Er hatte eine wunderbare Stimme. Dunkel, etwas heiser und rau. Erhob er sie, hörten ihm Millionen von Menschen gebannt zu. Und das nicht nur, wenn er sang. Doch in jüngster Zeit war er für seine Verhältnisse ziemlich leise geworden. Obwohl es wahrlich genug Gründe gegeben hätte, die Stimme laut zu erheben. Vielleicht war es doch das zunehmende Alter. Mit 96 Jahren verstarb Harry Belafonte (1927-2023) am 25. April. Aus aktuellem Anlass ein Rückblick auf seine grössten Erfolge.
Weltstar und strahlende Legende
Bis zuletzt war er ein veritabler Weltstar. Einer jener wenigen strahlenden Legenden, die scheinbar für die Ewigkeit eine Zeit erhellen, die austauschbare Stars mit Halbwertzeiten von Sternschnuppen wie am Fliessband produziert. Doch wie das so ist mit den grossen Legenden im irrlichternden Show-Universum: Mit der Zeit trübt das Auge ein, man übersieht den wahren Glanz.
Eigentlich war einer wie Harry Belafonte jedoch zu keinem Zeitpunkt zu übersehen, auch rein äusserlich nicht. Selbst im hohen Alter war er immer noch ein bemerkenswert schöner Mann. Unter dem kahl rasierten Schädel erhob sich eine nahezu faltenlose hohe Stirn, die braunen Augen konnten je nach Bedarf mild oder zornig funkeln, und mit seinem Lächeln hatte er seit vielen Jahrzehnten viele erobert (drei Ehefrauen, vier Kinder).
Im Leben alles erreicht
Schauspieler, Sänger, TV-Entertainer, Moralist - das sind im Ungefähren Harry Belafontes Betätigungsfelder gewesen. In jeder Kategorie ist er berühmt geworden. Oscar, Grammy und zahlreiche andere Preise hat er für seine Arbeit erhalten. Doch eine Ehrung liegt ihm ganz besonders am Herzen: Die Bibliothek von Harlem trägt seit 2017 Harry Belafontes Namen. «Harlem hat einen ganz speziellen Platz in meinem Herzen, und ich fühle mich geehrt, dass ich jetzt einen speziellen Platz in Harlem haben werde», sagte er damals.
In just diesem New Yorker Stadtteil wurde Belafonte am 1. März 1927 als Sohn des Matrosen Harold George Bellanfanti aus Martinique und der Hilfsarbeiterin Malvene Love aus Jamaika geboren. Vier Jahre verbrachte er mit seinen beiden älteren Brüdern in der Heimat der Mutter, dann zog die Familie zurück nach New York, zurück ins damalige Schwarzen-Ghetto. Dort hat er all die Diskriminierung erleben müssen, der schwarze Menschen ausgesetzt waren. Sie hat ihn fürs Leben geprägt.
Auf der Schauspielschule mit Marlon Brando
Während des Zweiten Weltkriegs diente Belafonte in der US-Navy, nach seiner Rückkehr stand der Entschluss fest: Er wollte Schauspieler werden, schaffte die Aufnahme in die berühmte Theaterschule «Dramatic Workshop» des deutschen Schauspielers Erwin Piscator und lernte die Werke von Tschechow, Brecht und Shakespeare kennen. Mit ihm studierten der junge Walter Matthau, Tony Curtis und auch Marlon Brando, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte.
«Ich wollte der erste schwarze Hamlet werden», sagte Harry Belafonte mal in einem Interview. Es ist anders gekommen. Hollywood lockte – und bald war er mit Filmen wie «Bright Road», «Carmen Jones», «Island in the Sun», «The World, the Flesh und the Devil» oder «Odds against Tomorrow» der erste schwarze Weltstar.
Seine zweite grosse Leidenschaft: die Musik
Gleichzeitig lebte Harry Belafonte, ähnlich wie Frank Sinatra, seine zweite grosse Leidenschaft aus: die Musik. Er war ein hochbegabter Jazzsänger und arbeitete in New Yorker Clubs mit Grössen wie Miles Davis oder Charlie Parker. Doch mit seiner unvergleichlichen Interpretation von karibischer Volksmusik stieg er in den Olymp der Unsterblichen auf. Da war er gerade mal 30 Jahre alt. Der «King of Calypso» schuf Ohrwürmer wie «Island in the Sun», «Matilda» oder den Superhit «Banana Boat Song», zu dem die halbe Welt mitsang: «Daaay-O». Insgesamt hat er über 100 Millionen Platten verkauft.
Als TV-Entertainer mit einer eigenen Show entdeckte er selbst Berühmtheiten wie Bob Dylan. Und Belafonte hatte in den 80er-Jahren als erster die Idee, eine Benefiz-Single für das hungernde Afrika aufzunehmen. So entstand 1985 das Projekt «USA for Africa». Die grössten amerikanischen Pop- und Rockstars (Michael Jackson, Lionel Richie, Stevie Wonder, Paul Simon, Bruce Springsteen, Diana Ross, Tina Turner, Ray Charles, Cindy Lauper und viele weitere) spielten «We Are the World». Die Single verkaufte sich mehr als 20 Millionen Mal.
