Auf den ersten Blick mag ihr Leben perfekt anmuten. Sie hat mit Prinzessin Estelle, 9, und Prinz Oscar, 5, zwei zuckersüsse Kinder. Mit Prinz Daniel, 48, einen liebevollen und unterstützenden Mann an ihrer Seite. Mit der bei der Geburt zugeteilten Rolle als Kronprinzessin einen sehr prestigeträchtigen und verantwortungsvollen Job. Mit Schloss Haga ein wunderschönes und grosszügiges Zuhause. Und mit den finanziellen Möglichkeiten als Royal immer eine umwerfende Garderobe, die Mode-Expertinnen rund um den Globus vor Neid erblassen lässt.
Doch wie so oft ist auch bei Kronprinzessin Victoria, 44, nicht alles Gold, was glänzt. Ihr Job ist zwar glamourös, aber auch sehr fordernd und streng. Und auch sonst läuft bei ihr nicht alles einwandfrei – woraus die Schwedin aber nie einen Hehl gemacht hat. Denn was andere womöglich als Makel oder Laster betrachten würden, die es möglichst zu verheimlichen und unter den Tisch zu kehren gilt, stellt die Kronprinzessin nur allzu gerne in den Fokus, um damit anderen Betroffenen Mut zu machen und deren Angehörige und die Gesellschaft allgemein aufzurütteln. Und wohl auch deshalb, um damit ein Zeichen zu setzen – und Schwächen zu Stärken zu machen.
Denn die künftige Königin Schwedens selbst kämpft persönlich gleich mit drei Krankheiten, von denen eine die «Schwäche» gar im Namen stehen hat. Von klein auf leidet Victoria an einer Lese- und Rechtschreibschwäche, der sogenannten Legasthenie – genau wie ihr Vater König Carl Gustaf, 75, und ihr Bruder Prinz Carl Philip, 42.
Öffentlich erstmals darüber gesprochen hat sie im Alter von 25 Jahren an einem Vortrag an der Universität in Orebro, wie der «Stern» damals berichtete. «Ich dachte immer, ich sei dumm und langsam», sagte die Prinzessin demzufolge damals. Als die Legasthenie schliesslich diagnostiziert wurde, engagierte die schwedische Königsfamilie einen speziellen Lehrer, der Victoria die nötige Unterstützung bot.
Und das mit grossem Erfolg: «Mir hat die Schule Spass gemacht», resümierte Victoria. Schönreden allerdings will sie nichts. «Aber sie war auch sehr schwierig. Wenn jemand Probleme mit dem Lesen und Schreiben hat, kann das manchmal ziemlich hart sein. Es mag nach einem kleinen Problem aussehen. Aber das ist es nicht. Ich weiss das.»
Ihr sei klar, fuhr sie damals fort, wie viel Hilfe sie erhalten und wie viel Glück sie damit gehabt habe, erzählte die Kronprinzessin weiter. Auch deshalb hat sie schon vor Jahren den Weg an die Öffentlichkeit gesucht, um anderen Mut zu machen. «Ich habe kein Problem damit, offen darüber zu sprechen», sagte sie. «Aber es gibt viele Menschen, die nicht so viel Unterstützung wie ich erhalten haben.»
Doch die Kronprinzessin hat nicht nur Mühe beim Lesen von Buchstaben, sondern auch beim Entziffern von Gesichtern. Diese kann sie sich nicht merken: Sie leidet an Prosopagnosie. Die sogenannte Gesichtsblindheit wird durch eine Fehlfunktion im Gehirn verursacht und sorgt bei Victoria für grosse Probleme, sich Gesichter und Namen zu merken. Einige Betroffene können sich selber nicht im Spiegel erkennen.
Bereits 2008 hat Victoria über die unheilbare Krankheit gesprochen. «In meiner Rolle ist das ein erhebliches Minus», erklärte sie der Zeitschrift «Föräldrakraft». «Ich strenge mich unheimlich an, damit ich mir Namen und Gesichter merken kann. Aber sie wollen sich einfach nicht festsetzen.»
Dabei ist die Prinzessin längst nicht die Einzige, die an der Krankheit leidet. Allein in Deutschland sind rund zwei Prozent der Bevölkerung betroffen. Zu prominenten Betroffenen zählt etwa Brad Pitt, 57. Wie er im «Esquire»-Magazin verraten hat, ist auch er von der Wahrnehmungsstörung betroffen und soll die Kinder seiner Schwester bisweilen nicht erkennen.
