Gross ist die Aufregung, als vergangenen Herbst bekannt wird, dass Robbie Williams in Gstaad residiert. Wer allerdings dieser Tage bei der Gemeinde Saanen nach einem offiziellen Satz für eine Hommage an den ehemaligen Boyband-Liebling zu dessen 50. Geburtstag anfragt, bekommts mit Anwälten zu tun: «Rechtsvertreter und Medienverantwortliche wünschen keine Stellungnahme.» Robbie Williams, der unnahbare Superstar? Oder ist da eine Entourage am Werk, die den von höchsten Hochs und tiefsten Tiefs geprägten Musiker schützen will – ein bisschen auch vor sich selbst?
Einer, der es weiss, ist Hanspeter Künzler. Der in London lebende Schweizer Journalist ist Williams immer wieder begegnet. Hier erzählt er dessen Geschichte in fünf Interviews.
Eine gigantische Suite in einem Luxushotel am Hyde Park. Robbie Williams liegt in einem weissen Sofa vergraben, neben ihm ein Backgammon-Brett. Er wirkt aufgedunsen und lethargisch. Mit gerade mal 23 hat er schon bewegte Jahre hinter sich. Er ist zarte 15, als er zu Take That stösst, der erfolgreichsten Boygroup der 90er-Jahre. Der charmante Frechdachs ist der Liebling der Fans, geniesst schon als Teenager Champagner, Drogen und Frauen. Die Boulevardmedien lieben ihn dafür, seine Bandkollegen und das Management haben andere Vorstellungen davon, wie man sich in einer respektablen Teenieband verhalten sollte. Im Juli 1995 fliegt Robbie aus der Band. Niemand hätte darauf gewettet, dass er je wieder auf einer Bühne steht. Doch zwei Jahre später ist alles anders. Sein Debütalbum «Life Thru a Lens» toppt die britischen Charts und enthält den Über-Hit schlechthin: «Angels».
Robbie, was wolltest du als Zwölfjähriger werden?
Schauspieler. Berühmt sein, mit so was füttern einen die Medien ja. Dass man jemand werden wollen soll.
Schauspieler – das bist du jetzt ja eigentlich geworden, oder?
Auf unsere Art sind wir das ja alle ein bisschen. Jetzt ist meine Rolle grösser. Die Medien berichten selbst über deinen Aufenthalt im Drogenentzug bis ins Detail.
Geht dir das auf den Geist?
Ich hab mich dran gewöhnt. Entweder man lässt sich unterkriegen oder nicht. Ich habe mich dafür entschieden, es nicht zu tun.
Vor dem Interview musste ich mich vertraglich verpflichten, keine Fragen über die Vergangenheit zu stellen.
Davon wusste ich nichts! Was sagt das aus über die Einstellung von denen? Ich weiss sehr wohl, dass ich über gewisse rechtliche Aspekte nicht reden kann. Dazu braucht es kein Papier.
Die Lethargie vom Vorjahr ist verschwunden, Robbie wirkt fit, in seinen Augen spielt der Schalk. Nach dem Erfolg seines Debütalbums steht der zweite Streich in den Startlöchern: «I’ve Been Expecting You». Auch privat hat sich einiges getan: Der notorische Frauenheld ist verlobt. Mit Nicole Appleton, Sängerin der Girlband All Saints. Zwei Jahre später wird die Beziehung in die Brüche gehen. Doch im Sommer 1998 ist Robbies Selbstbewusstsein auf dem Höhepunkt.
Du bist für den Mercury Prize nominiert worden. Fühlst du dich gebauchpinselt?
Wahrscheinlich sollte ich es sein. Aber ich weiss, dass das Album gut ist. Ich brauche keine trendigen Preisrichter, die mir das bestätigen. Immerhin schön, dass sie es bemerkt haben.
Auf dem neuen Album tauchen Neil Tennant von den Pet Shop Boys und Neil Hannon von der Band Divine Comedy auf. Wie kam es dazu?
Zwei Helden von mir. Ich habe sie angerufen, und sie sagten zu. Toll, zwei Genies – drei, wenn ich mich mitzählen darf – auf der gleichen Single zu vereinen («No Regrets»)!
Hat dir Tennant Tipps gegeben?
Ja. Er sagte: Hör auf zu trinken. Das war ein sehr guter Ratschlag.
Hältst du dich daran?
Manchmal …
Wie erlebst du den Starruhm heute?
Mit Take That war es schwierig. Deprimierend sogar. Was innerhalb der Band vorging, war trüb, der Ruhm oberflächlich. Jetzt ist es anders. Diesmal kommt Respekt dazu, alles dreht sich um mich. Das wiederum ist auch nicht einfach.
Sieben Alben später. Dabei hat Robbie ein paar kühne Haken geschlagen. Zum Beispiel mit seinen Neuversionen von Klassikern aus dem «grossen amerikanischen Liederbuch». Das Album «Swing When You’re Winning» trägt ihm nur schon in Grossbritannien siebenmal Platin ein. Williams ist ins Firmament der Superstars aufgestiegen und entspannt genug, 2010 bei einer Take-That-Reunion mitzumachen. Dies nach einer fast dreijährigen Pause, die erneut mit Suchtproblemen zu tun hatte. Nach einer medial viel beachteten Liebelei mit Ex-Spice-Girl Geri Halliwell (51) findet er 2006 in der amerikanischen Schauspielerin Ayda Field (44) die grosse Liebe. Das Paar heiratet 2010, 2012 kommt Tochter Theodora zur Welt. Die Familie lebt in Kalifornien – ein Vorteil, hat Robbie den angestrebten Durchbruch in den USA nicht geschafft: Hier kann er unerkannt auf die Strasse. Titel seines bevorstehenden Albums: «Swing Both Ways».