«So sieht die Hölle aus - in Verkleidung des Himmels»
Der Mensch Harry Belafonte musste auch mit seinen dunklen Seiten fertig werden. «Stellen Sie sich vor, Sie sind ein armer Junge aus Harlem, der Rassismus und Ausgrenzung kennengelernt hat», sagte er in einem Interview, «und auf einmal fliegt dir alles zu: Geld, Drogen, Mädchen. Und zwar in einem absurden Ausmass. So sieht die Hölle aus - in Verkleidung des Himmels.»
Er trank, und er spielte. In seiner Autobiographie «My Song» berichtet er von seiner Spielsucht, von der zunächst nur seine erste Frau, sein Therapeut und einige Freunde wussten. «Sie waren entsetzt, als sie mitbekamen, dass ich ein Vermögen verspielt hatte», sagte Belafonte in einem Interview mit «Bild». Er habe «mehrere Male um die 100'000 Dollar verspielt, auch mal 50'000 oder auch mal nur 25'000. Die konnte ich mit einer Hand loswerden.»
Plötzlich habe er keinen Penny mehr in der Tasche gehabt. «Ich war damals der am besten bezahlte Künstler Amerikas, trotzdem gab es die Situation, dass ich dem Staat 126'000 Dollar überweisen musste und dieses Geld im Casino gelassen hatte. Ich musste dann einen Kredit aufnehmen.» Erst nach langen Gesprächen mit seinem Therapeuten sei er von der Sucht losgekommen.
Besonderes Verhältnis zu Deutschland
Ein ganz besonders Verhältnis hatte Harry Belafonte zu seinem deutschen Publikum. Die Deutschen sollen seine grössten Fans gewesen sein. Sein erster Besuch in Deutschland hatte sich ihm eingebrannt. Er wollte erst gar nicht kommen, die Erinnerung an den Krieg und an das Dritte Reich der Nazis war noch zu frisch. Mit einem «mulmigen Gefühl» begann er seinen Auftritt, schilderte Belafonte der «Welt». Dann sang er das hebräische Lied «Hava Nageela». Das Publikum sang mit.
«War das nicht seltsam?», schrieb er in seiner Autobiografie. «Ein deutsches Publikum, das voller Begeisterung ein jüdisches Volkslied sang? Nur 13 Jahre nach dem Krieg?» Das sei das Schlüsselerlebnis gewesen, das seine Sicht auf Deutschland dauerhaft verändert habe: «Die Dankbarkeit, die Liebe und Herzlichkeit, die mir von diesem deutschen Publikum entgegengebracht wurde, zählt zu den schönsten Erinnerungen meiner Karriere.»
Er kämpfte gegen Armut, Rassismus, Umweltverschmutzung
Den nachhaltigsten Eindruck hinterliess der politische und soziale Moralist Harry Belafonte. Seit seiner Jugend kämpfte er gegen Armut, Rassismus, Umweltverschmutzung in den USA und auf der ganzen Welt. Er war eng mit dem 1968 ermordeten schwarzen Bürgerrechtler Martin Luther King, mit Eleanor Roosevelt, der Ehefrau des 32. US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, mit Robert F. Kennedy und Nelson Mandela befreundet. Aus dem «King of Calypso» war ein singender Bürgerrechtler geworden, der von der UNICEF zum Botschafter ernannt wurde.
Als er aber die Chance hatte, der erste schwarze Senator von New York zu werden, lehnte Belafonte ab. Warum? «Wenn du in die Politik gehst, musst du bereit sein, Kompromisse einzugehen. Politiker verhandeln Interessen, und ich wollte nicht über etwas verhandeln, woran ich glaube. Ich wollte dafür kämpfen. Die Plattform, die ich habe, ist viel mächtiger als die, die ich als Senator gehabt hätte. Künstler sind die kraftvollste Quelle im Universum und die Hüter der Wahrheit.»
Deutliche Worte gegen Bush
Belafonte kann durchaus zornig werden. So bezichtigte er den US-Präsidenten George W. Bush des Terrorismus und sagte einst in der «Bild am Sonntag»: «Wer gibt uns das Recht, die Menschen im Irak zu töten? Bush behauptet, dass Amerika zum ersten Mal Terroristen jagt. Dabei ist Terrorismus ein Teil des amerikanischen Systems. Amerika hat eine ganze Rasse vernichtet, die Indianer. Das ist Terror.» Den damaligen Aussenminister Colin Powell bezeichnete er als einen «Haussklaven», der seinem Herrn Bush ohne Widerspruch und eigene Meinung gehorche.
Von Barack Obama enttäuscht
Auch von Präsident Barack Obama war Harry Belafonte enttäuscht. «Ihm fehlt es an einer fundamentalen Empathie für die, die wirklich gar nichts haben. Ganz egal, ob sie schwarz oder weiss sind... Ich habe Hoffnung in jeden guten Präsidenten gesetzt, aber nicht wegen seiner Hautfarbe, sondern wegen dem, was ihn als Mensch ausgemacht hat. Ich habe nicht das Gefühl, dass Obama mehr als ein Mensch sein kann. Darum macht es keinen Unterschied, dass er ein schwarzer Präsident ist.»
Vor der Wahl zum US-Präsidenten 2020 sprach sich Belafonte gegen Donald Trump aus. In der «New York Times» teilte er seine Gedanken. Schwarze Menschen hätten ihre Sicherheit verloren, «da dieser Präsident hinter der Polizei steht, die uns auf der Strasse tötet».