Wir kennen sie, die Memes à la «Wenn Britney 2007 überlebt hat, dann überlebst du auch das». Man lacht kurz. Immerhin haben viele von uns den Tiefpunkt von Britney Spears’ Karriere miterlebt. Damals, als sie zusammenbrach, sich die Haare abrasierte und mit einem Schirm auf Reporter losging. Die Welt hat sich über die damals 26-Jährige eine Meinung gebildet. Britney hatte einen Nervenzusammenbruch» war vermutlich noch das netteste, was über die Sängerin zu lesen war.
Es war «ok», sich über sie lustig zu machen, sie und ihre Entscheidungen durch den Kakao zu ziehen. Man tat ja nur das, was alle taten. Promi-Blogger Perez Hilton sagte dazu: «Wenn es Britney schlecht geht, geht es mir gut». Doch Britney Spears’ Tiefpunkt ist kein Witz. Er ist die Folge eines Systems, das es nicht gut mit ihr meinte. Eines Systems, das heute, weniger als 20 Jahre später, wie aus der Zeit gefallen wirkt.
Die von der New York Times produzierte Doku «Framing Britney Spears» legt hier den Finger in die Wunde. Denn, Hand aufs Herz: Wer heute so Mitte 30 oder um die 40 ist, hat damals ein bisschen mitgemacht. Nicht aktiv, nicht bewusst und in vielen Fällen vermutlich ohne böse Absicht.
Wir haben News konsumiert, die einer verzweifelten 26-Jährigen «Irrsinn» attestierten und Bilder angeschaut, die Heerscharen von Paparazzi, die keine Grenzen kannten, von einer verzweifelten jungen Frau machten. Wir waren dabei, als die Sängerin entmündigt und in die Obhut ihres Vaters überstellt wurde. Wir waren dabei, als sie aufstieg und dann abstürzte. Wie es dazu kam, verstehen wir vermutlich erst heute.
Vielleicht fanden wir es schon Ende der 90er grenzüberschreitend, dass ein älteliger TV-Moderator ein zehnjähriges Mädchen in der Sendung «Star Search» fragte, ob sie denn einen Freund habe. Wir haben vielleicht die Augen verdreht und weiter gelebt.
Wie falsch das war, wird heute in der Rückschau deutlich: Wir sind nach #metoo und der unter anderem daraus resultierenden Debatte über Feminismus und systemischen Sexismus sensibilisierter auf diese Themen.
Umso krasser fahren manche Sequenzen 2021 ein: Nein, es ist (und war) nicht ok, eine 16-Jährige im amerikanischen Fernsehen nach ihren Brüsten zu fragen (auch nicht, wenn sie sie sich selbst «sexy» anzieht). Und nein, nein, nein – auch Britney Spears muss sich für ihre Sexualität nicht rechtfertigen (wir erinnern uns an das Drama, als Ex-Freund Justin Timberlake plötzlich in Radio-Interviews über die vermeintliche Lüge von der Spears’schen Jungfräulichkeit witzelte. Er konnte das damals noch bringen.)
Die Doku präsentiert nichts Neues über Britney Spears. Sie konstruiert lediglich ein alternatives Narrativ des Geschehenen, arbeitet ein Stück Popkulturgeschichte auf, animiert auch uns, die wir damals irgendwie dabei waren, zur Selbstreflexion und - kritik. Auch wir können das besser.
Das haben wir Britney Spears zu verdanken. Denn ohne ihren öffentlich filetierten und unfreiwillig zelebrierten Zusammenbruch, wäre die Popkultur vermutlich nicht da, wo sie jetzt ist. Sängerinnen wie Taylor Swift, Selena Gomez, Ariana Grande oder Billie Eilish sprechen offen über ihre psychischen Herausforderungen, sie kontrollieren ihre eigene Geschichte. Auch sie sind mit Sexismus und misogynistischer Herablassung konfrontiert – aber sie stemmen sich dagegen. Dafür hat auch Britney Spears den Weg geebnet.
Sorry, Britney. Jetzt können wir das besser.