Seit deinem letzten Werk ist kaum ein Jahr verstrichen. Woher dieser Kreativitätsschub?
2008 bin ich in den Ruhestand getreten, nur habe ich dies niemandem erzählt. Eine überwältigende Lethargie hat mich gepackt. Ich rauchte nur noch Weed und schaute UFO-Dokus. Ich hörte auf, als Person zu existieren. Geld brauchte ich ja nicht mehr. Eines Tages fragte ich mich: Bin ich wirklich dieser Typ, der den ganzen Tag auf
dem Sofa hockt? Nein, bin ich nicht! Ich legte ein Versprechen ab: nie mehr Sofa. Seither arbeite ich ständig.
Wie hältst du die Hektik auf Dauer aus?
Bald werde ich mich das nächste Mal zurückziehen müssen. Wenn man ständig liefert, wird es langweilig. Man muss ein Vakuum schaffen. Das Gefühl verbreiten, es könnte kein nächstes Mal geben.
Was erhoffst du für deine musikalische Zukunft?
Jetzt, wo die Musikindustrie implodiert, bin ich wahnsinnig dankbar, dass ich ein Konzertpublikum habe. Manchmal bekomme ich Mitleid mit Musical-Akteuren. 18 Monate lang das Gleiche. Dann erinnere ich mich daran: Hey, ich spiele diesen Robbie Williams für den Rest meines Lebens!
Ein Hotel in London. Williams huscht von einem Interview zum nächsten. Er wirkt entspannt, lebt jetzt wieder in London. Und die Familie hat sich vergrössert: 2014 mit Sohn Charlton, 2018 mit Tochter Colette. Mit einer anwesenden TV-Crew unterhält sich Williams – ein riesiger Fussball-fan – über Manchester United. Dann geht es um sein erstes Weihnachtsalbum, «The Christmas Present».
Ein Weihnachtsalbum – schon lange auf deiner Wunschliste?
Ich bin jetzt seit 30 Jahren im Geschäft. 17 Alben solo und mit Take That. Damit so was noch Spass macht, muss man neue Herausforderungen erfinden. Diesmal war ich besessen von der Idee, ein Lied zu schreiben, das uns ewig nerven wird.
Ist das deine Definition von Erfolg?
Heute, ja. Ich bin 45. Die Popwelt ist für die Jungen. Je älter man wird, desto knapper wird der Sauerstoff.
Gehst du noch an Konzerte?
Nein. Ich mag Menschen nicht besonders. Jedenfalls nicht in Ansammlungen. Ausser ich bin auf der Bühne.
Diesmal treffen wir uns über Zoom. Robbie sitzt im Genfer Büro seines Managers. Der inzwischen vierfache Vater – Sohn Beau erblickt 2020 das Licht der Welt – hat hier im Welschland 2021 eine Villa gekauft, bevor er ins Berner Oberland weiterzog. Diesmal dreht sich das Gespräch um «XXV», ein Album mit Orchesterversionen von Hits und neuen Liedern, mit dem er sein 25-jähriges Solo-Jubiläum feiert.
Jetzt ist Robbie Williams 50 – und ein bisschen weise? Auf jeden Fall ruhiger. Ganz ohne Skandälchen gehts aber nicht. Mal erzählt er, er leide an Long Covid, was sich als Scherz herausstellt. Auf den sozialen Medien stapft er mit lustigen Schildern auf einem Kreisel bei Gstaad herum oder überklebt Verkehrstafeln mit amüsanten Sprüchen. Und in der Netflix-Doku über sein Leben, die im November 2023 online geht, zeigt er sich mit Vorliebe in Unterhosen. Einmal Lausbub, immer Lausbub. Happy Birthday, Robbie Williams!
Ein Vierteljahrhundert Karriere – was hast du jetzt noch vor?
Künstler, die nicht mehr so oft am Radio kommen, versuchen manchmal den alten Vibe zu rekreieren. Ging mir selber eine Weile lang so. Jetzt will ich mich wieder brandneu fühlen.
Was halten eigentlich deine Kinder von deiner Musik?
Die Älteste glaubt, ich sei Elvis. Ich bin sehr oberflächlich gestrickt – das Kompliment nehme ich gern an.
Jetzt ist Robbie Williams 50 – und ein bisschen weise? Auf jeden Fall ruhiger. Ganz ohne Skandälchen gehts aber nicht. Mal erzählt er, er leide an Long Covid, was sich als Scherz herausstellt. Auf den sozialen Medien stapft er mit lustigen Schildern auf einem Kreisel bei Gstaad herum oder überklebt Verkehrstafeln mit amüsanten Sprüchen. Und in der Netflix-Doku über sein Leben, die im November 2023 online geht, zeigt er sich mit Vorliebe in Unterhosen. Einmal Lausbub, immer Lausbub. Happy Birthday, Robbie Williams!
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Hanspeter Künzlers Archiv umfasst 2500 Interviews mit Stars wie Amy Winehouse, Elton John oder Rod Stewart. Live gibts seine Erzählungen am 15. Februar in der «Militärkantine» St. Gallen.