Eigentlich sollte es ja nichts Besonderes sein, doch da das Thema bereits im Vorfeld eine riesige mediale Resonanz hervorruf, offensichtlich eben doch. Eine Frau, die am grössten Fussballturnier der Welt über 22 Männer herrscht? Ja, wieso denn nicht! Denn in der modernen Fussballwelt, sollte es wirklich nichts Aussergewöhnliches sein, dass auch eine Frau ein grosses internationales Spiel verantwortet. Gerade auch an einer Weltmeisterschaft. Dass in Zukunft auch immer mehr weibliche Referees auf dem Rasen bei Turnieren der Herren auflaufen, dürfte so bald zeitgemässe Normalität werden.
Für diesen historischen Moment hatte die Schiedsrichterin Stéphanie Frappart gesorgt, denn die Französin ist die erste Frau überhaupt, die ein WM-Fussballspiel der Männer leitete. Und das Spiel war kein x-beliebiges. Denn Frappart musste beim hochspannenden Gruppenfinale zwischen Costa Rica gegen Deutschland für Ordnung sorgen. Und dies gelang der 38-Jährigen tadellos. Dann und wann musste sie gegenüber dem einen oder anderen Spieler resolut auftreten, um diesen zurechtzuweisen. Und als der costa-ricanische Torhüter Navas in der 73. Minute nach dem Ausgleichstor des eben eingewechselten Havertz den Ball nicht mehr freigeben wollte und die Situation zu eskalieren drohte, hatte Frappart die brenzlige Situation stets unter Kontrolle.
Steile Karriere
Viel Lob gab es bereits vor dem Spiel. Sie sei zurzeit die beste Schiedsrichterin, schreibt das Feuilleton der «Frankfurter Allgemeine Zeitung» und ist nebst dem energischen Pfeifen vor allem von der Körpersprache der Französin beeindruckt. Und auch die «Süddeutsche Zeitung» jubelt: «Die Beste ihres Fachs». Doch nicht nur die Medien, auch Akteure auf und neben dem Rasen scheinen Frappart angetan zu sein. So zeigte sich der Bundestrainer der deutschen Fussballnationalmannschaft Hansi Flick (57) an der DFB-Pressekonferenz einen Tag vor dem historischen Spiel über Frappart begeistert: «Da habe ich 100 Prozent Vertrauen. Wir freuen uns auf sie und ich hoffe, sie freut sich auch auf uns.»
An Qualität oder Erfahrung jedenfalls fehlt es Frappart nicht, wie ihr Lebenslauf zeigt. Die Französin ist seit Juli 2014 in der zweiten Liga und seit 2019 in der ersten Liga Frankreichs im Einsatz. Insgesamt hat sie schon 235 Spiele gepfiffen. Hauptberuflich ist sie im französischen Arbeitersportverband tätig.
Als Mittelfeldspielerin stand Frappart schon als Zehnjährige auf dem Platz und zeigte grosses Interesse an den Regeln des Sports. Mit der Volljährigkeit konzertierte sie sich ausschliesslich auf die Karriere als Schiedsrichterin. Der Aufstieg kam schnell. Schon mit 19 wurde sie auch bei den Männern eingesetzt und arbeitete sich von der siebten Liga herauf – bis zum UEFA Supercup 2019, der Champions League 2020, der WM-Qualifikation 2021 und nun der WM in Katar.
Auf Emotionen vorbereitet
Für Frappart ist Frauen- und Männerfussball dasselbe, der gleiche Ball, dieselben Regeln, wie sie bereits 2019 vor ihrem ersten Auftritt beim Supercup (Liverpool gegen Chelsea) erklärte. Auf die Frage, ob sie sich bereit fühle, antwortete sie damals schon fast erbost: «Natürlich. Wir trainieren die ganze Zeit. Wir haben keine Angst, wir sind immer bereit», zitierte sie die Webseite kicker.de.
In ihrem Privatleben habe sich seitdem allerdings schon etwas geändert: «Ich bin jetzt bekannter.» Das dürfte sich mit dem ersten WM-Spiel unter weiblicher Spielleitung noch steigern. Ihr kontinuierlicher Aufstieg hätte sie aber «auf die Emotionen vorbereitet», wie sie schon 2019 sagte. Ein Erfolg, den sich Frappart als Vorreiterin in einer von Männern dominierten Domäne über Jahrzehnte erarbeitet hat.
«Die Qualität zählt und nicht das Geschlecht»
Unterstützt wurde sie gestern Abend übrigens von zwei weiteren Frauen. Die Linienrichterinnen Neuza Back und Karen Diaz macht das Frauen-Trio komplett. Der Chef der FIFA-Schiedsrichter-Kommission, Pierluigi Collina (62), bezeichnete die Nominierung von drei Spielleiterinnen für die WM in Katar im Vorfeld als «der Beweis dafür, dass die Qualität zählt und nicht das Geschlecht». Man könnte allerdings auch sagen: Dass es so lange gedauert hat, ist der Gegenbeweis. Und dass bis zur Halbzeit des Turniers keine der drei nominierten Schiedsrichterinnen zum Einsatz kam, manche Männer dafür aber schon doppelt, ebenfalls.
Übrigens, das Spiel endete schliesslich mit einem 4:2-Sieg der Deutschen. Da aber Japan gleichzeitig Spanien mit 2:1 schlug und sich so an die Spitze der Tabelle der Gruppe E hievte, war der Traum vom Weiterkommen für Rüdiger, Gnabry, Müller und Co. geplatzt. Wie bereits 2018 in Russland scheiterte die deutsche Nationalelf bereits in der Vorrunde – und stürzte die ganze Nation in ein kollektives Fussball-Trauma. Dafür kann Stéphanie Frappart allerdings nicht.