Diese Ra(c)kete sorgt für Zündstoff: Carola Rackete, 31, Kapitänin des privaten Rettungsschiffs «Sea-Watch 3». Vor einer Woche wird sie auf der Insel Lampedusa verhaftet und unter Hausarrest gestellt. Vorgeworfen werden ihr Beihilfe zur illegalen Einwanderung, Verletzung des Seerechts und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Am Dienstag hebt ein Gericht den Arrest gegen die Kapitänin zwar auf, beendet ist das juristische Nachspiel aber nicht.
Bis zu zehn Jahre Knast drohen Rackete. Italiens Innenminister Salvini nennt sie «Verbrecherin», wütet nach ihrer Freilassung auf Facebook: «Ich bin angewidert.» Deutschlands Bundespräsident Steinmeier kritisiert ihre Festnahme. Viele feiern sie als Heldin der Menschlichkeit. Ein Spendenaufruf der TV-Moderatoren Jan Böhmermann und Klaas Heufer-Umlauf bringt binnen Tagen 1,3 Millionen Euro. «Le Monde», «New York Times», «El País» – Medien weltweit berichten über Carola Rackete.
Wer ist die Frau im schwarzen Tanktop mit dem Sonnenanhänger, der die einen zujubeln, andere «Schande» zurufen? Geboren in Preetz, einer Kleinstadt bei Kiel, wächst sie mit ihrer Schwester behütet auf. Sie selbst sagt über sich: «Ich habe eine weisse Hautfarbe, bin in einem reichen Land geboren, habe den richtigen Reisepass, durfte drei Unis besuchen, hatte mit 23 meinen Abschluss. Ich habe ein leichtes Leben.» Sie spüre eine «moralische Verpflichtung, Menschen zu helfen».
Das Drama beginnt am 12. Juni morgens, als Käpt’n Rackete vor der libyschen Küste 53 Flüchtlinge rettet. Sie funkt Landungsanfragen an mehrere Länder, darunter die Niederlande, unter deren Flagge die «Sea-Watch 3» fährt. Die Antwort: Libyen. Rackete soll Tripolis ansteuern. Sea-Watch, der Verein, für den Rackete im Einsatz ist, schlägt das Angebot aus: Libyen sei kein sicherer Hafen.
Ihr persönlicher Hafen ist für die Kapitänin die Familie: Mutter Siglinde und Vater Ekkehart, ein Ex-Bundeswehr-Oberstleutnant. Carola studiert nach dem Abitur Nautik. In den Ferien trampt sie durch Südamerika, Pakistan, zeltet auf der Chinesischen Mauer, jobbt auf Kreuzfahrtschiffen. Sie spricht Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Russisch.
Der nächstsichere Hafen für Racketes Passagiere ist Lampedusa. Elf Personen dürfen auf die Insel: Kranke, drei Minderjährige, zwei Schwangere. 42 Flüchtlinge bleiben auf 50 Quadratmetern an Deck zurück, die Sonne brennt. «Wir haben Probleme mit Dehydration, mit Hygiene – wir müssen die Menschen schnellstmöglich in einen sicheren Hafen bringen», appelliert Rackete. Sie hofft, juristisch eine Anlege-Erlaubnis in Italien zu erwirken. Als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ihren Eilantrag zurückweist, ist sie «enttäuscht und wütend».
Rackete gilt als besonnen. Ihr Vater erklärt: «Eine sozialrevolutionäre Ader hatte Carola nie. Sie ist nicht impulsiv, weiss, was sie macht. Sie ist eine starke Frau.»
Doch die Aussichtslosigkeit wächst. Einige Flüchtlinge überlegen sich, Suizid zu begehen und über Bord zu springen. Nach 17 Tagen Irrfahrt steuert Rackete am vergangenen Samstag Lampedusa an – trotz Verbot. «Ich kann die Risiken für die psychische und physische Gesundheit der Menschen an Bord nicht weiter verantworten.»
Als sie in den Hafen einfährt, touchiert sie ein Polizeiboot, entschuldigt sich später dafür. Noch auf dem Schiff wird sie verhaftet und unter Hausarrest gesetzt «bei einer netten Dame, die sich rührend um Carola kümmert», wie ihr Vater weiss. Dass seine Tochter so plötzlich im Rampenlicht steht, sei purer Zufall. Das Rettungsschiff steuert Käpt’n Rackete erst seit Kurzem.
Bis vor vier Wochen arbeitete sie in einem schottischen Naturpark. Nach ihrer Heimkehr, erinnert sich Vater Ekkehart, klingelte das Telefon. Die Berliner Hilfsorganisation Sea-Watch suchte dringend jemanden mit einem Kapitänspatent. Am selben Nachmittag sass Carola im Flugzeug nach Malta, ging da an Bord der «Sea-Watch 3» und übernimmt als Kapitänin das Kommando.
Eine mutige Frau!
Eine Heldin?
Ihr Vater sagt: «Ich sehe meine Tochter nicht als Heldin. Sie hat eine Menge Zivilcourage bewiesen. Sie hat gemacht, was sie für richtig gehalten hat.»