Auch der Schweizer Satiriker Andreas Thiel, 50, ist gesichtsblind. Wenn Bekannte in seinem Umfeld plötzlich eine Brille tragen oder sich die Haare färben, ist er «aufgeschmissen», wie er im Gespräch mit der Schweizer Illustrierten sagte. Er merkt sich nämlich Personen vor allem am Kleidungsstil oder ihrer Art, sich zu bewegen und zu sprechen – seit seiner Kindheit.
«Es ist keine Arroganz, ich bin einfach gesichtsblind. Damit kann ich leben»
Andreas Thiel
Erst mit über 35 Jahren hat Thiel davon erfahren, was genau ihn davon abhält, wie alle anderen Gesichter zu erkennen. Als er einen Bericht eines Betroffenen liest, kann er sich all die peinlichen Situationen in seinem eigenen Leben plötzlich erklären. Als er in einem Online-Test Gesichter prominenten Persönlichkeiten zuordnen muss, scheitert er kläglich. Er erkennt nicht ein einziges Gesicht. «Bei meinem Ueli Maurer handelte es sich in Wahrheit um Barack Obama», erzählte er. Was erschreckend ist, stellt in Form der Diagnose gleichzeitig auch eine Erleichterung dar. «Es ist keine Arroganz, ich bin einfach gesichtsblind. Damit kann ich leben.»
Prosopagnosie wird zu 50 Prozent vererbt. Ob auch Victorias Kinder betroffen sind, ist nicht bekannt. Ebenso wenig weiss man, von welchem Elternteil Victoria die Störung geerbt hat.
Doch die von aussen nicht sichtbaren Krankheiten wurden lange Zeit von einer dritten Störung begleitet, die ihre Spuren hinterliess. In ihren Jugendjahren litt Victoria an einer Essstörung. Den Druck und die Erwartungen, die insbesondere nach dem 18. Geburtstag immer schwerer auf ihr lasteten, liess die Prinzessin an ihrem Körper aus. Zuvor hatte sie bereits den Verlust einiger Freundschaften hinnehmen müssen, wie sie in ihrem Buch «Victoria, Victoria!» schrieb. «Ich begann mich zu fragen, wer meine wirklichen Freunde waren. Wem konnte ich wirklich vertrauen? Ich fand heraus, dass es Menschen in meiner Nähe gab, die ich für meine Freunde hielt, die aber – wie sich herausstellte – nicht die gleiche Definition hatten.»
In dieser Zeit ihres Lebens sei sie sich «sehr einsam und verloren» vorgekommen. «Als Mensch fühlte ich mich gut. Aber als Kronprinzessin befand ich mich nicht im Einklang mit mir selbst. Da kamen plötzlich die Essstörungen. Mein Leben wurde damals von anderen, nur nicht von mir bestimmt. Die Kontrolle über das Essen war das Einzige, was mir noch geblieben war», erklärte sich Victoria später. «Es war meine Art, mit meiner ständigen Angst umzugehen. Es ist schwer, zu erklären, warum ich damals so handelte. Ich hasste meinen Anblick.»
Am 28. November 1997 teilte der Hof öffentlich mit, dass Kronprinzessin Victoria an Essstörungen leide. Anfang 1998 ging die Kronprinzessin für das Studium in die USA. Ein Neuanfang – den sie auch nutzte, um ihre Essstörung in den Griff zu kriegen. «Ich lernte, die Gefühle in Worte zu fassen, zu verstehen, was ich überhaupt fühle. Damit lernte ich, Grenzen zu setzen und mich vielleicht nicht mehr zu sehr zu pushen.»
Im Gegensatz zur Legasthenie und der Prosopagnosie erachtet Victoria ihre Magersucht heute als überwunden; gemäss der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung können bei der Magersucht rund 40 Prozent der Patientinnen und Patienten vollständig geheilt werden. Die Schwedin zählt sich dazu. «Heute befinden sich Victoria und die Kronprinzessin nicht mehr im Wettstreit miteinander», erklärte sie einst. «Aber eigentlich bin ich dankbar, dass diese Krise so früh in mein Leben gekommen ist.»