Mangelnden Geschäftssinn kann man ihr nun wirklich nicht vorwerfen. Denn mittlerweile ist gar nicht mehr so klar, als was man Gwyneth Paltrow, 49, denn eigentlich bezeichnen soll. Die Oscar-Preisträgerin war früher mal einfach Schauspielerin. Mittlerweile ist sie Unternehmerin – unter anderem von Vagina-Duftkerzen –, Bloggerin, Moderatorin, Sängerin – und seit neuestem nun auch noch Host einer Sex-Show.
Richtig gelesen: Gwyneth Paltrow führt nun durch eine Netflix-Sendung, in der sich alles um das eine dreht. In «Sex, Love and Goop» begleitet Paltrow gemeinsam mit einem Team aus Expertinnen und Psychologen Paare, die «Lektionen und Methoden erlernen, um ihre jeweilige Beziehung durch besseren Sex und mehr Intimität aufzufrischen», wie es bei Netflix heisst. Seit dem 21. Oktober ist die Sendung beim Streamingdienst verfügbar. In sechs Episoden à je 30 Minuten werden wir Zeugen davon, wie verschiedene Paare ihre Sexualität neu entdecken. Wir haben uns die erste Folge «Eine Serie über Sex» angeschaut – und haben nach 30 Minuten bereits einige Erkenntnisse aus der Show gewonnen.
So ganz angetan von ihrem neuen Engagement scheint Paltrow nicht zu sein. Gleich zu Beginn der ersten Folge nämlich platzt aus ihr heraus: «Es wird vermutlich etwas peinlich und seltsam.»
Paar Nummer 1, Erika und Damon, wird zu Jaiya geschickt. Sie ist Sexologin und verhelfe, wie sie sagt, Paaren zu einem erfüllten, reizvollen Sexleben, indem sie mehr über ihre Sexualität erfahren würden. Jaiya ist zudem Erfinderin der Erotischen-Blaupausen-Theorie. «Menschen sind unterschiedlich gepolt, wenn es um Erotik geht. Erotische Blaupausen sind eine Sprache, die Menschen dabei hilft, zu verstehen, wer sie als erotische Wesen sind.» Die Sexologin unterscheidet dabei zwischen fünf verschiedenen Blaupausen:
- Energetisch: Erregung durch Vorfreude, Herbeisehnen von etwas
- Sinnlich: Sinne werden angeregt und führen zu Erregung
- Sexuell: Erregung durch Sex, Penetration, Nacktheit, Genitalien
- Pervers: Erregung durch nach eigenen Regeln definierte Tabus
- Formenwandler: Erregung durch eine Mischung aus allen anderen Blaupausen
Paltrow erzählt in der Sendung, dass sie den Online-Test zum Herausfinden der eigenen erotischen Blaupause ebenfalls gemacht hat. Sie ist energetisch – wird also dadurch angeturnt, dass sie sich Sex und Intimität herbeisehnt und sich darauf freut.
Sowohl bei Erika und Damon sowie dem zweiten porträtierten Paar, Felicitas und Rama, wird eine sehr konservativ-klischierte Haltung zum Sex spürbar. «Für mich als Mann ist es viel einfacher, glaub ich. Sie macht mich an. Ganz simpel», sagt etwa Damon. «Sie macht mich an, wenn sie im Haus rumläuft – das reicht, um mich anzuturnen.» Wohingegen für Erika Stimulation wichtiger sei als Penetration. Aha.
Bei Felicitas und Rama hingegen ist sie es, die ihm beziehungsweise seinem Geschlecht unterstellt, ständig nur an das eine zu denken. «Aus Sicht der Frau fühlt es sich an, als wolle der Mann nur Sex», findet Felicitas. «Viele Männer kommunizieren das mit so einer Erwartungshaltung, nach dem Motto: ‹Das steht mir zu, du musst es mir geben.›»
Sex sprüht nur so vor Leidenschaft und Dynamik? Das ist der Optimalfall. Doch um dahin zu gelangen, ist – wie bei vielem anderem – Übung gefragt, wie Paar- und Sexualtherapeutin Michaela Boehm Paltrow erklärt. «Die meisten Menschen verkennen, dass Beziehung und Sex in Wahrheit Fähigkeiten sind», erzählt sie. «Als würden wir beide lernen wollen, wie man Golf spielt.» Man brauche das Handwerk, um «dann die richtige Ausführung zu lernen».
«Die meisten Menschen verkennen, dass Beziehung und Sex in Wahrheit Fähigkeiten sind»
Michaela Boehm
Wie technisch das Ganze ist, wird auch in der Therapiestunde von Felicitas und Rama spürbar. Dort spricht Boehm davon, dass die beiden ihre sexuelle Dynamik aufbrechen müssen – und wählt dafür äusserst unerotische Worte: «Ich würde gerne euer Betriebssystem etwas aufrüsten.»
Jeder und jede, der in der Mittelstufe irgendwann mal Aufklärungsunterricht hatte, mag sich wohl noch daran erinnern: an das Kichern der Gspänli, an die unangenehme Spannung, an das Peinlich-berührt-Sein.
Und auch bei den Paaren in der Show macht sich schnell mal eine ähnliche Atmosphäre breit, als sie alle zusammen mit Paltrow in einem Kreis sitzen und Intimes preisgeben sollen. Die Protagonisten gigelen so sehr und sind so unentspannt, dass Paltrow erst einmal ein Machtwort sprechen muss. «Schon okay!», sagt sie lachend. «Wir haben Sex. Es ist eine Sendung über Sex. Wir reden über Sex.» Den Zuschauenden der Show wird spätestens da klar, worum es geht. Wobei in den wenigen Minuten zuvor das entsprechende Stichwort bestimmt schon zehnmal gefallen ist.
Gemäss Jaiya führen beim Energetischen die Psychologie und das Spielen des Spiels zu Orgasmen, es bleibe damit viel Raum für Kreativität. Und genau das erachtet sie als Chance. «Man kann den Rest seines Lebens darin spielen», sagt sie. Die Sexualität nämlich ist unergründlich. «Man wird nie alles erkunden, was es zu erkunden gibt.»
«Love, Sex and Goop», seit 21. Oktober 2021 auf Netflix verfügbar