Mit fünf sass er erstmals am Klavier. Mit neun wurde ihm an der Purcell School in London bewusst, dass er das absolute Gehör hat. Als Zwölfjähriger spielte er im Kinofilm «Vitus» ein hochbegabtes Kind. Und heute? Ist Teo Gheorghiu 28 Jahre alt und auf dem Weg zu einer Weltkarriere als Pianist. «Vitus» war gestern: «Ich habe meine eigene Stimme gefunden und bin diesen Schuhen entwachsen.»
Kein Wunder, trägt der Musiker doch Schuhgrösse 43. Meistens flitzt er auf dem Rennvelo durch Fribourg. Hier lebt er seit zwei Jahren mit seiner Freundin Melanie, 37, und der gemeinsamen 14 Monate alten Tochter Gioia in einem charmanten Knusperhäuschen nahe dem Stadtzentrum. Das Velo ist sein liebstes Fortbewegungsmittel. Kann er nicht Auto fahren? «Nicht legal», sagt er und lacht. Sein verrücktestes Abenteuer fand denn auch auf zwei Rädern statt.
Es ist ein heisser Sommertag in London. Mit zehn Kilo Gepäck auf dem Rücken verlässt er seinen damaligen Wohnsitz, durchquert Frankreich und Spanien. Mit dabei hat er T-Shirts und eine grosse Packung Waschmittel. «Das war ein Fehler. Sie bekam ein Leck, und der ganze Rucksack war voll von dem Zeugs.» Dreieinhalb Wochen dauert die Odyssee. «Es war herausfordernd, aber auch wunderschön, emotional und farbenfroh. Während ich Tausende Kilometer radelte, brachte mich die Reise meinem innersten Kern näher.» Bei seiner Rückkehr gibt er all den intensiven Gefühlen und Empfindungen Raum und drückt die Erlebnisse auf seine eigene Weise aus – in der Sprache der Musik.
«Duende» heisst Gheorghius neustes Werk, das er Ende 2020 fertigstellte. «Duende» kommt aus dem Spanischen und bedeutet einen erhöhten Zustand von Emotion, Ausdruck und Authentizität. Eingespielt wurde die CD im bekannten Salle de musique in La Chaux-de-Fonds. Die Klangmagier Jean-Martial Golaz und Corinne Wieland sind für die Aufnahmen mitverantwortlich. «Das Team gab mir die Flügel, abzuheben und frei zu sein. Wir fanden intuitiv die goldene Balance, um das Flüstern des brennenden Windes und der brutalen Sonne Andalusiens mit den Flamenco-Schreien des alten Steinway-Flügels aus dem Jahr 1966 zu verbinden.»
Die Kompositionen stammen von Enrique Granados, Isaac Albéniz, Claude Debussy, Maurice Ravel und Manuel de Falla. «Ihre Stücke sind von der Volksmusik Spaniens inspiriert. Die Gitarre ist in jedem Werk zu hören. Man spürt auch die Natur, die ich auf der Reise erlebt habe – die Hitze, das Licht, das Meer, die Wüste.» Meistens hat Teo Gheorghiu in einfachen Unterkünften oder unter dem Sternenzelt geschlafen. Wer auf Instagram-taugliche Bilder hofft, wird enttäuscht: «Ich habe unterwegs nicht ein einziges Foto von mir gemacht. Es war kein bewusster Entscheid. Ich hatte es einfach vergessen.»
Drei weitere Reisen werden folgen, so der Plan. Sein nächster Trip soll ihn mit dem Fahrrad zu den Wurzeln seiner Vorfahren nach Rumänien führen. «Bis jetzt war ich nur einmal in Bukarest, für einen Auftritt am George Enescu Festival.» Danach will er den Norden und den Westen bereisen, über die Grenzen Europas hinaus, um sein musikalisches Klang-Quartett der vier Himmelsrichtungen zu vervollständigen. Teo Gheorghiu steckte vor der ersten Reise nicht nur in einer Lebens- und Sinnkrise. Er hatte sich auch auf Konzerte vorzubereiten. Sechs Wochen gab er sich, um das Klavierkonzert Nr. 2 von Beethoven einzustudieren. Ein kosmisches Stück, das ihn jedes Mal zutiefst bewegt. Zu seiner Überraschung schaffte er es in zwei.
Heute sagt er: «Ich war nach meiner Rückkehr in Harmonie mit meinem Geist – und so richtig bereit für etwas Neues.» Die «Neue» heisst Melanie Georgiou, hat ihr eigenes Yogastudio, und eigentlich müsste Teo sie gar nicht heiraten, denn die Engländerin – ihr Vater ist aus Zypern – trägt zufälligerweise den gleichen Nachnamen wie er. Seit zwei Jahren wohnt das Paar im Welschland. Vor 14 Monaten kam Wunschkind Gioia zur Welt. Ob die Kleine einmal so musikalisch wird wie ihr Vater, steht in den Sternen.
Als Jugendlicher hörte dieser Klavierkonzerte von Brahms, während er «Asterix» las. 2004 gab Teo Gheorghiu sein Konzertdebüt in der Tonhalle Zürich. Sein Talent bewies er im Film «Vitus» von Fredi M. Murer. Seitdem tritt er auf der ganzen Welt auf. Solokonzerte, sagt er, seien so etwas wie der Heilige Gral: «Diese 90 Minuten gehören nur mir. Natürlich ist ein Konzert mit einem Orchester ebenfalls eine Herausforderung. Es macht Spass, mit dem Dirigenten und den Musikern zu interagieren.»
Teo wurde in Männedorf ZH geboren, seine Eltern sind geschieden und Mutter Adina ist heute mit Regisseur Fredi M. Murer verheiratet. Dass sich Weltenbummler Teo wieder in der Schweiz niedergelassen hat, überrascht ihn selber. Denn das Jahr 2020 habe ihm gezeigt, wie tief der Stellenwert von Kunst und Kultur auf der politischen Agnda ist: «Wir Künstler wurden als Erstes kaltgestellt, was der Kulturlandschaft schlimme Schäden zufügt.»
Warum also die französische Schweiz? «Fribourg hat Seen und Berge, ist ein magischer Platz. Eigentlich fühle ich mich jedoch überall zu Hause, wo ich ein Klavier habe und meine Familie ist. Melanie und Gioia begleiten mich oft zu meinen Konzerten, was mich sehr glücklich macht.» Hat er sein perfektes Konzert schon gegeben? «Nein», sagt Teo Gheorghiu mit entwaffnender Ehrlichkeit und dieser ihm sehr eigenen sympathischen Ernsthaftigkeit: «Ich möchte erfolgreich sein als Pianist, für mich gibt es kein Dazwischen. Ich will ja noch mein ganzes Leben lang mit und von der Musik leben können.»
«Duende» ist die erste von vier CD-Aufnahmen und sprüht nur so vor lauter südländischem Charme. www.teogheorghiu.net