Die Lage für Prinz Andrew, 61, wird immer prekärer. Gestern wurde bekannt, dass der zweite Sohn von Queen Elizabeth II., 95, alle royalen Schirmherrschaften und militärischen Titel der Königin von England zurückgeben muss. Seinen royalen Status «His Royal Highness» darf der Prinz ab sofort nicht mehr verwenden. Das hat der Buckingham-Palast am 13. Januar mitgeteilt. «Mit dem Einverständnis und der Zustimmung der Queen sind die militärischen Zugehörigkeiten und königlichen Schirmherrschaften des Herzogs von York an die Königin zurückgegeben worden», heisst es in einem Statement.
Auch weiterhin werde Andrew keine offiziellen, öffentlichen Aufgaben übernehmen. Zudem werde er sich als «Privatmann» gegen eine Klage von Virginia Giuffre, 38, verteidigen. Er war bereits Ende 2019 von seinen öffentlichen Ämtern zurückgetreten.
Kurz vor der Veröffentlichung des Statements hatte es entsprechende Forderungen gegeben. Rund 150 Veteranen hatten etwa in einem offenen Brief gefordert, dass die Queen ihrem Sohn mit sofortiger Wirkung alle militärischen Titel aberkennen solle.
Ehemalige Mitglieder der Royal Navy, der Royal Air Force und der Army hatten darin erklärt, dass Andrew «unhaltbar» für das Militär sei. Handle es sich um eine andere Person, sei es «unvorstellbar», dass diese sich noch im Amt befinde.
Inzwischen ist klar, dass die Missbrauchsklage von Virginia Giuffre, 38, gegen den Prinzen Bestand haben wird. Der zuständige US-Richter kam der Bitte des Royals, die Klage abzuweisen, nicht nach. Ein ehemaliger Staatsanwalt namens Mitchell Epner schätzt Andrews Lage spätestens durch diesen Entscheid als höchst prekär ein. In einem TV-Interview habe er laut «Daily Mail» gesagt: «Für ihn [Prinz Andrew, Anm. d. Red.] gibt es nur noch schlechte Optionen. Er muss nun entscheiden, welche dieser schlechten Optionen die beste ist.» Doch welche Möglichkeiten bleiben dem Royal überhaupt?
Zwei Möglichkeiten, dem für diesen Herbst anberaumten Gerichtsprozess doch noch zu entgehen: entweder den Richterspruch mit wenig Hoffnung auf Erfolg anfechten, oder eine aussergerichtliche Einigung mit Giuffre erzielen. Sprich: ein monetäres Angebot, das die Klägerin schwer ablehnen kann. Genau dies sei laut «Daily Mail» nach dem Verkauf seines Schweizer Luxus-Chalets zumindest theoretisch möglich. 18 Millionen Pfund seien durch den Verkauf liquide geworden. Zehn Millionen davon wolle Andrew laut des Berichts angeblich dafür aufwenden, sich den Prozess zu ersparen.
Doch würde sich Giuffre auf einen derartigen Deal überhaupt einlassen? Nein, habe ihr Anwalt David Boies kurz nach der richterlichen Entscheidung vom Mittwoch laut «The Guardian» klargestellt. Mit einem «rein finanziellen Vergleich» müsse Prinz Andrew demnach gar nicht erst um die Ecke kommen. Seiner Mandantin sei vielmehr daran gelegen, «sich selbst und die anderen Opfer zu rehabilitieren». Zusätzlich zu einer finanziellen Entschädigung müsste Andrew hierfür wohl eine Form des Schuldgeständnisses ablegen. Genau dies hat der Royal bislang aber vehement vermieden.
Sollten sich die beiden Parteien nicht aussergerichtlich einigen, könnte es voraussichtlich im Herbst dieses Jahres zu einem der spektakulärsten Prozesse aller Zeiten kommen. Zwar bietet sich dadurch selbstredend die Möglichkeit auf einen Freispruch für den Prinzen. Der Royal müsste jedoch unter Eid zu den Vergewaltigungs- und Missbrauchsvorwürfen Rede und Antwort stehen.
Dass er in solchen Situationen nicht sonderlich souverän wirkt, hatte Andrew allerdings schon in einem desaströsen «BBC»-Interview kurz nach den Anschuldigungen bewiesen – wohlgemerkt nicht unter Eid stehend. Gar nicht erst im Gericht vorstellig werden zu müssen, dürfte wohl Andrews primäres Ziel sein.
Unabhängig von Prinz Andrews Strategie, sogar unabhängig vom Ausgang eines potenziellen Gerichtsverfahrens, sehen Experten Medienberichten zufolge den Ruf des Royals «irreparabel beschädigt». Andrews inzwischen abgeschmetterte Bitte, die Klage aufgrund eines Vergleichs von 2009 zwischen Sexualstraftäter Jeffrey Epstein (1953-2019) und Guiffre abzuweisen, werde als «riskante Aktion» angesehen, die ihn die allerletzten Sympathiepunkte gekostet haben könnte.
Mehr noch sei das Ansehen der gesamten Königsfamilie durch den Skandal inzwischen schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Jeder Versuch, sich wieder ins rechte Licht zu rücken oder zu rehabilitieren, könnte den gegenteiligen Effekt haben. Als einzige Lösung wird genannt, dass sich Prinz Andrew wohl für immer aus der Öffentlichkeit zurückziehen müsse. Kein leichtes Unterfangen bei einer Familie, die so sehr im Rampenlicht steht.
Dass die Queen Prinz Andrew nach den Missbrauchsvorwürfen fallen liess, soll vor allem wegen Prinz Charles und Prinz William gewesen sein. Laut der britischen Zeitung «Daily Mail» sollen sie die treibenden Kräfte hinter der Entscheidung sein.
Der Zeitung zufolge soll der Queen die Entscheidung, Andrew Titel und Dienstgrade abzuerkennen, nicht leichtgefallen sein. Andrew gilt als ihr Lieblingssohn, eine Reaktion des Königshauses war aber unumgänglich. «Es geht um das Überleben der Institution um jeden Preis. Das war schon immer so und wird auch immer so sein», zitiert die Zeitung eine anonyme Quelle aus dem Buckingham Palast. «Sie haben diesen Beschluss gefasst, um die Institution vor den umherfliegenden Granatsplittern zu schützen».
Die Entscheidung soll nach einem 90-minütigen Gespräch der Queen mit Prinz Andrew gefallen sein. Zuvor soll die Königin telefonisch mit Prinz Charles und persönlich mit William gesprochen haben.
Prinz Andrew streitet alle Vorwürfe ab. Es gilt die Unschuldsvermutung. Sollte es nicht zu einer aussergerichtlichen Einigung kommen, könnte voraussichtlich im Herbst der Prozess anstehen.