 mit Gästen wie Al Pacino, Anne Hathaway und Emily Blunt in der schlossartigen Villa Tiepolo in Carbonera (I). Seit 2018 hat das Paar eine Tochter, Giulietta, 3. Bei Drehs, die Chastain als Produzentin betreut, gibts seither einen Wohnwagen für die Kinderbetreuung – eine ziemliche Ausnahme in der Filmwelt.